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Einschaltquoten
Immer weniger Appetit auf Sport

Markante Verluste bei den Einschaltquoten signalisieren in den USA und in England in diesem Herbst, dass Sport mit seinen Live-Übertragungen im Fernsehen an die Grenze des Wachstums gestoßen ist. Vielleicht ist das Interesse an den Live-Spielen sogar schon über den Zenit hinaus.

Von Jürgen Kalwa | 30.10.2016
    NFL-Gastspiel in London: New York Giants gegen Los Angeles Rams
    NFL-Gastspiel in London: New York Giants gegen Los Angeles Rams (dpa/picture-alliance/EPA/GERRY PENNY)
    Die Faszination für Sport im Fernsehen schien lange Zeit ein Spiel ohne Grenzen. Das Publikum wuchs beständig. Und ein Ende dieses Wachstums schien nicht abzusehen. Umso überraschender ist eine Entwicklung, die sich in diesem Jahr zum ersten Mal abzeichnet: ein markanter Sinkflug bei den Einschaltquoten äußerst erfolgreicher Sportangebote.
    Beispiel Nummer eins: Das Interesse des amerikanischen Publikums an den Olympischen Spielen in Rio. Das sackte im Vergleich zu London 2012 um neun Prozent ab. Kann passieren. Aber hier ist Beispiel Nummer zwei: die National Football League, die umsatztstärkste Liga der Welt. Deren Zuschauerschwund liegt in dieser Saison sogar bei zwölf Prozent.
    Auch Premier League verliert Zuschauer
    Noch signifikanter allerdings ist der Einbruch beim Beispiel Nummer drei: der englischen Premier League. Sie verlor in der neuen Spielzeit 19 Prozent ihrer Fernsehzuschauer. Erste Bestandsaufnahmen klingen kurios bis ratlos. NFL-Commissioner Roger Goodell etwa bestritt vor ein paar Tagen einfach die Realität. Er sagte: "Wir glauben nicht, dass wir Zuschauer verloren haben. Man muss bei Einschaltquoten etwas tiefer schauen."
    Goodells Argument: Die weniger gewordenen Zuschauer sind innigere Zuschauer. Sie kleben länger an der Glotze. Abgesehen davon ist Wahlkampf in den USA. Und Donald Trump und Hillary Clinton absorbieren fraglos sehr viel Aufmerksamkeit. Professor Victor Matheson von der Universität Holy Cross in Worcester/Massachusetts, Wirtschaftswissenschaftler und Experte in Sachen Sportbusiness, sagt: "Statt zu verfolgen, wie sich Spieler beim Football die Köpfe einschlagen, widmen wir uns Leuten, die sich im Wahlkampf attackieren. Das hat schon in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass die NFL-Einschaltquoten sinken. Aber nicht so stark."
    Wenige Zuschauer trotz großer Spannung
    Die Talfahrt in der Premier League kann damit ohnehin nichts zu tun haben. Grant Wahl, Fußballspezialist des amerikanischen Fachmagazins Sports Illustrated sieht das Problem in der Übersättigung: "Zu viele Spiele, zu viele Sendetermine. Nach samstags, sonntags und montags in diesem Jahr auch noch freitags. Das ist vielleicht einfach zuviel. Da fehlt der Charakter des Besonderen.”
    Dabei gibt es eigentlich genug eingebaute Spannung. Zum Beispiel durch die Trainerfiguren Mourinho, Guardiola und Klopp und die Frage: Wird Meister Leicester City doch noch wach und mischt oben mit?
    Aber das reicht womöglich nicht mehr. Denn es zeichnen sich neue Nutzerverhalten ab. Fast alle Spiele kann man - legal und illegal – live auch übers Internet verfolgen – am Computer oder an Mobilgeräten. Man kann sie aus digitalen Speichern abrufen und später anschauen. Und sich dabei bequem durch Spiele zappen und aufs Wesentliche beschränken. Für Ligen und Medienunternehmen keine positive Entwicklung, sagt Professor Matheson: "Online lässt sich bislang nur ein Bruchteil dessen finanziell einspielen, was man über Fernsehverträge erzielen kann."
    Kritik aus der Werbung
    Wir reden von mehreren Milliarden Euro pro Jahr, die irgendwann fehlen könnten. Egal, ob – wie in England – die zahlende Fernsehkundschaft abnimmt oder – wie in Amerika - die Werbewirtschaft aufmuckt, weil die Quoten nicht mehr stimmen. Denn irgendwann werden es auch die Ligen zu spüren bekommen.
    Selbst die NBA, die im letzten Winter zum ersten Mal seit langem ein Quotenplus verzeichnen konnte, muss mit Gegenwind rechnen. Denn ihre Spiele werden in den USA hauptsächlich auf zwei Kabelkanälen übertragen – ESPN und TNT. Und diese Sender kämpfen gegen einen anderen Trend: "cord-cutting". Der Fachbegriff für das Verhalten von Amerikanern, von denen Millionen jedes Jahr ihre Anschlüsse kündigen, weil sie nicht mehr die 100 Dollar im Monat für das Vergnügen bezahlen wollen.
    Und die Zukunft? Junge Medienkonsumenten haben schon jetzt ganz andere Ideen und Gewohnheiten, sagt Brett Molina von USA Today, der sich mit Online-Technologie beschäftigt. "Viele junge Leute nutzen Smartphones und Tablets und sitzen gar nicht mehr vor dem Fernsehapparat. YouTube ist außerordentlich beliebt. Und es kostet nichts. Und dafür brauchen sie auch gar kein Fernsehen."
    Was also heißt: Sie interessieren sich sehr viel weniger für Live-Sport im Fernsehen. Sie spielen. Aber in ihrer eigenen Liga.