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"Einsparungen schlagen durch auf das Produkt"

Die wirtschaftliche Situation vieler Zeitungsverlage ist angespannt: Sinkende Auflagenzahlen und immer weniger junge Leser haben Einsparungen zu Folge, auch bei den Gehältern. Der Medien-Experte Horst Röper warnt vor einem Teufelskreis, unter dem letztlich die Inhalte leiden.

Horst Röper im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.05.2011
    Tobias Armbrüster: Neben Libyen, der FDP und dem Eurovision Song Contest gibt es in vielen deutschen Zeitungsredaktionen in diesen Tagen ein großes Thema, über das alle reden, aber über das kaum jemand schreibt: die Tarifverhandlungen zwischen den Zeitungsverlegern und den Interessenvertretern der Journalisten. Die Redakteure fordern in diesen Verhandlungen vier Prozent mehr Gehalt, die Arbeitgeber sind dagegen überhaupt nicht bereit, über eine Erhöhung zu sprechen, sie wollen die Gehälter im Gegenteil eher senken, und zwar besonders drastisch bei den Berufseinsteigern. Junge Redakteure sollen demnach künftig alles in allem rund 20 Prozent weniger verdienen als ihre älteren Kollegen. In der vergangenen Woche haben nun die Redakteure in Tageszeitungen zum ersten Mal mit Warnstreiks geantwortet, unter anderem bei der "Süddeutschen Zeitung" und bei der WAZ Mediengruppe, aber trotzdem ist bislang keine Annäherung in Sicht.

    Bei diesem Thema geht es allerdings um sehr viel mehr als das Gehalt von Zeitungsredakteuren, deshalb wollen wir das Ganze mit einem Fachmann besprechen. Am Telefon ist Horst Röper, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer des Forschungsinstituts Formatt. Er hat sich intensiv mit der deutschen Zeitungslandschaft beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Röper!

    Horst Röper: Ich grüße Sie!

    Armbrüster: Herr Röper, wieso liegen bei diesen Tarifverhandlungen die Angebote der beiden Seiten so weit auseinander?

    Röper: Nun, einfach deshalb, weil die beiden Journalistengewerkschaften teilhaben wollen an dem wirtschaftlichen Aufschwung, und ähnlich wie ihre Kollegen von anderen Gewerkschaften also deutlich höhere Lohnzuwächse erzielen wollen als in den letzten eher ja mageren Jahren für die Beschäftigten. Und die Verleger verweisen darauf, auf die gesamtwirtschaftliche Lage am Zeitungsmarkt, und wollen von daher die Journalistengehälter heftig kappen. Also hier gehen beide sehr weit auseinander und ich fürchte, das wird auch noch sehr lange dauern, bis man da eine gemeinsame Linie für die Zukunft gefunden hat.

    Armbrüster: Haben die Verleger denn recht, ist in Deutschland mit Tageszeitung kein Geld mehr zu verdienen?

    Röper: Nein, so sicherlich nicht. Deutschland hat immer noch einen sehr intensiven Zeitungsmarkt, jedenfalls im Vergleich mit dem Ausland. Aber die Verleger haben zwei große Problembereiche, das eine ist, die Werbung sprudelt nicht mehr so, wie das in früheren Jahren der Fall war, und die Zeitungsverlage sind eben von Werbeeinnahmen hochgradig abhängig. Nicht mehr so stark wie früher, aber 50 Prozent der Einnahmen stammen auch heute noch aus der Werbung, früher waren das mal zwei Drittel. Und zum anderen bröckelt ihnen die Auflage weg, das heißt also in Sonderheit, Zeitungen erreichen die jüngeren Leser nicht mehr. Und daher haben wir seit nunmehr 15 Jahren anhaltend Auflagenverluste, jedes Jahr, nicht gerade happig, aber etwa zwei Prozent. Also in den letzten 15 Jahren ist ein Großteil der Auflage der deutschen Tagespresse dahingesiecht.

    Armbrüster: Betrifft das gleichmäßig alle Tageszeitungen, oder kommen die großen da etwas besser weg?

    Röper: Nein, auch die großen kommen nicht besser weg, sondern wir haben regional ein paar kleinere Unterschiede, aber in der Tendenz sind alle Zeitungen davon betroffen, ob nun kleine Lokalzeitungen oder große überregionale Titel. Das ist ein bisschen unterschiedlich zum Beispiel, ob es Kaufzeitungen sind oder Abonnementzeitungen, die Kaufzeitungen wie "Bild" und andere haben noch erheblich mehr verloren als die Abonnementzeitungen. Aber betroffen von diesem Aderlass, von dieser Auflagenrückentwicklung sind alle Titel.

    Armbrüster: Sie haben jetzt schon, Herr Röper, dass junge Leute weniger Zeitung lesen, dass das ein großes Problem ist für die Verlage. Kann man denn sagen, dass die Zeitungsverleger in den vergangenen Jahren ein paar Entwicklungen verschlafen haben?

    Röper: Na ja, sicherlich sind Fehler gemacht worden, und im Nachhinein wissen das auch alle. Also beispielsweise ist in vielen Häusern zu spät in das Internet investiert worden, dann haben sich die Verleger insgesamt darauf eingelassen, das Internet zu einem No-Price-Medium zu machen, also sie verdienen nichts, die Leistungen werden kostenlos abgegeben, nun versuchen Einzelne, eben auch bepreiste Angebote durchzusetzen, aber derzeit ist eben im Internet nichts zu verdienen, sondern ganz im Gegenteil, die Kosten übersteigen die Erlöse. Und auch das verschärft natürlich die wirtschaftliche Situation bei den Zeitungsverlagen. Nun ist es nicht so, dass die gesamte Branche darbt, aber sie verdient eben deutlich weniger, als das beispielsweise in den fetten 90er-Jahren der Fall war. Damals hatten wir Renditen bei Zeitungsverlagen durchaus von 20 oder auch 25 Prozent, also ungeheuer hoch, und mancher Verleger will eben diese goldenen Jahre wieder erreichen. Nur das scheint mir eben bei den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen heute unmöglich.

    Armbrüster: Wenn ich jetzt, Herr Röper, heute Morgen mal ins Internet gucke, ich finde da jede Menge Zeitungsartikel natürlich zu allen aktuellen Themen, auch zu denen, die uns heute beschäftigen. Warum können sich die Zeitungsverlage nicht darauf einigen, dass sie alle ihre Artikel nur noch gegen Bezahlung im Internet veröffentlichen?

    Röper: So homogen ist die Gruppe der Zeitungsverleger in der Bundesrepublik nicht, sondern es gibt natürlich auch da immer noch Wettbewerb. Der eine glaubt sich eben im Internet besser aufgestellt als der andere, insofern, hier zu einer gemeinsamen Handlungsweise zu finden, ist schwierig. Hinzu kommt, wir haben natürlich Angebote nicht nur von Zeitungsverlagen, sondern auch von anderen. Und solange die eben kostenlos im Internet stehen – ob sie nun von den öffentlich-rechtlichen Anbietern kommen oder auch von den privaten Rundfunkanstalten beispielsweise –, wird es schwer sein für ein ähnliches Produkt, eben Preise zu verlangen. Das heißt, die Zeitungsverlage können wohl nur das bepreisen im Internet, was sie eigentlich einbringen, also exklusive Ware. Diese exklusiven Waren haben in Sonderheit eben die lokalen, regionalen Zeitungen im lokaljournalistischen Bereich.

    Armbrüster: Wenn also die Einnahmen der Zeitungsverleger sinken, heißt das dann, dass auch die Gehälter der Redakteure tatsächlich sinken müssen?

    Röper: Also wir haben natürlich Rationalisierungseffekte in den Zeitungsverlagen genau wie in jeder anderen Industrie in den letzten Jahrzehnten in heftigem Umfang erlebt. Bislang betrafen sie, in den 90er-Jahren vor allem – die Technik, also da hat es Rationalisierungseffekte gegeben, nun sind die Relationen in erheblichem Maße betroffen, und das anhaltend schon einige Jahre. In den meisten Redaktionen sieht es nach meiner Einschätzung heute so aus, dass wir da eben kein Fett mehr haben, also kein Missmanagement oder Ähnliches, sondern dass Einsparungen, die nun in den Redaktionen vollzogen werden, durchschlagen auf das Produkt. Wir haben schlechtere Qualität. Schlechtere Qualität heißt dann, dass ein weiterer Leser, ein weiterer Abonnent abspringt. Also wir nähern uns einem Teufelskreis, geringere Einnahmen heißt geringere Investition, geringere Investitionen bedeuten weniger Leser und damit noch weniger Einnahmen. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen wird notwendig sein, ist bei einzelnen Zeitungen sicherlich auch existenziell. Und da wird man auch über andere Lösungen nachdenken müssen, wie man eben Zeitungen am Leben erhält. Ich denke, sie sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar.

    Armbrüster: Aber nicht mit sinkenden Gehältern für Redakteure?

    Röper: Das wird nicht funktionieren, denn ich glaube, wir schneiden uns nicht nur ins Fett, sondern in die Muskeln, und das würde bedeuten, wir hätten noch höhere Auflagenverluste. Also man muss neue Erlösquellen finden, da muss unter Umständen auch Staat eingreifen, um zu verhindern, dass diese oder die andere Zeitung in den Konkurs geht.

    Armbrüster: Der Medienwissenschaftler Horst Röper war das hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke, dass Sie Zeit für uns hatten, Herr Röper, und auf Wiederhören!