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Einmal studieren, zweimal Bachelor

Es war eine Abschlussprüfung der besonderen Art, die sich dieser Tag an der technischen Hochschule im rumänischen Temeswar, der sogenannten Politechnika, abspielte: Denn ein Teil derjenigen, die sich im Fach Bauingenieurwesen prüfen ließen, erhielten mit einem Schlag gleich zwei Abschlusszertifikate: eines der Technischen Universität München und eines der rumänischen Hochschule in Temeswar. Einmal studieren und zwei Bachelorzertifikate in der Tasche haben, einmal aus Deutschland und einmal aus Rumänien, - diese Chance geht zurück auf einen Vertrag zwischen der Technischen Hochschule München und der Politechnika Temeswar. Der Inhalt: die Einrichtung eines gemeinsamen Bachelorstudiengangs - ein Modell, das beiden Seiten Vorteile bringt. Die rumänischen Studierenden dürfen sich über erheblich bessere Jobchancen freuen. Und die deutsche Bauwirtschaft, die in Osteuropa nach Aufträgen schielt, verfügt zukünftig über gut ausgebildetes Personal aus exakt jenem Land, aus dem die Aufträge kommen sollen.

Von Thomas Wagner |
    "Unser Objekt, hier angezeigt, ist ein in den 70er-Jahren gebautes Hochhaus. Es wurde 2000 komplett saniert."

    Für Ion Alexandru Irmie ist es ein großer Tag: Dunkler Anzug, Krawatte - so steht er an der Tafel jenes Hörsaals in der Technischen Universität Temeswar, mitten in Rumänien. Nach einem sechs Semester dauernden Bachelorstudium im Fach Bauingenieurwesen absolviert er gerade seine mündliche Abschlussprüfung - der Schlusspunkt eines ungewöhnlichen Studienangebotes. Denn alle Vorlesungen wurden komplett in deutscher Sprache gehalten. Außerdem verbrachte Ion Alexandru Irmie einen Teil seiner Studienzeit an der TU München:

    "Also das Volumen, was zu lernen war, also mal in%en gesehen: Was hier so ein Semester ansteht, würde man in München in eineinhalb Monaten schaffen müssen. Die Professoren achten dort immer auch auf die wirtschaftliche Seite des Studiums. Und sie weisen immer daraufhin, dass eine Konstruktion nicht nur aus gedachten Ideen besteht. Vielmehr muss sie auch realisiert werden können."

    Seit drei Jahren gibt es einen Vertrag zwischen der TU München und der Politechnika Temeswar, der den gemeinsamen Bachelorstudiengang Bauingenieurwesen regelt. Studiert wird jeweils zur Hälfte in Temeswar und in München. Wer die Abschlussprüfung schafft, bekommt die Zertifikate beider Hochschulen. Und das erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt ganz ungemein, weiß Ion Alexandru Irmie:

    "Ich habe zwar noch keinen Job, weil ich mich gerade auf meinen Master vorbereite. Aber sobald ich wieder nach München gehe, wo ich bald einen Master anfange, habe ich vor mir einen Job zu suchen. Ich war schon auf verschiedenen Jobmessen, auf der Uni und auch in Rumänien. Und so ein Absolvent, der zwei Abschlüsse hat sowohl in Rumänien als auch in Deutschland, hat schon einmal bessere Chancen als ein normaler Absolvent. In Deutschland deswegen, weil die suchen Leute, die einfach das Land kennen, in dem sie mal Geld investieren wollen."

    Gerade die großen deutschen Baukonzerne schielen trotz Wirtschaftskrise immer häufiger nach Rumänien. Das Land gilt, mit über 22 Millionen Einwohnern, als einer der größten Absatzmärkte in Osteuropa. Niemals zuvor wurden so dringend junge Fachleute wie Ion Alexandru Irmie gebraucht.

    "Weil dort noch viel gebaut werden muss: Es fehlen Straßen, Eisenbahnen, Häuser, Immobilien - es gibt halt noch einen riesigen Markt."

    Um Aufträge in diesem Zukunftsmarkt erfolgreich abzuwickeln, benötigen die deutschen Unternehmen gut ausgebildete Fachleute, die auch Land, Leute und Sprache in Rumänien kennen. Und genau diesen Anforderungen wird der gemeinsame Bachelorstudiengang der TU München und der Politechnika Temeswar gerecht. Darüber hinaus erhöht der Abschluss nicht nur die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, er verschafft auch Zugang zum Masterstudium in Deutschland, erzählt Remus Tecusan, der zu den ersten Absolventen des neuen deutsch-rumänischen Bachelorstudiengangs zählt.
    "Also mit dem rumänischen Bachelor ist das nicht so ganz einfach. Man muss ein paar Prüfungen schreiben noch zusätzlich. So weit ich weiß, muss man schon Differenzen überbrücken, wenn man mit einem rumänischen Bachelor kommt."

    Während rumänische Studierende das Doppelstudium als Chance begreifen, bleiben ihre Kommilitonen an der TU München zurückhaltend. Bislang hat sich noch keiner von ihnen in Rumänien eingeschrieben. Ein Verhalten, das Peter Ehrli vom Deutschen Akademischen Austauschdienst in Temeswar immer wieder beobachtet:

    "Dass die Osteuropäer vergleichsweise offen sind in Richtung Westen, ist nicht nur ein Phänomen, das wir in Rumänien beobachten. Das können wir überall sehen. Warum die Deutschen den immer noch schlechten Ruf, den Rumänien hat, einfach so hinnehmen, statt einfach einmal hinzufahren und sich vom Besseren überzeugen zu lassen, das weiß ich auch nicht. Wenn sich die Münchner mit der Idee anfreunden, vielleicht einmal hier einen Job anzunehmen, der ein bisschen schlechter bezahlt ist als in München, aber eben gar nicht so viel schlechter, wäre das für die Münchner, die diesen Schritt wagen, sicher eine sehr nützliche und eine sehr angenehme Erfahrung - auf jeden Fall."