Donnerstag, 25. April 2024

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Einzige Pflegestation für Obdachlose
"Zu uns kommen Menschen mit eingewachsenen Socken"

So etwas gibt es nur ein einziges Mal im reichen Deutschland: Eine Krankenstube, in der sich Obdachlose - auch ohne Versicherung - stationär pflegen lassen können - teilweise monatelang. Offene Beine, abgestorbene Zehen, faule Zähne: Die Mitarbeiter haben schon einiges gesehen. Oft geht die Hilfe über das Medizinische hinaus.

Von Sandra Voß | 06.01.2017
    Zwei Jugendliche in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs an einem kalten Tag auf der Straße
    Manche Patienten der Hamburger Krankenstube sind gerade erst obdachlos geworden, andere leben schon seit 40 Jahren "auf Platte". (picture-alliance/ dpa)
    "Das sind so schmerzhafte Wunden. Es brennt wie Feuer." - "Das tut den ganzen Tag weh. Von morgens bis abends. Ich tue jetzt diese spezielle Wundauflage drauf, das ist speziell für Infektionen."
    Der ganze Unterschenkel von Georg besteht aus einer einzigen, rosa fleischigen, sehr tiefen Wunde. Seit zwei Monaten ist Georg schon Patient in der Krankenstube der Caritas Hamburg.
    Ein Team aus sechs Pflegern und einem ehrenamtlich arbeitenden Arzt betreut hier rund um die Uhr die Patienten. Georgs eitrige Beine seien eine typische Wunde für Menschen, die auf der Straße leben, erklärt die Sozial- und Gesundheitsmanagerin der Krankenstube, Ingrid Kieninger.
    "Die Menschen, die haben oft monatelang ihre Schuhe an, die Menschen, die zu uns kommen, die haben eingewachsene Socken, die haben schwerst entzündete Beine."
    Die blonde 50-jährige Frau leitet seit drei Jahren die Krankenstube, ein in dieser Form einmaliges Projekt in Deutschland. Hier werden die Menschen medizinisch versorgt, die ohne Papiere leben, die keine Krankenversicherung haben. Georg ist einer von 18 Patienten. Sein Gesicht ist zerfurcht, seine Kleidung sauber und ordentlich.
    "Viele wären im Rollstuhl oder tot"
    Bei dem 52-Jährigen mit den blauen Augen wird es wohl noch mindestens ein halbes Jahr dauern, bis seine Beine verheilt sind. Für diese Zeit hat Georg ein Bett, bekommt regelmäßig gesunde und schmackhafte Mahlzeiten, kann sich erholen. Er selbst trägt zur Heilung bei, in dem er kaum noch Alkohol trinkt. Eine Voraussetzung, um überhaupt in der Krankenstube bleiben zu dürfen.
    "Ich finde gut, dass es so was gibt. Viele wären im Rollstuhl oder tot. Das ist krass, doch ist so. Und viele wissen auch nicht mehr, wenn man so lange draußen ist und mit dem Alkohol, denken viele nicht mehr an die eigene Gesundheit. "
    Nicht nur ein Ort der Pflege
    Auch Andreas hat schon lange nicht mehr auf seinen Körper geachtet. Der 57-Jährige lebt seit über 40 Jahren auf der Straße. Ihn hat die mobile Hilfe eingesammelt, eine rollende Arztpraxis, die täglich die sozialen Brennpunkte anfährt und vor Ort die Kranken versorgt.
    "Ich hatte auf Platte gelegen und dann waren die eingefroren. Die waren schon dunkelblau."
    Andreas spricht über seine Zehen. Alle fünf Zehen des linken Fußes mussten im Februar amputiert werden. Nur durch die Pflege in der Krankenstube konnten seine rechten Zehen erhalten bleiben.
    Obwohl Andreas, der immer eine blaue Mütze trägt, schon einmal von der Krankenstube abgehauen ist, weil er sich mit den andern nicht vertrug, ist er doch auf seine Weise dankbar, hier zu sein.
    "Als Erstes wird einem hier richtig gut geholfen. Und man kann sich hier auch richtig ausruhen und muss nicht wieder raus, wie im Krankenhaus. Sobald die Nähte dicht sind, raus."
    Neben den medizinischen Kräften arbeitet Thorsten Eikmeier als Sozialarbeiter in der Krankenstube. Sein höchstes Ziel ist, die Patienten nach der Heilung möglichst in Wohnraum zu vermitteln. Das geht nur mit gültigen Papieren. Das ist die erste Hürde. Denn die meisten Patienten kommen wie Georg aus dem Ausland und haben keinen gültigen Ausweis.
    "Also für Georg versuchen wir jetzt die entsprechenden Ausweisdokumente zu bekommen und haben schon einen Antrag gestellt beim Jobcenter auf Arbeitslosengeld II. und hoffen dann, ihn in Leistung zu kriegen. "
    Schon kleine Beträge helfen
    Um all das finanzieren zu können, ist die Krankenstube auf Spenden angewiesen. Schon kleine Beträge können helfen, spezielle Medikamente für einzelne Patienten zu kaufen. Oder es besteht die Möglichkeit, für eines der 18 Betten eine Patenschaft zu übernehmen.
    Immer wieder ist die Leiterin der Krankenstube, Ingrid Kieninger, gerührt, wenn sie bei ihrem täglichen Rundgang in die Zimmer der Patienten schaut. Hier wird deutlich, wie sinnvoll diese Einrichtung ist.
    "Hier sehen Sie in Zimmer eine Dame, die wird ausziehen. Sie sehen, wie sie sich es gemütlich gemacht hat. Man sieht, wie ihr Bett frisch gemacht ist, wie sie das alles hübsch macht, dann sieht man, man will nicht auf der Straße leben. Das ist kein Leben. Jeder Mensch möchte ein kleines Zuhause haben."