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Eingeschränkter Kanal
Telegram geht offenbar gegen Attila Hildmann vor

Aus dem Kochbuchautor Attila Hildmann wurde in der Corona-Pandemie ein selbst ernannter "Verschwörungsprediger". Seine Ideen verbreitete er vor allem auf Telegram. Doch sein Profil ist dort kaum noch zu finden. Ein Kurswechsel des sonst für seine Tatenlosigkeit bekannten Messengerdienstes ist das aber nicht.

Text: Michael Borgers / Miro Dittrich im Gespräch mit Christoph Sterz |
Attila Hildmann spricht vor der russischen Botschaft in Berlin bei einer Demonstration in ein Megaphon
Über Monate hat Attila Hildmann gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert und dabei Bilder wie diese geliefert - inzwischen wird per Strafbefehl nach ihm gefahndet (picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
Eine Linsensuppe als Lacher und Aufreger: Attila Hildmann hat schon früh verstanden, wie das Internet funktioniert. 2014 besuchte er den Deutschlandfunk, damals war Hildmann Deutschlands bekanntester veganer Youtube-Koch und Autor von Rezeptbüchern. Eine Reportage über die fleischlose Ernährung führte ihn auch in die Kantine des Senders.
Die Werbung für ein Gericht des Tages fand Hildmann dabei so lustig, dass er ein Foto davon auf seiner Webseite postete: vegetarische Linsensuppe – mit Mettwurst. Die Reaktionen seiner Fans darauf waren nicht nur nett. Deshalb bat die Autorin der Sendung Hildmann später, das Bild wieder zu entfernen – was dieser bereitwillig tat.

Hildmann: "Ich bin Nationalsozialist"

Sieben Jahre später ist dieses öffentliche Bild des einst sympathischen Kochs längst ein anderes. Gegen Hildmann wird wegen Volksverhetzung ermittelt, vor Monaten hat er sich deshalb in die Türkei abgesetzt. Schon vor Corona hatte der heute 40-Jährige für negative Schlagzeilen gesorgt, seit der Pandemie hat er sich radikalisiert.
Wer marschiert da zusammen?
Menschen mit Regenbogenfahnen, Reichsbürger, Identitäre, Impfkritiker und Ärzte: Die Gegner der Corona-Politik bilden ein breites Milieu ab. Und doch eint sie der Protest gegen die Beschränkungen durch die Corona-Maßnahmen. Ein Überblick von Ende 2020.
Seit gut einem Jahr verbreitet Hildmann im Internet unverhohlenen Judenhass: postet Hakenkreuze, leugnet den Holocaust und beschimpft Personen des öffentlichen Lebens mit antisemitischen Schmähungen. "Ich bin Nationalsozialist", schrieb er noch im Mai dieses Jahres – in seinem Account des Messengerdienstes Telegram.

Teilweise Profil-Sperrung

Damit scheint vorerst Schluss zu sein, zumindest in seinem bisherigen Hauptprofil. Denn das ist verschwunden von Telegram, zumindest auf iPhones und vielen Android-Geräten lässt es sich nicht mehr aufrufen. Zunächst spekulierten Medien, ob Apple und Google dafür verantwortlich sind. Hildmann hatte das behauptet.
Doch Google stellte klar, den Zugang zu Hildmanns Kanal in der App nicht selbst gesperrt zu haben. Entsprechende Vermutungen seien falsch, erklärte das Unternehmen gegenüber dem Deutschlandfunk. Ein derartiger Eingriff könne nicht von Google vorgenommen werden.

Telegram: Sammelbecken für Rechtsextremisten

Von Telegram gibt es, wie üblich, keine öffentliche Erklärung. Eigentlich ist der Messenger bekannt dafür, nicht gegen seine Hunderte Millionen Userinnen und Usern weltweit vorzugehen – egal, was diese schreiben. Telegram gilt deshalb als Sammelbecken für Rechtsextremisten und Heimat der Corona-Leugner.
Gegenöffentlichkeit für Corona-Zweifler
Mehr als 400 Millionen Menschen weltweit nutzen inzwischen Telegram, Tendenz steigend. In der Coronakrise suchen viele in dem Messengerdienst die Informationen, die sie woanders nicht zu finden glauben. Davon profitieren auch Prominente.
Beobachter analysieren nun dennoch, dass Telegram bei Hildmann selbst aktiv geworden ist. Der Messenger habe "offenbar eine Sperrung in Kraft gesetzt, aber nur in den App-Versionen, die aus den offiziellen App-Stores installiert werden", schreibt t3n, ein Fachportal für digitale Themen.
Davon geht auch Miro Dittrich vom Thinktank "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" aus. Wenn es - wie im aktuellen Fall - bestimmte Zugänge nicht mehr gebe, funktioniere das "natürlich nur intern", sagte Ditrich im Deutschlandfunk. "Die Betriebssysteme haben keine Möglichkeit, zu sperren", sagt er. Aber Apple und Google hätten ein Interesse daran, was in ihren Appstores vertrieben wird.

"Telegram macht das, um in den Stores zu bleiben"

Telegram auf der anderen Seite sei es wichtig, weiterhin Teil des Angebots der Digitalkonzerne zu sein, so Dittrich, "und hier müssen sie sich auch an die Regeln halten, welche Inhalte dort gezeigt werden können und welche nicht." Apple hätte bereits 2019 begonnen, Druck auf den Messenger auszuüben.
Dass die Plattformen Regulierungsaufgaben übernehmen, ist für den Rechtsextremismusforscher "Teil ihrer Verantwortung". Eine Aufgabe, der der Staat angesichts der Fülle an im Internet begangenen Straftaten gar nicht mehr nachkommen könne, beobachtet Dittrich. So sei im Fall von Hildmann die "Grenze zum Strafbaren längst überschritten gewesen", ehe dieser vor der Verfolgung durch Behörden geflohen sei.

Internetrechtler: Freedom of reach, nicht speech

"Wenn jetzt wirklich über Apple und Google Druck ausgeübt wird, ist das eine spannende Entwicklung, die auch zu denken geben muss", findet Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Auch er sieht am Beispiel Hildmann ein Zeichen dafür, dass es den Staaten nicht gelänge, ihre Regeln durchzusetzen. "Ist das wirklich eine optimale rechtspolitische Situation? Sollte da nicht mal überlegt werden, ob wir stärker das Recht durchsetzen? Wir können uns doch nicht auf Apple und Google verlassen."
Das Vorgehen gegen bestimmte Accounts begrüßt Kettemann grundsätzlich. Es gehe ja auch nicht darum, Menschen mundtot zu machen, sagte der Internetrechtler dem Deutschlandfunk. Plattformen dürften einfach nicht missbraucht werden, um rechtsradikale, antisemitische sowie frauen- und menschenverachtende Inhalte zu verbreiten. "Wenn man Menschen ein Sprachrohr gibt, kann man natürlich auch dieses Sprachrohr wieder wegnehmen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten."
Das Beispiel des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump habe gezeigt, auch bei sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook gehe es nicht um "Freedom of speech, also Redefreiheit, sondern Freedom of reach, also die Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen" – und dabei handle es sich nicht um ein Naturrecht, unterstreicht der Medienforscher. Allerdings müssten sich auch Plattformen an Recht halten und nicht willkürlich löschen.
Unternehmen als "Internetpolizei"
Der Internetrechtler Matthias Kettemann begrüßte auch Anfang 2021 die Debatte um das Vorgehen sozialer Netzwerke. Die Löschung des Twitter-Profils von Donald Trump stelle keine Zensur, sondern eine Zäsur dar, sagte Kettemann im Dlf.
Die großen Digitalunternehmen gehen seit einiger Zeit härter gegen Regelverstöße vor. Gerade hat Facebook weitere Maßnahmen angekündigt, die die Verbreitung von Hass und Falschinformationen verhindern sollen.

Für Hildmann geht es weiter - auf Telegram

Trotz aller Maßnahmen - äußern kann sich Attila Hildmann auch weiterhin auf Telegram. Der früher als Vegankoch bekannte Berliner hat sich zusätzlich zu seinem Haupt- auch noch schnell einen Ersatzkanal zugelegt, den alle einsehen können.
Und Telegram bietet inzwischen eine Variante seiner App an, die sich ohne die Stores von Apple und Google runterladen lässt.