Im Leben des 1916 in Neubabelsberg bei Berlin geborenen Peter Weiss gibt es eine Analogie zu Franz Kafka. Auch Weiss litt unter einem übermächtigen Vater und hatte es schwer, ein eigenes Ich jenseits und außerhalb der Familie zu entfalten. Sein autobiografisches Buch "Abschied von den Eltern" beginnt damit, wie Weiss seinen toten Vater in Belgien abholt:
"Vor mir lag ein Leben völlig abgeschlossen, ein ungeheurer Aufwand von Energien zu Nichts zerflossen, vor mir lag der Leichnam eines Mannes in der Fremde, nicht mehr erreichbar."
Dieser Vater - ein jüdischer Kaufmann, die Familie musste aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrieren - war nun zwar sehr stark, aber gleichzeitig selber auch eine unterentwickelte Person, der seine Kinder nicht aggressiv unterdrückt hat, sondern nur ein bisschen verkümmern ließ. Er pflegte zwar stets den Traum von einem gut funktionierenden Familienleben, doch in der Wirklichkeit der Familie gab es nur fehlenden Sprachaustausch und, wie Weiss schrieb, dadurch entstandene "Enttäuschung und die Unmöglichkeit gegenseitigen Verstehens".
"Im Haus herrschte das Dumpfe, Eingeschlossene, und meine Sinne waren gefangen."
Die Kindheit kam Weiss rückblickend als ein einziges Geschwür vor: Dunkelheit, Misstrauen, Stille. Aus diesem Gefängnis auszubrechen hat Peter Weiss schreibend versucht in Prosatexten wie "Fluchtpunkt", "Das Duell", "Der Schatten des Körpers des Kutschers" und "Das Gespräch der drei Gehenden". Diese Bücher waren Sprengungsversuche mit dem Verlangen, die Dinge zu berühren und die Welt als etwas Elementares zu erleben. Doch er wurde nie wirklich entlassen aus der Gebundenheit an sein Elternhaus, in dem er zu keiner Gewissheit, vor allem nicht zu einer emotionalen Gewissheit kam. Er mag dies gespürt haben, gab das autobiografische Schreiben, das zuweilen in großer Abstraktion ein "dumpfes Warten auf die Katastrophe" ausbreitete, auf und ließ seine Dämonen in dokumentarischen Theaterstücken wie "Die Ermittlung" oder "Marat/Sade" unmittelbar auf der Bühne auftreten und machte ihnen zugleich den Prozess. Hier der von Peter Weiss selbst gelesene Anfang des "Marat/Sade"-Stücks:
"Als Direktor der Heilanstalt Charenton heiße ich Sie willkommen in diesem Salon / Wir haben es dem hier ansässigen Herrn de Sade zu verdanken / dass es zu Ihrer Unterhaltung und zur Erbauung der Kranken ein Drama ersonnen und instruiert und es jetzt zur Aufführung ausprobiert / Wir bitten Sie uns Ihre Aufmerksamkeit zu gönnen / doch ihre einzige Bühnenerfahrung / erwarben sie hier in der Verwahrung."
In dem Stück "Marat /Sade", mit dem Weiss erstmals einem größeren Publikum bekannt wurde, zeichnet er ein sadistisches Welttheater, in dem die Prinzipen der Vernunft, der Poesie, der Revolution und auch des Irrsinns gegeneinander gestellt werden - als Szene in dem Irrenhaus, in dem Marquis de Sade auf Befehl Napoleons die letzten Jahre seines Lebens verbringen musste.
Der Direktor der Anstalt war jedoch ein fortschrittlicher Mann und lud die Insassen ein, sich eigene Theaterstücke auszudenken und aufzuführen. Peter Weiss hat eine solche Aufführung erfunden: Sein Theaterstück ist ein Spiel im Spiel und wieder ein Sprengungsversuch, mit Bildern von Gewalt, psychischem Verfall und Tod.
"Um zu bestimmen was falsch ist und was recht ist
müssen wir uns kennen
Ich kenne mich nicht
Wenn ich glaube etwas gefunden zu haben
so bezweifle ichs schon
und muss es wieder zerstören
Was wir tun ist nur ein Traumbild
Von dem was wir tun wollen
und nie sind andere Wahrheiten zu finden
als die veränderlichen Wahrheiten der eigenen
Erfahrungen."
Doch dann verabschiedete sich Weiss von seinen inneren Dämonen und wurde einer der bestimmenden politischen Schriftsteller der Nachkriegsliteratur. Einige Schlüsselerlebnisse von Anfang bis Mitte der 60er Jahre kündigten seinen Wandel an. Ein Erlebnis war der Besuch von Auschwitz.
"Es ist eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam. Ich habe selbst nichts in dieser Ortschaft erfahren. Ich habe keine andere Beziehung zu ihr, als dass mein Name auf den Listen derer stand, die dorthin für immer übersiedelt werden sollten. 20 Jahre danach habe ich diese Ortschaft gesehen."
Als weitere prägende Erfahrung kam später das Ereignis des Vietnam-Kriegs hinzu. Da hatte Weiss schon Karl Marx gelesen und engagierte sich nun auf der Seite der politischen Linken. In seinem Roman "Die Ästhetik des Widerstandes", jüngst als Hörspiel eingerichtet, hat er dieses Engagement auch literarisch zu gestalten versucht.
"Rings um uns hoben sich die Leiber aus Stein, zusammengedrängt zu Gruppen, ineinander verschlungen oder zu Fragmenten zersprengt, mit einem Torso, einem aufgestützten Arm, einer geborstnen Hüfte, einem verschorften Brocken ihre Gestalt andeutend, immer in den Gebärden des Kampfes."
Die Geschichte des Romans besteht darin, dass der Ich-Erzähler, ein junger Arbeiter und Mitglied der Kommunistischen Partei, sich die ganze Geschichte des Kommunismus im 20. Jahrhundert erarbeitet und so den Grund seines Bewusstseins legt. Der Erzähler verlässt dann den Untergrund in Berlin und nimmt in Spanien am Bürgerkrieg teil, wandert anschließend durch Europa und trifft Bertolt Brecht, Herbert Wehner oder den kommunistischen Verleger Willi Münzenberg. Er ist Zeuge wichtigster Ereignisse der Menschheitsgeschichte und Täter zugleich. Da hat Peter Weiss sich eine ideale Wunschbiographie als Biografie des Weltgeistes erschrieben. Solche weit reichende Abstraktion wurde Weiss auch vorgehalten, doch hat kein Kritiker seinen Respekt verhehlen wollen vor der ungeheuren Zähigkeit, ein derart großes Gedankengebäude. Zugleich ein Buch voller Einsamkeit, wie Weiss' Arbeiten überhaupt allesamt einsame Texte sind, geschrieben großenteils in Schweden, wo Weiss seit 1940 bis zu seinem Tod am 10. Mai 1982 lebte. An seinem Gefühl, ein Außenseiter zu sein, hatte auch der Ruhm in der Bundesrepublik seit Mitte der 60er Jahre nichts ändern können.
"Vor mir lag ein Leben völlig abgeschlossen, ein ungeheurer Aufwand von Energien zu Nichts zerflossen, vor mir lag der Leichnam eines Mannes in der Fremde, nicht mehr erreichbar."
Dieser Vater - ein jüdischer Kaufmann, die Familie musste aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrieren - war nun zwar sehr stark, aber gleichzeitig selber auch eine unterentwickelte Person, der seine Kinder nicht aggressiv unterdrückt hat, sondern nur ein bisschen verkümmern ließ. Er pflegte zwar stets den Traum von einem gut funktionierenden Familienleben, doch in der Wirklichkeit der Familie gab es nur fehlenden Sprachaustausch und, wie Weiss schrieb, dadurch entstandene "Enttäuschung und die Unmöglichkeit gegenseitigen Verstehens".
"Im Haus herrschte das Dumpfe, Eingeschlossene, und meine Sinne waren gefangen."
Die Kindheit kam Weiss rückblickend als ein einziges Geschwür vor: Dunkelheit, Misstrauen, Stille. Aus diesem Gefängnis auszubrechen hat Peter Weiss schreibend versucht in Prosatexten wie "Fluchtpunkt", "Das Duell", "Der Schatten des Körpers des Kutschers" und "Das Gespräch der drei Gehenden". Diese Bücher waren Sprengungsversuche mit dem Verlangen, die Dinge zu berühren und die Welt als etwas Elementares zu erleben. Doch er wurde nie wirklich entlassen aus der Gebundenheit an sein Elternhaus, in dem er zu keiner Gewissheit, vor allem nicht zu einer emotionalen Gewissheit kam. Er mag dies gespürt haben, gab das autobiografische Schreiben, das zuweilen in großer Abstraktion ein "dumpfes Warten auf die Katastrophe" ausbreitete, auf und ließ seine Dämonen in dokumentarischen Theaterstücken wie "Die Ermittlung" oder "Marat/Sade" unmittelbar auf der Bühne auftreten und machte ihnen zugleich den Prozess. Hier der von Peter Weiss selbst gelesene Anfang des "Marat/Sade"-Stücks:
"Als Direktor der Heilanstalt Charenton heiße ich Sie willkommen in diesem Salon / Wir haben es dem hier ansässigen Herrn de Sade zu verdanken / dass es zu Ihrer Unterhaltung und zur Erbauung der Kranken ein Drama ersonnen und instruiert und es jetzt zur Aufführung ausprobiert / Wir bitten Sie uns Ihre Aufmerksamkeit zu gönnen / doch ihre einzige Bühnenerfahrung / erwarben sie hier in der Verwahrung."
In dem Stück "Marat /Sade", mit dem Weiss erstmals einem größeren Publikum bekannt wurde, zeichnet er ein sadistisches Welttheater, in dem die Prinzipen der Vernunft, der Poesie, der Revolution und auch des Irrsinns gegeneinander gestellt werden - als Szene in dem Irrenhaus, in dem Marquis de Sade auf Befehl Napoleons die letzten Jahre seines Lebens verbringen musste.
Der Direktor der Anstalt war jedoch ein fortschrittlicher Mann und lud die Insassen ein, sich eigene Theaterstücke auszudenken und aufzuführen. Peter Weiss hat eine solche Aufführung erfunden: Sein Theaterstück ist ein Spiel im Spiel und wieder ein Sprengungsversuch, mit Bildern von Gewalt, psychischem Verfall und Tod.
"Um zu bestimmen was falsch ist und was recht ist
müssen wir uns kennen
Ich kenne mich nicht
Wenn ich glaube etwas gefunden zu haben
so bezweifle ichs schon
und muss es wieder zerstören
Was wir tun ist nur ein Traumbild
Von dem was wir tun wollen
und nie sind andere Wahrheiten zu finden
als die veränderlichen Wahrheiten der eigenen
Erfahrungen."
Doch dann verabschiedete sich Weiss von seinen inneren Dämonen und wurde einer der bestimmenden politischen Schriftsteller der Nachkriegsliteratur. Einige Schlüsselerlebnisse von Anfang bis Mitte der 60er Jahre kündigten seinen Wandel an. Ein Erlebnis war der Besuch von Auschwitz.
"Es ist eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam. Ich habe selbst nichts in dieser Ortschaft erfahren. Ich habe keine andere Beziehung zu ihr, als dass mein Name auf den Listen derer stand, die dorthin für immer übersiedelt werden sollten. 20 Jahre danach habe ich diese Ortschaft gesehen."
Als weitere prägende Erfahrung kam später das Ereignis des Vietnam-Kriegs hinzu. Da hatte Weiss schon Karl Marx gelesen und engagierte sich nun auf der Seite der politischen Linken. In seinem Roman "Die Ästhetik des Widerstandes", jüngst als Hörspiel eingerichtet, hat er dieses Engagement auch literarisch zu gestalten versucht.
"Rings um uns hoben sich die Leiber aus Stein, zusammengedrängt zu Gruppen, ineinander verschlungen oder zu Fragmenten zersprengt, mit einem Torso, einem aufgestützten Arm, einer geborstnen Hüfte, einem verschorften Brocken ihre Gestalt andeutend, immer in den Gebärden des Kampfes."
Die Geschichte des Romans besteht darin, dass der Ich-Erzähler, ein junger Arbeiter und Mitglied der Kommunistischen Partei, sich die ganze Geschichte des Kommunismus im 20. Jahrhundert erarbeitet und so den Grund seines Bewusstseins legt. Der Erzähler verlässt dann den Untergrund in Berlin und nimmt in Spanien am Bürgerkrieg teil, wandert anschließend durch Europa und trifft Bertolt Brecht, Herbert Wehner oder den kommunistischen Verleger Willi Münzenberg. Er ist Zeuge wichtigster Ereignisse der Menschheitsgeschichte und Täter zugleich. Da hat Peter Weiss sich eine ideale Wunschbiographie als Biografie des Weltgeistes erschrieben. Solche weit reichende Abstraktion wurde Weiss auch vorgehalten, doch hat kein Kritiker seinen Respekt verhehlen wollen vor der ungeheuren Zähigkeit, ein derart großes Gedankengebäude. Zugleich ein Buch voller Einsamkeit, wie Weiss' Arbeiten überhaupt allesamt einsame Texte sind, geschrieben großenteils in Schweden, wo Weiss seit 1940 bis zu seinem Tod am 10. Mai 1982 lebte. An seinem Gefühl, ein Außenseiter zu sein, hatte auch der Ruhm in der Bundesrepublik seit Mitte der 60er Jahre nichts ändern können.