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Eisbär auf Abwegen

Zoologie.- Am Nordpol schmilzt das ewige Eis – und das ziemlich rasch. Vor allem einem imposanten Raubtier könnte der Klimawandel in der Arktis schwer zu schaffen machen: dem Eisbär. Seit über 20 Jahren untersuchen kanadische Forscher die Wanderbewegungen der weißen Riesen.

Von Monika Seynsche | 04.01.2010
    20.000 bis 25.000 Eisbären leben noch in der Arktis. 50 von ihnen haben Andrew Derocher und seine Kollegen in diesem Frühjahr mit einem Funksender ausgestattet und per Satellit verfolgt. Eine Methode, die die Forscher seit über 20 Jahren anwenden.

    "Unsere Untersuchungen in der Beaufort-See nördlich von Alaska und Kanada zeigen, dass die Heimatgebiete der einzelne Tiere heute zwei- bis dreimal so groß sind wie noch Anfang der 80er-Jahre. Ein einzelner Bär legt also jedes Jahr eine bis zu dreimal so weite Strecke zurück wie früher. Das ist eine enorme Veränderung."

    Und zwar eine, die der Gesundheit der Bären nicht zuträglich ist, erzählt der Biologe der Universität von Alberta im kanadischen Edmonton. Durch den Stress der längeren Wanderungen verschlechtere sich die körperliche Fitness der Bären und weniger Junge würden geboren.

    "Wir vermuten, dass sie mit dem Meereis in Kontakt bleiben wollen. Und das hat sich gerade in dieser Region in den vergangenen Jahren sehr stark zurückgezogen. So folgen die Tiere im Sommer dem Eis immer weiter nach Norden und müssen im Herbst immer längere Strecken nach Süden zurück zur Küste zurücklegen. Frühere Studien haben außerdem gezeigt, dass sie weniger Robben reißen. Sie sind also durch das Eis gezwungen, sich stärker zu bewegen aber gleichzeitig finden sie weniger zu fressen."

    Denn die meisten Robben folgen dem Meereis im Sommer nicht nach Norden. Sie bleiben in den fisch- und nährstoffreichen Gewässern direkt vor den Küsten. Die tiefen und biologisch fast toten Bereiche in der Mitte des Arktischen Ozeans meiden sie. Die Lösung für dieses Problem erscheint ganz einfach: die Eisbären müssten das Meereis nur ziehen lassen und sich von der Küste aus auf Robbenjagd begeben. Ihre Vorfahren kamen schließlich vom Land und haben sich erst langsam an ein Leben im Meer gewöhnt. Und tatsächlich tauchen in letzter Zeit immer öfter Eisbären an Land in der Nähe von Siedlungen auf.

    "Die Tiere sind verzweifelt auf der Suche nach Nahrung. Wenn sie die nicht mehr auf dem Eis finden oder das Eis gar nicht mehr erreichen können, treibt der Hunger sie in die Dörfer."

    Das führt dazu, dass die Anzahl der sogenannten Problembären rasant ansteigt. Andrew Derochers Ansicht nach wird den Eisbären aber eine endgültige Rückkehr an Land nicht gelingen.

    "Dieses Experiment ist im Laufe der Evolution schon einmal durchgeführt worden. Wir wissen, dass vor 10.000 bis 12.000 Jahren viele Eisbären auf der Ostsee lebten. Das zeigen uns zahlreiche Fossilienfunde aus Dänemark, Schweden und Finnland. Aber als sich das Klima nach der letzten Eiszeit erwärmte und sich das Meereis auf der Ostsee zurückzog, verschwanden die Bären aus dieser Region. Und das obwohl ihre Hauptnahrung, die Ringelrobbe, bis heute in der Ostsee lebt. Für die Robben reicht das Meereis dort noch aus, für die Eisbären nicht mehr."

    Aber selbst wenn den Eisbären in der Arktis eine Rückkehr an Land gelänge – dort ist ihre ökologische Nische schon besetzt von ihrem nächsten Verwandten, dem Braunbären. Für wesentlich wahrscheinlicher hält es Andrew Derocher deshalb, dass die Eisbären einfach verschwinden und ihr Platz an der Spitze der Nahrungspyramide von anderen Tieren eingenommen wird.

    "In der westlichen Arktis, nördlich von Kanada, tauchen immer mehr Killerwale auf und gleichzeitig vergrößert sich ihr Verbreitungsgebiet. Es sieht so aus, als ob die Orcas in den Arktischen Ozean einziehen, um die Eisbären zu ersetzen. Meereis mögen die Orcas nicht, denn sie haben mit ihrer großen Rückenflosse Schwierigkeiten, darin zu manövrieren."

    Für die Orcas ist der Verlust des Meereises also ein großer Vorteil. Für die Eisbären dagegen könnte er das Ende bedeuten.