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Eisiger Pol

Planetologie. - Mit einem spektakulären Einschlag in einen Mondkrater wirbelte die Nasa im Oktober 2009 den Staub für eine eingehende Untersuchung der Wasservorkommen am südlichen Mondpol auf. Jetzt sind die Analysen abgeschlossen und ihre Ergebnisse überraschten die Fachleute immens. Die aktuelle "Science" widmete dem Projekt sechs Artikel.

Von Dirk Lorenzen |
    Es waren hektische vier Minuten an jenem 9. Oktober des vergangenen Jahres. Erst stürzte die abgetrennte Raketenstufe in den Krater Cabeus. Kurz hinter ihr flog die Raumsonde LCross, die die Explosionswolke untersuchen und alle Daten schnell zur Erde funken musste, bevor auch sie im Krater aufschlug.

    "The stuff can best be described as fluffy snow covered dirt."

    Das Material im Krater könne man am ehesten als lockeren, Schnee bedeckten Staub und Sand bezeichnen, erklärt Mike Wargo, der leitende Mondwissenschaftler bei der Nasa. Eis und Staub müssten bestens durchmischt gewesen sein.

    "The ice must have been well mixed with the regolith.""

    Die Nasa hatte gezielt einen Krater nahe dem Mondsüdpol beschossen, der niemals Sonnenlicht abbekommt. Dort hatte man geringe Eisvorkommen erwartet, Überreste von Kometen und Asteroiden, die vor langer Zeit eingeschlagen sind. Jetzt ist das Nasa-Team aber überrascht, dass offenbar bis zu fünf Prozent des Kraterbodens aus Eis bestehen – und auch die enorm tiefen Temperaturen sorgen für Aufsehen, betont David Paige von der Universität von Kalifornien in Los Angeles:

    "Der kälteste Ort, den wir dort gemessen haben, liegt bei minus 244 Grad Celsius. In unserem Sonnensystem gibt es so tiefe Temperaturen sonst nur auf Pluto, anderen Objekten dort draußen oder auf Kometen – kurz: nur auf Körpern, die sich in den kalten Außenregionen des Sonnensystems befinden."

    Die Mondpole, die – wenn überhaupt – nur sehr wenig Sonnenlicht abbekommen, sind damit viel kälter als erwartet. Die Messungen gelangen mit Wärmesensoren der Sonde "Lunar Reconnaissance Orbiter". Sie hatte ebenfalls den Einschlag präzise beobachtet und in den Wochen davor und danach die Gegend am Südpol in allen Details vermessen. Eis gibt es demnach nicht nur in den Kratern, die ewig im Schatten liegen. Paige:

    "Selbst Gebiete, die im Laufe des Jahres etwas Sonnenlicht abbekommen, sind kalt genug, um Wassereis unter der Oberfläche zu konservieren. Dieser Permafrost-Boden bedeckt etwa 30 Prozent des Gebiets rund um den Mondsüdpol. Dort hält sich Wassereis über Jahrmilliarden stabil im Boden. Das wird für künftige Mondmissionen sehr bedeutend sein. Denn Astronauten müssten nicht gezielt in den ewig dunklen Kratern landen. Sie kommen auch in Bereichen, die ab und zu mal in der Sonne liegen, an das Wassereis, sofern sie etwas durch den Staub an der Oberfläche bohren."

    Mögliche Mondbasen wären also vergleichsweise einfach mit Wasser zu versorgen. Die Nasa-Messungen deuten an, dass in einer Tonne Permafrostboden bis zu 50 Liter Wasser schlummern. Zum Erstaunen von Randy Gladstone vom Southwest Research Institute in San Antonio hat der Einschlag der Raketenstufe auch viele weitere Stoffe aus dem Krater geschleudert:

    "Wir haben molekularen Wasserstoff entdeckt, Kohlenmonoxid, Quecksilber, Calcium und Magnesium – die machen etwa ein Prozent des Materials im Kraterboden aus. Es gibt sogar Spuren von Silber. Außer Wasser kommt dort also viel weiteres Material vor, das künftigen bemannten Missionen als Rohstoff dienen könnte."

    Der Mond, lange Zeit als geologisch toter, buchstäblich verstaubter und damit langweiliger Körper verschrien, erweist sich mit einem Mal als äußerst interessant. Er zeigt den Forscher noch heute die Spuren seiner bewegten Vergangenheit, als er einem schweren Bombardement von Kometen und Asteroiden ausgesetzt war. Das Eis an den Polen vergisst nichts.

    "Now, we know those cold craters are like an old deep freeze in the basement, when you don't defrost for a couple of billion years."

    Für Mike Wargo sind die eisigen Krater wie ein uralter Gefrierschrank im Keller, der Milliarden Jahre lang nicht abgetaut wurde. Nach der Vier-Minuten-Forschung mit LCross hoffen die Forscher, bald mit einer Sonde auf dem Mond zu landen und das Eis- und Staubgemisch vor Ort etwas länger zu untersuchen.