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Einstein hilft

Neurowissenschaften. - Mit so genannten Brain-Computer-Interfaces kann man inzwischen Computer durch Gehirnimpulse steuern. Bislang war die Anwendung allerdings ziemlich fehlerbehaftet. Einer deutschen Wissenschaftlerin ist es nun gelungen die Fehlerquote deutlich zu senken – dabei hat ihr das Gesicht Einsteins geholfen.

Von Kristin Raabe | 05.10.2012
    Ein blauer Hintergrund, eine verwaschene grüne Fläche in der Mitte und ein rotes Viereck in der rechten unteren Ecke. Das Bild, das nach und nach auf dem Monitor entsteht, erinnert an Kandinski. Nur, dass die Malerin Heide Pfützner keinen Pinsel benutzt, um zu malen. Das könnte sie auch gar nicht, denn durch eine Nervenkrankheit ist sie fast vollständig gelähmt. Sie wird beatmet und künstlich ernährt. Heide Pfützner malt mit ihren Gehirnwellen. Damit das funktioniert, hat ihr ihre Pflegerin eine Haube mit EEG-Elektroden am Kopf befestigt. Diese messen die Gehirnwellen der gelähmten Künstlerin. Die Signale der Elektroden werden über einen Verstärker an einen Computer weitergeleitet, der sie auswertet und schließlich die von Heide Pfützner gewünschten Farben und Formen auf dem Bildschirm erscheinen lässt. Brain-Painting nennt sich diese Form des Malens.

    "Ich brainpainte so dreimal die Woche, gelegentlich aber öfter. Wenn es nur nach mir ginge, würde ich jeden Tag malen. Therapien und Ruhepausen müssen jedoch sein und man muss eben frisch und munter sein, um sich konzentrieren zu können. Sonst geht es schief und gibt Ärger mit dem Ego."

    Weil Heide Pfützner schon seit drei Jahren keine Stimme mehr hat, übernimmt ein Computer das Sprechen für sie. Die Auswahl ihrer Malwerkzeuge trifft sie auf einem zweiten Monitor. Dort erscheint eine Auswahlfläche mit Symbolen oder Buchstaben für Farben oder Formen. Außerdem kann sie über die Deckkraft entscheiden, die Pinseldicke und verschiedene andere Parameter. Heide Pfützner muss sich dabei immer auf das Feld konzentrieren, für das sie sich entschieden hat. Gleichzeitig lässt der Rechner die einzelnen Felder der Auswahlliste in willkürlicher Reihenfolge aufleuchten. Fällt diese zufällige Auswahl auf jenes Feld, das Heide Pfützner anvisiert, dann erkennt der Computer das an einer Art "Aufflackern" im Gehirn der Künstlerin. Die Psychologin Andrea Kübler hat das Brain-Painting an der Universität Würzburg entwickelt. Sie bezeichnet das "Aufflackern" im Gehirn als so genannte P300.

    "P steht für Positiv und die 300 für 300 Millisekunden. Also im EEG zeichnen sie eigentlich Spannungsschwankungen auf und es ist eine Spannungsschwankung, die tritt auf charakteristischerweise 300 Millisekunden nach einem Stimulus. Also da kommt etwas Neues und auf dieses Neue reagiert ihr Gehirn mit einer sogenannten P300."

    Wenn Heide Pfützner ihr gewähltes Feld auf der Auswahlliste fixiert und genau dieses Feld kurz aufleuchtet, bildet sich in ihrem Gehirn ganz automatisch eine P300. Das funktioniert leider nicht immer. Um die Fehlerquote zu vermindern nutzt Andrea Kübler seit kurzem noch weitere Hirnsignale: Die sogenannten N400 und N170. Das sind Ausschläge in den Hirnwellen, die beim Erkennen von Gesichtern auftreten. Für ihr Experiment hat Andrea Kübler das berühmte Bild Einsteins mit der herausgestreckten Zunge verwendet. Dieses Bild überlagert die Symbole der Auswahlliste für einen kurzen Moment während sie aufleuchten. Wenn jemand also in der Auswahlliste ein Symbol fixiert und es leuchtet zusammen mit dem überlagerten Einsteinbild auf, reagiert das Gehirn des Anwenders nicht nur mit der P300, sondern auch mit der N170 und der N400. Der Computer hat also mehrere Hirnsignale, die er auswerten kann. Das senkt die Fehlerquote ganz erheblich. Kübler:

    "Wir hatten jetzt zwei Patienten in unserer Gruppe von acht, die konnten ohne diese Überlagerung mit Gesichtern das System gar nicht nutzen, mit der Überlagerung waren sie so gut wie die Gesunden. … das ist schon in gewisser Weise sensationell."

    Dank Einsteins Bild können also auch Patienten ein Computerprogramm steuern, deren Hirnfunktion durch ihre Krankheit bereits beeinträchtigt ist. Was das für die Lebensqualität bedeutet, kann Heide Pfützner berichten:

    "Brain-Painting macht mich lebendiger. Malen war ein Lieblingshobby für mich. Ich liebe Farben über alles und Brain-Painting gibt mir nicht nur die Gelegenheit, in Farben zu schwelgen, sondern stellt auch eine große Herausforderung dar, weil ich mich unheimlich konzentrieren muss und systematisch vorgehen sollte, was mir als äußerst emotionalem und spontanem Menschen ganz furchtbar schwer fällt."

    Hinweis: Am Sonntag, 07.10.12, 16:30 Uhr, sendet der Deutschlandfunk in seiner Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" ein Feature zum Thema Hirn-Maschine-Schnittstelle.