Sonntag, 19. Mai 2024

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Einsamer Reicher, pummeliges Mädchen und verrohte Polizisten

Baz Luhrmanns "Der große Gatsby" in 3D eröffnet am Abend die 66. Filmfestspiele in Cannes. Außerdem in dieser Woche neu im Kino: der Abschluss der "Paradies"-Trilogie von Ulrich Seidl und ein Polizeithriller aus Spanien, der demnächst auf DVD herauskommt, aber schon jetzt im Internet zu sehen ist.

Von Hartwig Tegeler | 15.05.2013
    "Der große Gatsby" von Baz Luhrmann

    Der einsame Mann in seiner Villa auf Long Island,

    "Wer ist dieser Gatsby?",

    geheimnisumwittert,

    "Stimmt, er tötet aus Vergnügen und gratis. Jedenfalls ist er reicher als Gott."

    Jay Gatsby, geboren in armen Verhältnissen, nun Multimillionär, ein Neureicher, an jedem Wochenende des Jahres 1922 veranstaltet er rauschende Feste, nur, um seine alte Liebe Daisy, jetzt verheiratet mit einem arroganten Kotzbrocken aus dem alten Geldadel, wiederzugewinnen:
    "Er hat das Haus gekauft, um in ihrer Nähe zu sein."

    Tragisch scheitert der "große Gatsby" in F. Scott Fitzgeralds Roman an seiner Sehnsucht:

    "Jay, man kann die Vergangenheit nicht wiederholen."
    "Die Vergangenheit nicht wiederholen?"
    "Nein."

    Dass Baz Luhrmann in seiner 3-D-Version des "großen Gatsby" einem Vergleich mit der Version von 1974 nicht würde entkommen können, war klar. Interessant an Baz Luhrmanns Gatsby-Figur ist die Exzessivität und Leidenschaftlichkeit, die ihr Leonardo DiCaprio verleiht - im Gegensatz zur steifen Ödnis, die Robert Redford in seiner Darstellung, damals '74, an den Tag legte. DiCaprio - ihm an der Seite als Daisy Carey Mulligan und Tobey Maguire als einziger Freund Nick - spielt sich die Seele aus dem Leib; großartig, fantastisch.

    Was wir hier aber auch sehen, das ist eine extreme Künstlichkeit und Bonbonhaftigkeit des Films. Wenn man diesen "großen Gatsby" gesehen hat und sich einen Tag später fragt, was zurückgeblieben ist von dem monumentalen "Auf-Die-Tonne-Hauen" - untermalt von einem Soundtrack mit Beyoncé, Lana Del Ray oder Florence + The Machine -, dann ist das das Spiel von Leonardo DiCaprio, der wie verzweifelt versucht, nicht von der Dekadenz der Inszenierung in 3D erschlagen zu werden.

    "Der große Gatsby" von Baz Luhrmann - erschlagend, zwiespältig, empfehlenswert.

    "Paradies: Hoffnung" von Ulrich Seidl

    "Was machen Sie eigentlich, wenn Sie kein Arzt sind?"
    "Ich bin immer Arzt. Warum willst du das denn wissen?"

    Ganz einfach, weil Melanie sich verknallt hat in ihn, den Arzt des Diätcamps. Hier verbringt das pummelige Mädchen mit anderen Dicken zwecks Abnehmens die Sommerferien.
    "Hoffnung" ist der Titel des dritten Teils von Ulrich Seidls "Paradies"-Trilogie. Melanie ist die Tochter der Frau, die in "Paradies: Liebe", dem ersten Teil, auf Sexurlaub in Kenia weilt - während wir ihre Tochter jetzt im Diätcamp sehen -, Melanie ist außerdem die Nichte der bigotten Katholikin in "Paradies: Glaube". Aber im Gegensatz zu den Alltagshöllen in den ersten Filmen wirft Ulrich Seidl in "Paradies: Hoffnung" einen nahezu milden Blick auf seine Protagonistin. Fast leicht und vergnügt zeigt er Melanie und ihre Zimmergenossinnen beim Austausch über erste Liebeserfahrungen, bei geheimen Fressattacken in der Küche, und Seidl demonstriert, wie die Absurdität des Camps an den Jugendlichen quasi abprallt. Das scheint hoffnungsvoll, aber bei genauerem Hinsehen ist die Düsternis des Lebens von Melanies Mutter und Tante schon im Keim angelegt. Die Hoffnung auf eine Erwiderung der Liebe des Arztes nämlich wird schal angesichts von Melanies Angst:

    "Er findet mich sicher zu dick und so."
    "So ein Blödsinn."

    Melanies Traum von ihrem Paradies ist am Ende gescheitert wie das ihrer Mutter beim Sex-Urlaub in Kenia. Dass ihre Naivität, die noch manches abfedert, abgeschliffen wird durch die Realität, darauf zielt Ulrich Seidl mit seinem gnadenlosen Blick ab.

    "Paradies: Hoffnung" von Ulrich Seidl - radikal, desillusionierend, herausragend.

    "Kings of the City" von Alberto Rodriguez

    "Hände hoch!"
    "Hier nimm es. Ist für dich, wenn du mich gehen lässt."

    1987, noch fünf Jahre bis zur Weltausstellung in Sevilla. Bis dahin soll das neue, gelackte Bild der Innenstadt kein Junkie und keine Hure stören. Eine Sisyphosaufgabe für die vier Beamten der Drogen-Sondereinheit, zu der am Anfang von Alberto Rodriguez Cop-Thriller "Kings of the City" Angel stößt, das klassische Greenhorn, das schnell lernt.

    "Na los, kommt schon raus. Seht euch an, wer hier ist. Wir sind's hier, die Einheit 7. Und hier verkauft nicht einmal Gott."

    Alberto Rodriguez zeigt eindrucksvoll und beklemmend die Verrohung der Polizisten, die dem eigenen Größenwahn erliegen und zu immer brutaleren Methoden greifen, um Sevilla zu säubern. Und wo jeder Willkürakt der "Einheit 7" gedeckt wird von der politischen Administration:

    "Was soll ich mit Ihnen beiden machen."
    "Na, das was Sie immer tun: wegsehen!"

    "Kings of the City" zeichnet ein düsteres Bild vom Staat und den Polizisten, für die sich die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch vollkommen verwischt hat. Der Zweck heiligt die Mittel. 1992 dann,

    "Die Weltausstellung von Sevilla ist hiermit eröffnet."

    Das Ziel ist erreicht, die Stadt gesäubert, sitzen die Polizisten in ihrer alten Kneipe beim Bier. Sie sind ausgehöhlt. Eine böse Botschaft. Die machtbesessenen "Könige der Stadt", sie haben sich selbst zerstört.

    "Kings of the City" von Alberto Rodriguez, ab Anfang Juni als DVD, jetzt schon als Online-Stream erhältlich - herausragend.
    Melanie (Melanie Lenz) verliebt sich im Diätcamp in den 40 Jahre älteren Arzt (Joseph Lorenz). Nur mit Berichterstattung über Film
    Melanie (Melanie Lenz) verliebt sich im Diätcamp in den 40 Jahre älteren Arzt (Joseph Lorenz). (Neue Visionen Filmverleih)