Wer Friedrich Sieburgs "Gott in Frankeich?" zur Hand nimmt, muss sich auf allerhand gefasst machen. Warum? Zunächst wegen Sieburgs Stil. Es ist der Tonfall einer uns fremden, versunkenen Epoche – aber welche Kraft und welche Eleganz steckt in dieser Sprache! Bald stellt sich allerdings ein anderes Befremden ein, denn Sieburg kann, Eleganz hin oder her, durchaus zum Grobian werden. Stellenweise urteilt er so entschieden über "die" Franzosen, dass wenig Raum bleibt für Schattierungen. So verschlägt es uns den Atem, wenn wir lesen, dass der französische Zivilisationsbegriff "alles, was sich ihm nicht unterwerfen will, außerhalb der menschlichen Gesinnung" stelle. Was Sieburg übrigens ebenso kurz und bündig auf Johanna von Orléans zurückführt wie Frankreichs Unfähigkeit, mit irgendeiner anderen großen Nation auf Dauer befreundet zu sein, seine ewige Gereiztheit, seine übelnehmerische Unruhe, sein Trieb, sich jeder auch noch so geringfügigen politischen oder kulturellen Bewegung als Führer aufzudrängen.
Solche Sätze sind, von heute aus gesehen, starker Tobak. "Gott in Frankreich?", 1929 erschienen, ist zweifellos Sieburgs bekanntestes Buch. Warum er über Frankreich schrieb, dafür nennt er einleitend 33 Gründe. Einer lautet:
Weil ich schwach genug bin, mich in einem altmodischen und unordentlichen Paradies lieber aufzuhalten als in einer blitzblanken und trostlosen Musterwelt.
Nach dem Krieg ist Sieburg vorgeworfen worden, er habe deutsche Kraft und Dynamik ausspielen wollen gegen französische Erschlaffung, das sei in Wahrheit seine Triebfeder gewesen. Die Lektüre des Buches bietet dafür freilich keinen Beleg. Der Vorwurf war eher eine Zuschreibung ex post, genährt aus Sieburgs uneindeutiger Haltung zum Nationalsozialismus. Sieburg verhielt sich nach 1933 wie viele – er war kein glühender Nazi, aber auch kein Widerständler. Einerseits stellte er einen Mitgliedsantrag bei der NSDAP, der abgelehnt wurde, andererseits verboten die Machthaber zwei seiner Bücher. "Gott in Frankreich?" konnte hingegen weiter erscheinen.
Später beschrieb Sieburg den schmalen Grat, auf dem er sich bewegte: Ja, er habe drei Stellen gestrichen, die der Zensur möglicherweise missfallen hätten. Andererseits habe er nur so das Buch vor dem Verbot retten und dadurch weiter Zeugnis ablegen können "von der helleren Gegenwelt und der Unzerstörbarkeit der menschlichen Person". Wer, die Umstände seiner Entstehung bedenkend, das Buch heute liest, kommt nicht umhin, Sieburgs stupende Bildung zu bewundern. Kein Aspekt bleibt unerwähnt, von der französischen Geschichte über Literatur und Politik bis zum Autoverkehr und – natürlich – dem Essen. Sieburg schreibt:
Glücklicherweise liegt für den Franzosen nichts sozial Anrüchiges darin, sich einer wohlbestellten Tafel hinzugeben, denn er weiß sein Land reich an Korn, Wein und allem Essbaren, er kennt die Milde seiner Jahreszeiten ebenso gut wie die Eigentümlichkeit auch seiner ärmsten Landsleute, zuletzt am Essen zu sparen.
Sieburg beobachtet genau, und seine Haltung gegenüber unseren Nachbarn durchzieht eine Grundsympathie, manchmal fast schwärmerische Bewunderung, trotz schneidiger Urteile im Einzelnen. Seine stilistische Brillanz hat freilich einen Preis. Weil er glänzend schreiben kann, vernarrt er sich gelegentlich so in seine Formulierungskunst, dass er seinen Gegenstand vergisst – etwa wenn er die Seelenqual Pariser Damenschneiderinnen analysiert, die für das Geheimnis, eine Kundin zu misshandeln und ihr gleichzeitig doch ein Kleid zu verkaufen, ihr ganzes Vermögen geben würden.
Großartig beschrieben, aber sind römische oder New Yorker Damenschneiderinnen wirklich völlig anders? Dennoch: Die Lektüre des leider vergriffenen Buches lohnt allemal. Es ist ein Schatzkästlein brillant formulierter Einsichten über Frankreich und die Franzosen. Über manches ist die Zeit hinweggegangen, aber vieles bleibt. Zum Beispiel der Wunsch, dass mit jeder Deutung Frankreichs die Hoffnung oder doch wenigstens das Verlangen in uns wächst, dies Land möge mit uns gemeinsam die Reise in die Zukunft antreten – zu seinem Glücke und dem unseren.
Werner D'Inka über: "Friedrich Sieburg: Gott in Frankreich? Ein Versuch", das 358-Seiten starke Buch erschien 1929 im Societäts-Verlag und ist heute nur noch im Antiquariat erhältlich, ISBN 978-3-797-30320-2.
Solche Sätze sind, von heute aus gesehen, starker Tobak. "Gott in Frankreich?", 1929 erschienen, ist zweifellos Sieburgs bekanntestes Buch. Warum er über Frankreich schrieb, dafür nennt er einleitend 33 Gründe. Einer lautet:
Weil ich schwach genug bin, mich in einem altmodischen und unordentlichen Paradies lieber aufzuhalten als in einer blitzblanken und trostlosen Musterwelt.
Nach dem Krieg ist Sieburg vorgeworfen worden, er habe deutsche Kraft und Dynamik ausspielen wollen gegen französische Erschlaffung, das sei in Wahrheit seine Triebfeder gewesen. Die Lektüre des Buches bietet dafür freilich keinen Beleg. Der Vorwurf war eher eine Zuschreibung ex post, genährt aus Sieburgs uneindeutiger Haltung zum Nationalsozialismus. Sieburg verhielt sich nach 1933 wie viele – er war kein glühender Nazi, aber auch kein Widerständler. Einerseits stellte er einen Mitgliedsantrag bei der NSDAP, der abgelehnt wurde, andererseits verboten die Machthaber zwei seiner Bücher. "Gott in Frankreich?" konnte hingegen weiter erscheinen.
Später beschrieb Sieburg den schmalen Grat, auf dem er sich bewegte: Ja, er habe drei Stellen gestrichen, die der Zensur möglicherweise missfallen hätten. Andererseits habe er nur so das Buch vor dem Verbot retten und dadurch weiter Zeugnis ablegen können "von der helleren Gegenwelt und der Unzerstörbarkeit der menschlichen Person". Wer, die Umstände seiner Entstehung bedenkend, das Buch heute liest, kommt nicht umhin, Sieburgs stupende Bildung zu bewundern. Kein Aspekt bleibt unerwähnt, von der französischen Geschichte über Literatur und Politik bis zum Autoverkehr und – natürlich – dem Essen. Sieburg schreibt:
Glücklicherweise liegt für den Franzosen nichts sozial Anrüchiges darin, sich einer wohlbestellten Tafel hinzugeben, denn er weiß sein Land reich an Korn, Wein und allem Essbaren, er kennt die Milde seiner Jahreszeiten ebenso gut wie die Eigentümlichkeit auch seiner ärmsten Landsleute, zuletzt am Essen zu sparen.
Sieburg beobachtet genau, und seine Haltung gegenüber unseren Nachbarn durchzieht eine Grundsympathie, manchmal fast schwärmerische Bewunderung, trotz schneidiger Urteile im Einzelnen. Seine stilistische Brillanz hat freilich einen Preis. Weil er glänzend schreiben kann, vernarrt er sich gelegentlich so in seine Formulierungskunst, dass er seinen Gegenstand vergisst – etwa wenn er die Seelenqual Pariser Damenschneiderinnen analysiert, die für das Geheimnis, eine Kundin zu misshandeln und ihr gleichzeitig doch ein Kleid zu verkaufen, ihr ganzes Vermögen geben würden.
Großartig beschrieben, aber sind römische oder New Yorker Damenschneiderinnen wirklich völlig anders? Dennoch: Die Lektüre des leider vergriffenen Buches lohnt allemal. Es ist ein Schatzkästlein brillant formulierter Einsichten über Frankreich und die Franzosen. Über manches ist die Zeit hinweggegangen, aber vieles bleibt. Zum Beispiel der Wunsch, dass mit jeder Deutung Frankreichs die Hoffnung oder doch wenigstens das Verlangen in uns wächst, dies Land möge mit uns gemeinsam die Reise in die Zukunft antreten – zu seinem Glücke und dem unseren.
Werner D'Inka über: "Friedrich Sieburg: Gott in Frankreich? Ein Versuch", das 358-Seiten starke Buch erschien 1929 im Societäts-Verlag und ist heute nur noch im Antiquariat erhältlich, ISBN 978-3-797-30320-2.