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Einsteins weiße Weste

Physik. - An Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beißen sich die Physiker fast die Zähne aus. Obwohl die Theorie experimentell oft bestätigt wurde, widerspricht sie in einigen Fällen der Quantenphysik, der Theorie der Atome und Elementarteilchen. Seit Jahrzehnten traktieren Forscher Einsteins Ergebnisse deshalb mit ausgeklügelten neuen Experimenten, um ihr einen Fehler zu entlocken. Jetzt ging an der Universität Washington wieder einen solcher Test zu Ende.

Von Björn Schwentker |
    Das Experiment von Jens Gundlach an der University of Washington soll Einsteins Theorie zu Fall bringen, indem es einen ihrer Grundpfeiler einreißt: das sogenannten Äquivalenzprinzip.

    " Masse hat zwei Eigenschaften: Zum einen üben Massen Schwerkraft aus - sie ziehen andere Massen an. Zum anderen sind sie träge - sie mögen es nicht, beschleunigt zu werden. Das Äquivalenzprinzip besagt, dass diese beiden Dinge eigentlich identisch sind. "

    Fänden die Forscher auch nur eine kleine Abweichung vom Äquivalenzprinzip, dann wäre automatisch bewiesen, dass die Allgemeine Relativitätstheorie falsch ist. Nur: Bisher war die Suche nach solchen Abweichungen erfolglos. Im Labor von Jens Gundlach sollte eine sogenannte Torsionswaage den Beweis erbringen.

    " Eine Torsionswaage ist ein sehr dünner Faden, an dessen Ende ein Waagenteller hängt mit zwei Gewichten aus verschiedenem Material. Wenn nun große Massen von außen auf die beiden Materialien auch nur minimal unterschiedliche Kräfte ausüben, dann verdreht sich der Faden. Und das messen wir. "

    Die Gewichte auf dem Teller am Ende des Fadens bestehen entweder aus dem Metall Beryllium oder aus Titan. Nach dem Äquivalenzprinzip müsste die Gravitation an ihnen genau gleich stark ziehen - der Faden dürfte sich also nicht verdrehen. Denn Einsteins Theorie besagt: Vor dem Gesetz der Schwerkraft sind alle Massen gleich. Anders ausgedrückt: Ein Kilogramm Federn sollte die selbe Gravitation spüren wie ein Kilogramm Blei - oder aber Beryllium dieselbe wie Titan, wie auf der Torsionswaage. Mit dem Experiment in Washington lässt sich sogar sagen, was die Gewichte am Ende des Fadens bewegt: Die Masse des Gebirges direkt neben dem Laborgebäude, die Masse der Sonne, oder die von entfernten Galaxien.

    " Wir haben das Äquivalenzprinzip so genau getestet wie nie zuvor. Egal, ob die Schwerkraft nur einen halben Meter weit wirkt, oder fast unendlich weit: Unsere Ergebnisse sind zehnmal besser als die vorheriger Experimente. Wir haben herausgefunden, dass das Äquivalenzprinzip auch bei sehr, sehr hoher Präzision noch stimmt. "

    Das heißt: Eigentlich hat Jens Gundlach nichts Neues gefunden. Nun ist den Forschern nur noch klarer, dass die Natur keinen Beleg für einen Fehler in der Gravitationstheorie liefert. Doch solche Rückschläge haben den Ehrgeiz der Forscher bisher eher noch angestachelt: Weltweit tüfteln sie an immer genaueren Methoden, um Einstein zu widerlegen: Die einen messen, wie schnell Atome zu Boden fallen - und hoffen, dass sie unterschiedlich schnell unten ankommen. Andere schießen Laserstrahlen zum Mond, um millimetergenau dessen Entfernung zu bestimmen. So suchen sie eine Abweichung von seiner theoretisch vorhergesagten Bahn. Und bald sollen Satelliten im Weltall mit hochsensiblen Sensoren messen, ob die Schwerkraft vielleicht im Erdorbit den Berechnungen der Allgemeinen Relativitätstheorie widerspricht - wenn auch nur ein klitzekleines bisschen. Doch eine Garantie, dann den erhofften Fehler Einsteins zu finden, gibt es nicht, sagt Physiker Jens Gundlach. Trotzdem: Aufgeben gelte nicht. Irgendwann werde sich schon ein Flecken finden lassen auf Einsteins bisher so weißen Weste.

    " Es gibt keine glaubwürdige Vorhersage, wann ein Fehler auftreten wird. Aber jeder weiß, dass er irgendwann sichtbar wird, vielleicht aber erst, wenn wir noch zehn Größenordnungen genauer wurden. Vielleicht werden wir ihn auch so, wie wir jetzt suchen, nie finden. Aber wir müssen die genausten Experimente machen, die es gibt. Das ist unsere Pflicht als Physiker. Nicht zu suchen wäre viel schlimmer, als zu suchen und nichts zu finden. "