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Eisenach
Das unrühmliche Kapitel des sogenannten Entjudungsinstituts

1939 wurde in Eisenach ein evangelisches Institut gegründet, das die Aufgabe hatte, die Bibel und das gesamte kirchliche Leben von jüdischen Einflüssen zu befreien. Dabei beriefen sich die Theologen vor allem auf Luthers antijudäistische Schriften.

Von Wolfram Nagel | 05.02.2015
    "Hier hat Luther als Schüler gewohnt, als Kind war er hier Ministrant, das heißt er hat hier die Messe mitgefeiert, hier hat er seine wichtigsten religiösen Impulse erhalten. "
    Die Eltern schickten ihren Sohn Martin 1498 nach Eisenach. Die dortige Lateinschule besaß einen guten Ruf. Außerdem war die Stadt heimisches Pflaster für die Familie, stammte doch die Mutter, Margarethe Luder, geborene Lindemann, aus Eisenach. Der 15-Jährige wohnte bei der angesehenen Familie Cotta, vermutlich im heutigen Lutherhaus.
    "Hier haben sehr viele Verwandte von ihm gewohnt. Er hat eben deutlich gemacht, dass das hier seine zweite Heimat ist. Er hat seine erste schulische Ausbildung in Mansfeld erhalten, die Grundschule. Das ist ihm in schlechter Erinnerung geblieben, denn er ist häufig geschlagen worden und hat wenig gelernt. Und hier in Eisenach hat er offensichtlich bessere Lehrer gehabt, er ist auf die Lateinschule gegangen und wurde eben ganz gezielt vorbereitet auf die Universität."
    Das hieß vor allem, perfekt Latein zu beherrschen. Schriftlich und mündlich.
    "Ja auch seine musikalische Ausbildung hat er hier in Eisenach erlebt. Das gehörte ja mit zur Lateinschule, zum Unterricht an der Lateinschule, und er hat natürlich die Kirchenmusik hier kennen gelernt in der Georgenkirche und das ist der Grund dafür, weshalb die Georgenkirche bis heute eine sehr starke musikalische Tradition hat."
    Im Dreiklang mit Johann Sebastian Bach, der in Eisenach geboren wurde, und Georg Philipp Telemann, dem Schöpfer der Kirchenkantate.
    "Insofern ist Eisenach tatsächlich so ein Hotspot der protestantischen Kirchenmusik.
    Das Erbe von Luther ist ja nicht nur ein theologisches oder ein sprachliches sondern auch ein musikalisches."
    Das Eisenacher Lutherhaus, unweit des Marktplatzes, ist ein prächtiger Fachwerkbau aus dem 14. Jahrhundert. Nachweislich gehörte es der Familie Cotta. Da die Cottas jedoch mehrere Häuser in Eisenach besaßen, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, ob Luther als Schüler tatsächlich in dem Fachwerkhaus lebte. Zumindest in der mündlichen Tradition sei das mehrgeschossige Fachwerkhaus am heutigen Lutherplatz 8 als "Lutherhaus" überliefert worden, sagt Jochen Birkenmeier. Darauf beriefen sich auch die deutschen Burschenschaften bei ihrem ersten Wartburgfest 1817, zum 300. Reformationsjubiläum. In dem Privathaus gab es später auch eine Lutherstube und einen Lutherkeller:
    "Und Museum ist es dann erst 1956 geworden. Also sehr, sehr spät."
    Die Eigentümer des Baudenkmals waren in den Westen gegangen. Moritz Mitzenheim, Landesbischof von Thüringen, habe vorgeschlagen, das wertvolle evangelische Pfarrhausarchiv in dem Gebäude unterzubringen, sagt Hausherr Jochen Birkenmeier:
    "Das war damals noch in Wittenberg und ist dann hierher gekommen. Und weil man auch diesen Lutherort erhalten wollte, ist das Haus dann Museum geworden. Das war ein ganz bewusstes Gegengewicht auch zur Wartburg, die ja damals dann eine sozialistische Stätte geworden ist, wo man das Thema Religion ja möglichst verbannt hat."
    "Thüringen war ein braunes Nest"
    In Eisenach befand sich bis zur Fusion mit der Kirchenprovinz Sachsen das Konsistorium der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Thüringen. Hier residierte auch Bischof Mitzenheim. Er bemühte sich um eine einvernehmliche Gewaltenteilung zwischen Kirche und Staatsmacht. Ja man kann sagen, der Bischof arrangierte sich mit der SED-Führung.
    "Die Thüringer Kirche hat ja einen Kurs gefahren, der als Thüringer Weg bekannt ist, das heißt man hat versucht, sich mit der Obrigkeit gut zu stellen und aus diesem Grunde war' s wahrscheinlich auch überhaupt möglich, einen evangelischen Erinnerungsort mitten im Sozialismus zu schaffen. Und das könnte auch damit zu tun haben, die enge Verbindung mit der Obrigkeit, weil ja auch viele belastet waren durch den Nationalsozialismus."
    Zum Beispiel Herbert von Hintzenstern, späterer Leiter des Pfarrhausarchivs und Museums im Lutherhaus, NSDAP-Mitglied seit 1937. Der Theologe hatte bei Walter Grundmann in Jena promoviert und gehörte zum Stab des sogenannten Eisenacher "Entjudungsinstituts", das Grundmann leitete. Gerade in der Thüringer Kirche habe es viele Mitarbeiter gegeben, die entweder den völkischen Deutschen Christen angehörten oder in anderer Weise mit dem NS-Regime verstrickt waren.
    "Thüringen war ein sehr braunes Nest, muss man sagen, die Thüringer Kirche hatte auch sehr starke Verbindungen zu den nationalsozialistischen Machthabern. Und damals ist diese Idee geboren, dass man ein Institut braucht, um die Kirche zu entjuden, und man hat damals die verschiedenen Landeskirchen gebeten, Geld dafür zu spenden und das ist auch zustande gekommen. Denn dieses "Entjudungsinstitut" hatte eben zur Aufgabe, die Bibel zu entjuden, auch den Katechismus zu entjuden und das Gesangbuch zu entjuden. Das heißt alle Spuren, die irgendetwas mit der jüdischen Tradition des Christentums zu tun hatten, für immer zu tilgen."
    Gegründet wurde das Institut am 6. Mai 1939 auf der Wartburg. Wie Luther den Katholizismus habe überwinden müssen, so müsse der Protestantismus heute das Judentum überwinden, dozierte der deutsch-christliche Gründungsdirektor Walter Grundmann. Er berief sich auf Luthers antijudaistisches Spätwerk, etwa "Von den Juden und ihren Lügen" aus dem Jahre 1543.
    "Es ist unser Wille, dass wir uns vom Judentum, von seiner Geschichte und von seinen Überlieferungen bis zur letzten Konsequenz frei machen und lösen müssen", so der NSDAP-Reichsstatthalter von Thüringen, Fritz Sauckel, am 16. Oktober 1936 in der Stadthalle von Weimar. Fanatische Nazis wie er lieferten gerade auch den Deutschen Christen das ideologische Rüstzeug.
    "Wir erkennen die Zeit, in der sich Gott in einem der größten Männer und Wohltäter der Menschheit offenbart."
    "Ja man muss leider sagen, hier in Thüringen, auch gerade in Eisenach, sind die jüdischen Gemeinden auch vollkommen zerstört worden. Umso wichtiger ist es, daran zu erinnern, dass es hier jüdisches Leben gegeben hat und auch deutlich zu machen, dass die evangelische Kirche hier auch Mitverantwortung trägt und auch dazu beigetragen hat, auf intellektuelle Weise durch das Entjudungsinstitut, hier den Holocaust mit vorzubereiten."
    Die Wartburg wurde von den Nazis schon sehr früh als Symbol völkischer Geschichte vereinnahmt. Weil die NSDAP seit 1930 an der Landesregierung in Thüringen beteiligt war, saß der Wartburgstiftung seitdem auch ein treuer Parteisoldat vor.
    Aufarbeitung eines unrühmlichen Kapitels Kirchengeschichte
    Erst seit wenigen Jahren hat man in Eisenach begonnen, dieses unrühmliche Kapitel der evangelischen Kirchengeschichte aufzuarbeiten. Dazu gehört auch, dass Theologen wie Walter Grundmann oder Herbert von Hintzenstern für ihre aktive Kollaboration mit den Nazis nie zur Verantwortung gezogen wurden. Ja, sie bekleideten zu DDR-Zeiten sogar wichtige Lehramtsfunktionen in ihrer Kirche, etwa am Eisenacher Katecheten-Seminar.
    "In der neuen Dauerausstellung werden wir dieses Thema schon behandeln, Luther und die Bibel ist ja das Hauptthema der Ausstellung, da werden wir die sogenannte entjudete Bibel dieses Institutes vorstellen. Ja wir haben in unserer Sammlung, die ja relativ jung ist, aber doch einen guten Bestand auch an Themen, die mit der Lutherrezeption zu tun haben und auch zum Thema Entjudungsinstitut, ist bei uns noch einiges vorhanden", sagt der Historiker Jochen Birkenmeier, Geschäftsführer der Stiftung Lutherhaus Eisenach, zu den notwendigen Forschungsaufgaben in der Zukunft:
    "Man muss auch dazu sagen, dass evangelische Pfarrhausarchiv, das immer schon dazu gehörte zum Lutherhaus, hat auch ganz gezielt nationalistische Literatur gesammelt. Man hat geguckt, welche Pfarrer sind Ritterkreuzträger, welche haben sich auf der nationalistischen Ebene besonders bewährt. Das ist für uns auch ein Teil der Geschichtsaufarbeitung unserer eigenen Geschichte. Und insofern betreiben wir da auch Forschung in eigener Sache."