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Eishockey
Debatte um Machtmissbrauch in der NHL

Eishockey ist in Kanada Volkssport und der Traum vieler Kinder ist es, eines Tages in der stärksten Eishockey-Liga der Welt zu spielen - der NHL. Doch die ist nun in die Schlagzeilen geraten: Prominenten Trainern wird Rassismus sowie physischer und psychischer Machtmissbrauch vorgeworfen.

Von Heiko Oldörp | 08.12.2019
Ein Puck bei einem NHL-Spiel in den USA
Die bekannteste Eishockey-Liga der Welt, die NHL, wird von einer Debatte um physischen und psychischen Machtmissbrauch durch Trainer erschüttert. (imago sportfotodienst)
Der Triple Gold Club ist ein besonderer Zirkel im Eishockey. Um hier aufgenommen zu werden, muss man die drei wichtigsten Titel dieses Sports gewonnen haben. Olympiagold, Weltmeisterschaft, Stanley Cup. 29 Spieler haben das geschafft - aber nur ein Trainer: Mike Babcock.
Der Kanadier ist seit Jahren einer der Bekanntesten seiner Branche. Er führte Kanada in Vancouver und Sotschi zum Olympiasieg und war bis zu seiner Entlassung vor wenigen Tagen bei den Toronto Maple Leafs der teuerste Coach der NHL-Geschichte.
Der schwedische Stürmer Johan Franzen hat zehn Jahre bei den Detroit Red Wings unter Mike Babcock gespielt. Als er vor einem Jahr mit der schwedischen Zeitung "Expressen" über jene Zeit sprach, nannte er Babcock "den schlimmsten Menschen", dem er je begegnet sei.
Training unter einem "Tyrann"
Franzen hat große Probleme, das Erlebte in Worte zu fassen. Seine Augen sind gerötet, der 1,91 Meter große und 100 Kilogramm schwere Kraftklotz weint, schluchzt, wischt sich die Tränen weg. Er bezeichnet Babcock als "Tyrannen", der ihn ab 2011 täglich schikaniert und verbal attackiert habe, so dass er Angst hatte, zum Training zu gehen, so Franzen.
Derartige Verstöße sind in der NHL anscheinend keine Seltenheit. In den vergangenen Tagen meldeten sich Spieler und beklagten physischen und psychischen Missbrauch durch Trainer - oder wie im Fall von Akim Aliu, blanken Rassismus. Aliu wurde in der Saison 2009/10 von Trainer Bill Peters bei den Rockford IceHogs in der zweitklassigen American Hockey League vor der gesamten Mannschaft in der Kabine wegen seines Musikgeschmacks rassistisch beleidigt. Peters, seit 2018 Trainer der Calgary Flames, trat nach dem Bekanntwerden des Falles von seinem Amt zurück.
Dass es zehn Jahre dauerte, bis seine Beleidigungen öffentlich wurden, sei symptomatisch für die Eishockey-Kultur, sagt Ex-Profi Dan Carcillo im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
"Was in der Kabine gesagt wird, bleibt in der Kabine. Das kreiert ein Umfeld, in dem Kinder Angst haben, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen - und das wiederum hilft diesen Leuten, ihre Spiele zu treiben. Und natürlich hat der Trainer immer Recht. Allein diese beiden Punkte zeigen, was Eishockey-Kultur wirklich ist - nämlich giftig. Und das muss sich ändern. Sofort."
Prügeleien und Provokationen
Carcillo hat neun Jahre in der NHL gespielt. Er war einer, der durch Prügeleien, Provokationen und eine äußerst harte Spielweise auffiel. So hat er zweimal den Stanley Cup gewonnen, sich aber auch sieben Gehirnerschütterungen zugezogen. Der 34-Jährige bezeichnet sich als "Täter und Opfer":
"Ich weiß, dass ich ein Wilder war. Aber so wurde ich trainiert und programmiert. Es ist nicht einfach, in eine TV-Kamera zu gucken und zu sagen: Dieser Sport hat seit meinem vierten Lebensjahr dazu beigetragen, ein homophober, rassistischer Tyrann zu sein."
Seit seinem Karriere-Ende 2015 ist Carcillo ruhiger geworden, hat eine gemeinnützige Organisation gegründet, um ehemaligen NHL-Spielern, die, wie er, an den Folgen von Gehirnerschütterungen leiden, zu helfen. Und Carcillo ist in den vergangenen Wochen zu einer Art Anlaufstelle für diejenigen geworden, die Missbrauch durch Trainer erlebt haben und nun endlich darüber reden wollen. Mehr als 400 Eltern und Nachwuchsspieler hätten ihn kontaktiert, sagt Carcillo, der nach eigenen Angaben als 17-Jähriger von damaligen seinem Trainer missbraucht wurde.
"Der Mann, der körperlich, sexuell und verbal dieses Umfeld unterstützt hat, ist immer noch Nachwuchscoach. Er wurde bei drei Vereinen wegen Missbrauchs-Vorwürfen entlassen - und trainiert trotzdem noch. Ich will wissen, wer schützt ihn? Diese Leute müssen abgesetzt werden."
Kommt es zu einem Umdenken?
Carcillos Vorwürfe wurden von einem damaligen Mitspieler bestätigt. Rechtliche Schritte hatte Carcillo jedoch nie gegen seinen Ex-Trainer eingeleitet. Der Coach, der damals trotz einer hervorragenden sportlichen Bilanz wegen "Gründen, die nichts mit Eishockey zu tun haben" entlassen wurde, teilte im Vorjahr kanadischen Medien mit, dass ihm der Anlass der Trennung nie mitgeteilt wurde. Der damalige Manager bestätigte mittlerweile, dass es wegen "mutmaßlichen verbalen und emotionalen Missbrauchs" war.
In Nordamerika wird nun darüber diskutiert, ob die Entlassung von Bill Peters und die Anschuldigungen gegen Mike Babcock zu einem Umdenken in der NHL führen werden? Sportjournalist Dan Robson, vom Online-Magazin "The Athletic", ist skeptisch: "Die Spieler auf eine bestimmte Art und Weise zu behandeln, existiert seit Jahrzehnten und wurde von einer Trainer-Generation an die nächste weitergegeben. Diese Kultur ist einfach akzeptiert."
Denn die NHL gilt als stärkste Eishockey-Liga der Welt. Wer hier bestehen will, muss nicht nur körperlich äußerst belastbar sein, sondern auch mental. Muss immer alles geben, auch wenn er verletzt ist.
Austeilen und einstecken
Austeilen und einstecken lautet das Motto. Für Schwäche ist im Ligaalltag auch 2019 nicht viel Platz, meint Torwart Philipp Grubauer von der Colorado Avalanche im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: "Das ist natürlich schwer, weil, du spielst natürlich jeden zweiten Tag, jeden Tag Training. Wenn's irgendwelche Probleme gibt, dann ist natürlich wenig Zeit, um zu reden. Also das wird dann wahrscheinlich jeder persönlich daheim oder privat dann machen. Aber in der Kabine ist es natürlich schwer und da lässt man dann solche Themen daheim. Und oft vergisst man als Spieler, dass der Nachbar oder der Spezl, der neben dir sitzt, auch nur ein normaler Mensch ist."
NHL-Commissioner Gary Bettman hatte sich in dieser Woche mit Akim Aliu getroffen. Beide Seiten sprachen von einem "offenen und produktiven Meeting." Er denke, dass es "große Veränderungen" geben werde - und dies sei auch längst überfällig, sagte Aliu.
Die Liga will sich in den kommenden Tagen auch auf ihrer Vorstandssitzung mit dem Missbrauchs-Thema befassen. Auch Dan Carcillo hat einiges zu tun. Er will die Geschichten, die ihm Eltern und Spieler anvertraut haben, an Investigativ-Journalisten bekannter US-Medien wie der New York Times und der Sports Illustrated weitergeben. Und er ist überzeugt, dass durch diese Recherchen dann weitere Coaches bloßgestellt werden. Deshalb rät er ihnen: "Wenn ihr wisst, das ihr etwas getan habt, dann meldet euch. Und zwar sofort."
"Just wait for these investigations. That’s all I say. And that’s why I say, ‘if you are a coach and you know you’ve done something, you can get ahead of it. Right now.’"