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Einsame Spitzenreiter

Jeder vierte Studierende bricht das Studium ab und verlässt die Uni ohne Abschluss. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie der HIS, der Hochschul-Informations-System, die regelmäßig die Situation an den Hochschulen beleuchtet. In den Kultur- und Sprachwissenschaften liegt die Abbruchquote sogar noch wesentlich höher.

Von Martin Benninghoff | 26.07.2005
    Viele Studenten haben im Kopf ein großes Durcheinander: Schaffst Du das Studium? Was willst du eigentlich werden? Und wie kriegst Du das Ganze organisiert? Finden die Studenten auf diese Fragen keine Antworten, werfen sie irgendwann das Handtuch.

    Spitzenreiter in dieser Negativbilanz sind die Sprach- und Kulturwissenschaften: Von 100 Studenten verabschieden sich 45 – also beinahe die Hälfte – ohne Examen.

    Einer, der sein Studium geschmissen hat, ist der heute 30-jährige Armin Helbach. Mit seinem Germanistik-Studium an der Düsseldorfer Uni war er alles andere als zufrieden.

    "Was mir gefehlt hat, war eine innere Struktur."

    ["In der Germanistik fehlten mir die Erfolgsrückmeldungen."

    Trotzdem besuchte Armin Helbach seine Vorlesungen und Seminare regelmäßig – um dann nach acht Semestern entnervt das Handtuch zu werfen.

    Warum ausgerechnet so viele Sprach- und Kulturwissenschaftler aussteigen, weiß Christiane Konegen-Grenier. Sie ist Hochschulexpertin beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

    "Das liegt daran, dass dieser Studiengang wenig strukturiert ist. Die Studenten sind aufgefordert, sich selber sowohl den Sinn als auch das Ziel als auch die Organisation des Studiums zusammen zu bauen."

    Dass sich in diesem Chaos viele Studenten verirren und nicht mehr ein noch aus wissen, ist also kein Wunder.

    Besser soll es nun mit den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen werden, die zum Wintersemester 2007/2008 starten. Das zumindest hofft Hans-Peter Ullmann, der Dekan der Philosophischen Fakultät an der Uni Köln.

    "Eine Strukturierung ergibt sich dadurch, dass jetzt Studienmodule studiert werden, die genau definiert sind, deren Zusammensetzung genau bestimmt ist und die eine inhaltliche Einheit bilden."

    Ein weiteres Manko ist bisher, dass es in den Sprach- und Kulturwissenschaften keine klare Berufsperspektiven gibt. Der Medizinstudent weiß: Er wird Arzt. Die Jurastudentin weiß: Sie wird Anwältin oder Richterin. Das gibt Sicherheit, und dementsprechend niedrig sind die Abbrecherquoten in diesen Fächern. Mit einem Germanistikstudium dagegen kann man alles Mögliche werden – oder auch nichts.

    "Ich würde den Lehrenden an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten empfehlen, mit den Bewerbern über die Motivation für dieses Studium zu sprechen und in diesem Gespräch auch zu erörtern, mit welchem Ziel man das Studium aufnehmen will, welche beruflichen Perspektiven man sich selber ausrechnet,"

    sagt die Hochschulexpertin Konegen-Grenier. Manche Lehrenden tun das bereits. Die Kölner Hochschule lädt zum Beispiel neuerdings ganze Schulklassen in ihre Vorlesungen ein. Und demnächst wird es dort eine Internetseite geben mit dem Profil der 60 Fächer, die man alleine an der Philosophischen Fakultät belegen kann.

    Für Einzelgespräche mit Studienanfängern fehlt allerdings das Personal. Und das Geld, um für diese Aufgaben neues Personal einzustellen.

    "Geld für Tutorenprogramme, für Beratungs- und für Informationsprogramme. Das würde uns sehr helfen,"

    fordert Dekan Hans-Peter Ullmann.

    Weil aber die öffentlichen Kassen leer sind, setzt Ullmann auf Studiengebühren.

    Während viele Kritiker befürchten, dass Studiengebühren zu noch höheren Abbruchquoten führen, erwartet Dekan Ullmann genau das Gegenteil: Er glaubt, Studiengebühren könnten die Bedingungen an den Unis verbessern – und somit die Zahl der Abbrecher deutlich senken. Allerdings nur unter einer Bedingung:

    "Eine Voraussetzung ist, dass das Geld den Unis zugute kommt – und zwar vollständig."
    Im Fach Informatik allerdings dürften auch noch so gute Bedingungen kaum etwas an der extremen Abbrecherquote verändern. Derzeit lassen 38 von 100 angehenden Informatikern ihr Studium sausen.

    Und das nicht etwa, weil sie mit den Studienbedingungen nicht klar kämen. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich zu Germanistik ist das Informatikstudium straff organisiert und die Perspektive klar. Nein, die meisten haben auch ohne Zertifikat schon einen lukrativen Nebenjob – etwa als Programmierer.

    Das mit dem Geld-Verdienen kann Christiane Konegen-Grenier zwar gut verstehen. Trotzdem rät sie allen Wankelmütigen grundsätzlich davon ab, ihr Studium abzubrechen.

    "Denn ein abgeschlossenes Studium ist einfach eine Versicherung, um einen guten Arbeitsplatz zu finden."

    Dieser Meinung ist mittlerweile auch Ex-Germanistik-Student Armin Helbach. Der würde sein Hobby, die Informatik, gerne zum Beruf machen und am allerliebsten als Systemadministrator in einer Behörde arbeiten. Das wird er sich wohl abschminken müssen. Denn was ihm zum Berufsglück fehlt – ist der Abschluss.

    "Und das habe ich einfach nicht und da fällt vieles für mich weg. Das ist eine Einschränkung."