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Einhaltung oder Aushebelung der Schuldenbremse

Die Koalitionäre streiten um die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Die Union will, die FPD willigt nur zu einer EU-weiten Lösung ein. Sollte die Börsenabgabe nicht kommen, plane Finanzminister Schäuble Medienberichten zufolge die Umgehung der Schuldenbremse.

Von Andreas Baum | 10.01.2012
    Am Vormittag noch hatte eine Meldung der "Bild"-Zeitung für Aufregung im politischen Berlin gesorgt. Bundesfinanzminister Schäuble wolle mit einem Trick die Schuldenbremse umgehen, so stand es im Blatt mit Hinweis auf einen neuen Passus im Gesetz - bis zum Dementi des Ministers. Das Gegenteil sei der Fall. Im geplanten Gesetzentwurf gehe es darum, die Einhaltung der Schuldenbremse nachhaltig zu sichern und noch über sie hinaus zu gehen, mehr Schulden also abzubauen, als das Grundgesetz vorschreibt.

    Keine Zeitungsente dagegen ist der Streit um die Finanztransaktionssteuer, ausgelöst von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Gespräch mit Frankreich Staatspräsident Sarkozy Anfang der Woche. Sie kann sich vorstellen, die Steuer auf Börsengeschäfte auch einzuführen, wenn nur die Euroländer mitmachen, nicht aber andere Mitglieder der Europäischen Union, beispielsweise Großbritannien. So sagt es auch ihr Sprecher, Steffen Seibert.

    "Wir werden jetzt versuchen, denjenigen Regierungen die noch zögern, und das wissen Sie, dass es solche gibt, nachdrücklich bei denen zu werben für die Einführung einer solchen Finanztransaktionssteuer. Aus unserer Überzeugung sollte in den ersten Wochen und Monaten des Jahres klar gemacht werden, wer macht mit und wer macht nicht mit."

    Es geht also darum, Druck auf die Zweifler auszuüben. Unterstützung für diese Position findet Angela Merkel bei CSU-Chef Horst Seehofer. Manche Dinge könnten auch nur von den 17 Eurostaaten gemacht werden, sagt er, es sei genug diskutiert worden, jetzt gelte es, die Steuer einzuführen. Der FDP dagegen gilt die Börsenabgabe noch immer als rotes Tuch, Parteichef Philipp Rösler besteht auf einer Einführung nur, wenn alle 27 EU-Staaten mitmachen. Sein Parteifreund und interner Kritiker, Frank Schäffler, stimmt diesmal mit ihm überein: Angela Merkels Verhalten sei gegen die Absprachen und gefährde den Koalitionsfrieden.

    "Frau Merkel hat ja durch ihre Äußerung den gemeinsamen Kurs verlassen. Sie hat betont, dass sie auch für eine europaweite Transaktionssteuer ist und im Zweifel auch für eine im Euroraum. Das ist nicht die Position der Koalitionsparteien."

    Aber selbst in der FDP gibt es nun Stimmen, die es dafür plädieren, die harte Haltung gegen die Finanztransaktionssteuer aufzugeben. Beispielsweise die von Wolfgang Kubicki, Spitzenkandidat der Liberalen in Schleswig-Holstein, der sich offen gegen Parteichef Rösler stellt. Die Opposition versucht erst gar nicht, ihre Schadenfreude zu verbergen. Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen, unterstellt der FDP völliges Desinteresse am Allgemeinwohl, und Parteichef Cem Özdemir fordert angesichts des Durcheinanders ein Machtwort der Kanzlerin.

    "Frau Merkel muss sich entscheiden. Was ist wichtiger: Die Zukunft Europas, des Euro, eine stabile europäische Union oder eine Zweiprozentpartei FDP. Und ich glaube, die Antwort muss klar sein. Europa ist wichtiger als die FDP."

    Für die Bundesregierung steht erst einmal die drohende Staatspleite Griechenlands auf der Tagesordnung. Am Mittag beriet sich Bundesfinanzminister Schäuble mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Christine Lagarde, auch um zu klären, um welche Summe die Mittel für den IWF aufgestockt werden, um angeschlagene Euroländer zu retten. Am Abend trifft Lagarde Bundeskanzlerin Merkel zu einem informellen Gespräch. Dabei wird es dem Vernehmen nach auch um ein anderes Sorgenkind gehen: Das EU-Land Ungarn hofft, obwohl es nicht zum Euroraum gehört, auf Hilfen vom IWF.