Neubauer hat sie als Meditationen angelegt. Sie führen in die Stille. "So wenig wie hier wird nirgendwo gesprochen", heißt es einmal; und ein andermal: Man verliere nicht nur die Freiheit, sondern auch die Ehre, und das eigene Ich. Hans-Joachim Neubauer hat einen überzeugenden Weg gefunden, um aus der Stille die Stimme des so oder so Versehrten Lieh? zu Wort kommen zu lassen. Neubauer läßt zwei grammatische Positionen sprechen. Die unter der Position "er" Sprechenden erkunden das Gelände des Gefängnisses, die Gegenwart. Wenn dagegen ein "Ich" spricht, geht es um seine Vergangenheit, um ein Verbrechen oder um den großen Coup, es geht um Schuld, Reue -und immer wieder um die Macht der Zeit: Das Vergangene ist nicht ungeschehen zu machen, die Zukunft ist nicht offen; die Gegenwart schließlich wird als uferloses Meer an Zeit empfunden, in dem man ertrinkt. Einschluss ist ein Text voller Schattierungen und Facetten; Stimmungen und Klangfarben wechseln, und doch ist das Buch, wohl | durch die strenge Form, ein Ganzes geworden. Die Lektüre löst auf alle Fälle eine Reihe von Reaktionen aus, und die Pallette reicht von Sympathie - wer hat denn noch nie seine kriminelle Fantasie spielen lassen - bis zu Ratlosigkeit und Mitleid.
Sympathie: Da gibt es Leute, die eine saturierte bürgerliche Existenz langweilig wie den Tod gefunden haben. Man lernt etwa einen Einbrecher kennen, der seine Tätigkeit aus dem einschlägigen familiären Hintergrund herleitet, ein Onkel brachte ihm das räuberische Handwerk bei, und natürlich hat er seine Berufsehre, arbeitet ohne Waffen, läßt die Privatspäre der Leute in Ruhe, raubt nur Supermärkte aus. Ein anderer, Autodieb, spricht mit sportlichem Ehrgeiz und wirklicher Liebe zur Sache davon, wie man Autos knackt; eine wertvolle Zeit, die er nicht missen möchte. Oder der falsche Autobahnpolizist, der dem Staat in Sachen Rasern unter die Arme greift, indem er mittels Blaulicht am eigenen Auto, selbstgebasteltem Polizeiausweis und Kelle diverse Verkehrssünder stellt und ihnen saftige, sofort zahlbare Geldstrafen abverlangt. Oder das organisierte Verschieben von Autos mit Einverständnis der Bestohlenen, keinerlei Anwendung von Gewalt, nur die Versicherung wurde geschädigt, alle anderen waren zufrieden und glücklich, heißt es, und später, verärgert über die Richter, Zitat: "Das Eigentum wurde angegriffen, und da verstanden sie keinen Spaß. Elf Jahre, dafür kann ein anderer einen umbringen. Das hat doch mein Rechtsempfinden empfindlich gestört. Je mehr man sich Mühe gibt, Konfrontationen zu vermeiden, umso höher ist das Strafmaß".
Es kommt schon sehr auf die Art des Verbrechens an, wie darüber gesprochen wird. Vielleicht kann man sagen: Je weniger einer mit seiner Tat fertig geworden ist, desto eher gebraucht er den tendenziell abstrakten, ummantelnden anonymen Sozialarbeiterjargon oder das Bürokratendeutsch: Da ist dann etwa die Rede davon, man müsse "an seinen Problemen arbeiten", habe etwas "billigend in Kauf genommen", wolle nicht noch einmal "straffällig" werden. Die Sprache spiegelt auch wieder, wie schwer es ist, zu verstehen, was man getan hat, oder was "passiert" ist. Einer hat einem ändern das Leben genommen. Jetzt sagt er, Zitat: "Ich hätte, bevor ich die Tat gemacht habe, die Tat nicht machen brauchen. Machen wollen oder machen sollen, das ist die Frage. Aber: Ich wollte es nicht machen, ich sollte es aber auch nicht machen. Das ist zwischen machen und machen sollen. Das kann man so nicht erklären. Man kann nur sagen: Mich hat keiner angestiftet." Irgendwo zwischen Freiheit und Zwang scheint so etwas wie die Schuld zu liegen, schreibt Neubauer, und die Gefangenen, mit denen er spricht, kommen ihrerseits oft darauf, wie ungeheuerliche Folgen ein Moment, ein Aussetzer, für ihre Opfer und sie selbst hat. Und, dass man nichts ungeschehen machen kann. Vielleicht ist das die größte Strafe. Einer, der wegen eines "Sittlichkeitsvergehens" verurteilt wurde, spendet Geld an Frauen. Viele Gefangene werden krank. Das Gefängnis ist kein guter Ort, um krank zu werden, auch das wird einem mit Nachdruck klargemacht. Ohne daß die Gefangenen sonderlich klagen, erfährt man Details über den Knastalltag, die das populistische Geschwätz vom "Hotelvollzug", den man durch "Arbeitslager" ersetzen müsse, Lügen strafen.
Hans Neubauer hat eine Thematik, die man reißerisch behandeln könnte, auf ganz eigene Weise bearbeitet. Er maßt sich nicht an, die Leute und ihre Taten zu bewerten. Sein Buch ist still, behutsam, man möchte sagen: Achtungsvoll für diejenigen, die da zu Wort kommen. Es wirkt, als achte er sie, ganz einfach weil sie menschliche Wesen sind wie er auch, weggeschlossene bestrafte Zeitgenossen, die wie er zwei Augen, zwei Ohren, ein Herz und so weiter haben. Das Buch drängt einen nicht dazu, den Ärger von Bestohlenen, Betrogenen, das Leid von Gewaltopfern oder den Schmerz der Angehörigen von Toten zu vergessen. Dafür rätseln die Gefangenen viel zu sehr, was es war, was sie zu Tätern, zu Schuldigen hat werden lassen, denen man zur Strafe ihre Freiheit genommen hat. Und so kann man es verstehen, wenn Neubauer in seiner Danksagung an die Gefangenen in tiefem Ernst davon spricht, er habe viel von ihnen gelernt; spricht über das Glück, das ihnen fehlte, und das er ihnen wünschte.