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Einzigartiges Freilichtereignis

Der Gott Prometheus ist der erste engagierte Intellektuelle, der gegen die olympische Hierarchie revoltiert - ganz nach dem Geschmack Heiner Müllers, der seinerzeit den Aischylos-Text übersetzt hat. Diese Fassung wurde jetzt von Dimiter Gotscheff an der Berliner Volksbühne inszeniert, aber auf der benachbarten AGORA, die aus dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin eine Art Spree-Athen macht.

Von Michael Laages |
    Ja, so könnte ein "Kaukasus” aussehen, ein mächtig monströses Gebirge über allem, was lebt – so wie diese brutal-brachiale Front eines Theaters: mächtige Säulen unter geschwungenem Sims; ein "Panzerkreuzer”, wie ihn vor nun auch schon 17 Jahren Frank Castorf charakterisierte, als er (als Panzerkreuzerknacker sozusagen) diesen tollen ollen Kahn, Baujahr 1914, geentert hatte. Heute, da viele in Berlin diese Volksbühne weniger als Schlachtschiff als vielmehr als "Titanic” sehen, ist diese AGORA-Bühne vor dem eigentlichen Bühnenhaus vor allem und zunächst eine kraftvoll-knallige Behauptung. Und das Portal, an dem wir wie die Zwerge, wie die Ameisen emporschauen müssen ab und von unseren Plätzen im amphitheatralischen Halbrund, spielte nicht die geringste Rolle an diesem eindrucksvollen Eröffnungsabend.

    Der Text ist einer der ältesten der Theatergeschichte, Aischylos erzählt darin vom Gott Prometheus, der grausam bestraft wird vom neuen Ober-Boss im Olymp, von Zeus, der gerade selber und im Verein mit den Brüdern (auch Prometheus!) den eigenen Vater Kronos abserviert hatte. Und dieser Text ist, natürlich, ein Rätsel - Dimiter Gotscheff nutzt die Vorrede für ein kleines Satyrspiel zur Eröffnung; die Herren des Ensembles untermalen darin mit ulkig-simpel verständlichen Gesten die schließlich den ganzen Abend über schwer zugängliche Sprache.

    Dann wird Prometheus vom Bruder Hephaistos, Hüter des göttlichen Feuers, an eben diesen Kaukasus geschmiedet; schlimm genug ist das. Am Ende, nach weiterer Unbotmäßigkeit und Uneinsichtigkeit des Delinquenten, wird ihm Götterbote Hermes die Ankunft des ebenfalls legendären Adlers verkünden, der Prometheus die stets nachwachsende Leber wegfressen wird. Die Berliner Schwalben-, Krähen- und Rabenvögel fliegen derweil über den lauen Sommerabend ... die Open-Air-AGORA hat viele solcher schönen Details.

    Vor allem aber bleibt der Gedanke: Was für ein Todes-, besser: Nicht-Todes-Urteil unter Göttern – und warum das alles? Weil dieser Prometheus "die Menschen zu sehr liebte”, weil er ihnen unerlaubterweise nicht nur das Feuer des Bruders Hephaistos, sondern darüber hinaus sämtliche Überlebenskünste zugänglich machte, die halt so gebraucht werden in der fortschreitenden Moderne. Weil er den Menschen die Chance eröffnete, den Göttern gleich zu werden, wird Prometheus so mörderisch gemaßregelt – und die Diskussion darüber, ob Prometheus der Menschheit mit alldem wirklich voran half, blieb aktuell bis heute.

    Aischylos gab dem Prometheus am Berg allerdings auch das Volk zur Seite, also den Chor – und dass der ihn verlässt, dass der sich eingeschüchtert auf die Seite der alten Mächte schlägt, und nicht auf seine, die des Fortschritts und der Aufklärung – das ist der schmerzlichste Moment für den Mann am Gebirge.

    Ein Text voller Kraft, Gewalt und fremder Schönheit ist das, ohnehin schon, aber sicher auch durch Müllers Bearbeitung; und Dimiter Gotscheff setzt (nach einigen Minuten der Einstimmung, in denen vor allem sehr viel und sehr wiederholsam geschrieen wird) ganz auf das Wort. Vor die Treppenstufen, die zum Kassenfoyer des eigentlichen Theaters hinauf führen, hat der szenische Einrichter Mark Lammert eine Art griechischen Sandstrand geschüttet, in den hinein gepflanzt eine schmale Stange gen Himmel ragt. Irgendwo dort oben mag Zeus hocken, und gelegentlich versucht Prometheus diese Höhe zu erklimmen. Einmal ermannt sich auch der hasenfüßig-flatterhafte Volks-Chor – und scheitert lächerlich. Sie sind ein passend ungleiches Paar, dieser gewaltige Max Hopp als Prometheus und dieser fahrig umher huschende Sebastian Klönig als Solo-Chor.

    Vom Bruder Okeanos bekommt Prometheus Besuch – und Thorsten Merten spielt den als flatterhaft-schmierigen Kompromissler, der vermitteln will im Streit, immer nur vermitteln ... Io kommt vorbei, die als Mädchen eine von Zeus Geliebten war und dafür von Hera in eine Kuh verwandelt wurde, die immerzu von Bremsen zerstochen wird; am Anfang wie am Ende steht Maia Alban-Zapata ganz oben auf dem Volksbühnen-Sims, wie eine Selbstmörderin. Und Hermes ist zur Stelle, Trystan Pütter im Business-Outfit, der geschmeidige Götterliebling, der immer bloß neue Pein verkündet – ihnen allen hält Prometheus sein mystisch erworbenes Wissen entgegen, dass er im ewigen Leben am Gebirge Zeus, den Boss vom Ganzen, überdauern wird. Aber was wird er tun ohne die Menschen, denen er dienen wollte? Vergebliche Liebesmüh'.

    Ein Stück Denk-Theater pur, immens konzentriert in fast allem, mit der Zeit auch ganz frei von Sperenzchen – und auf dieser einzigartigen Bühne, auf der Straße vor dem Theater, ein Ereignis ganz eigener Klasse.