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Einmal und nicht mehr. Schriftsteller über das Alter

Wer nicht richtig fragt, bekommt keine falsche Antwort. So könnte das Fazit des Bandes "Einmal und nicht mehr" lauten, der - herausgegeben von Thomas Steinfeld - Essays von Schriftstellern über das Thema Alter versammelt, die im letzten Jahr in der FAZ in loser Folge abgedruckt wurden. Anlaß war der Jahrtausendwechsel, zu dem die FAZ-Redaktion nicht auf die vergangene Zeit zurückblicken, sondern ein "Moses-Gefühl" in Worte fassen wollte. Gemeint ist, daß die FAZ-Redakteure, allesamt zwischen 35 bis 50 Jahre alt, das Gefühl hatten, wie Moses das Land der Zukunft nur noch sehen, aber nicht mehr darin leben zu können. Also baten sie Schriftsteller von Louis Begley über Brigitte Kronauer bis Seamus Heaney und Monika Maron um Essays über das Alter. Ein gewitztes und konsequentes Projekt, wenn man bedenkt, dass es die FAZ war und ist, die die vermeintlichen Zukunftsthemen Gentechnik, Kybernetik, New Economy im Feuilleton debattiert und damit ins öffentliche und ins eigene Bewusstsein gehoben hat.

Thomas Böhm |
    Vergebens durchsucht man das Vorwort des Herausgebers Steinfeld, die Essays und eine Art Nachwort von Frank Schirrmacher: eine konkrete Frage, die den Schriftstellern gestellt worden wäre, findet sich nirgends. So könnten die meisten Texte den Untertitel "Ein wenig über mein Alter" tragen. Was zunächst ein guter Untertitel ist: Er verheißt Privates, Subjektiv-Essayistisches bringt aber gleichzeitig Unterstatement und Diskretion zum Ausdruck - schließlich tauscht man sich nicht bei einem Geburtstagskaffee unter Altersgenossen über Zipperlein und Todesmeldungen aus, sondern schreibt für eine bedeutende Tageszeitung. Wer sich noch nie Gedanken über das Alter gemacht hat - und das sind wohl die meisten, folgt man dem Band in seiner Grundthese von der Verdrängung des Alters und der "bis in den letzten Winkel kapitalisierten Gesellschaft, die sich auf die Seite der Jugend geschlagen" hat - wer also noch nie über sein späteres bis spätes Leben nachgedacht hat, für den ist "Einmal und nicht mehr" sicher ein Anfang übers Ende. Interessante Gedanke findet sich in den 17 Essays des Bandes jedoch kaum. Die wenigen lassen sich hier nennen. Louis Begley nennt es sein Glück, geringe Erwartungen ans Alter gehabt zu haben und deshalb keine Enttäuschungen erleiden zu müssen. Henning Mankell erschrickt darüber, so furchtbar lange tot zu sein. Der Philosoph Odo Marquardt weiß, dass im Alter alle Illusionen enden und bezeichnet das Alter "Aggregatzustand des Lachens". Brigitte Kronauer rät, der Gefahr des inneren Verstockens zu begegnen, indem man die Welt, aus der Erfahrung verschiedener Lebensphasen heraus, polyperspektivisch wahrnimmt.

    Durs Grünbein wartet mit der wahrscheinlich aus der Lektüre Paul Virilios gewonnenen Einsicht auf, dass die persönliche Erfahrung, im Humanismus Ziel und Ertrag eines Menschenlebens, heute nicht mehr zwischen den Generationen ausgetauscht wird und durch die "schiere Gegenwart" fast wertlos geworden ist. Die Gleichzeitigkeit aller Abläufe, so Grünbein, gab außerdem der Idee vom Reifeprozess den Rest. Andrej Stasiuk formuliert dies pointiert: Unsere Kinder fragen nicht mehr uns um Rat, sie wenden sich vielmehr an ihre Kinder. Besonders hervorzuheben ist der Essay von Hans Wollschlägers, der beste Text des Bandes. Zwischen Nachdenken und Erfahrung changierend, handelt er von der schrecklichen Einsicht, daß nicht nur der Körper, sondern auch die Gedanken der Menschen, scheinbar unsterbliche Ideen, zeitlose Formen der Erkenntnis altern können.

    Wenn Wollschläger dann vorschlägt, das Zuviel des Wissens der Weltgesellschaft zu steuern, indem man diversen Wissenschaften die Zuschüsse entzieht und das Nachrichtenwesen zu drosseln, gar zu strangulieren - entsteht einer der in diesem Band seltenen Momente der Ketzerei, die Adorno das Wesensmerkmal des Essays nannte. Mehr von dieser Ketzerei, mehr von Swiftscher Boshaftigkeit wäre notwendig gewesen, um den Eindruck der Strickjackenweisheit und des Karamelbonmots verschenkenden Großvaters zu konterkarrieren, den die Lektüre von "Einmal und nicht mehr" über weite Strecken hinterlässt. Das liegt besonders daran, dass die von der Gesellschaft verdrängten Probleme des Alters nicht zur Sprache kommen. Kein Wort z.B. vom Stumpfsinn und der Hoffnungslosigkeit in Altersheimen, wie sie die Italienerin Sandra Petrignani in ihrem Buch über die "Veggio", die Alten, darstellt.

    Und nur ein Autor - wiederrum ist es Hans Wollschläger - weist auf die wirtschaftlichen Probleme alter Menschen hin: Ganz nebenbei erwähnt er, er habe sich seine Rente ausrechnen lassen: 1.220,87 DM. Die Zahl geht einem nicht aus dem Kopf. 1.220,87 Rente bekommt der Mann, dem wir die Übersetzung des Ulysseus von James Joyce zu verdanken haben, um nur eine seiner Meriten zu nennen. Gottfried Benns Rede über das Altern als Problem des Künstlers, gehalten 1954, in den Geburtsjahren der sozialen Marktwirtschaft, trifft also noch heute, trotz Rentenreformen und Künstlersozialkasse zu: "Wer schmal gestellt war, malte lebenslänglich, ohne einen Sou in der Tasche, seine welligen Oliven, wer im Zeitalter lebt, das den Weltraum erobert, blickt aus seinem Hinterzimmer auf einen Kaninchenstall und zwei Hortensien." Da die mit dem Alter verbundenen existentiellen Probleme weitgehend ausgeblendet werden, wären die Initiatoren des Projektes gut beraten gewesen, den literarischen und philosophischen Focus zu erweitern, Beiträge von Schriftstellern aus anderen Kulturkreisen aufzunehmen, um den engen und bekannten euroamerikanischen Denkhorizont zu überwinden.

    So bleibt der Band "Einmal und nicht mehr" letztlich ein Plazebo. Man kann ihn lesen und denkt, man hätte sich mit dem Alter befasst. Sich beunruhigen oder weiterdenken muß man nicht. Wer das möchte, sollte auf ein anderes Buch zurückgreifen. Carl Amerys "Über das Alter. Revolte und Resignation". Das Buch ist genauso dick wie "Einmal und nicht mehr", kostet genauso viel, ist um vieles anspruchsvoller, welthaltiger, illusionsloser. Mit einem Wort: älter.