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Eiskratzen ade

Technik. - Es hat nachts kräftig gefroren, die Autofenster sind mit einer Eisschicht bedeckt. Da bleibt nur eines: Kratzen, was das Zeug hält. Denn bis die Heizfäden in Front- und Heckscheibe zusammen mit dem Heizgebläse das Eis zum Schmelzen gebracht haben, vergehen bis zu 10 Minuten, und solange will man meistens nicht warten. Ein Forscher verspricht nun Abhilfe. Er bastelt an einer Enteisungsmethode, die im Handumdrehen für klare Sicht sorgt. Vorgestellt hat Victor Petrenko, so heißt der in den USA arbeitende Russe, sein Projekt auf der Konferenz "Physics and Chemistry of Ice", die heute im kanadischen St. John's zu Ende geht.

    Von Frank Grotelüschen

    Unser Technik beseitigt das Eis in einer Sekunde. Man drückt einen Knopf, und das Eis fliegt von der Windschutzscheibe.

    Victor Petrenko ist Professor am Dartmouth College in Hanover im US-Bundesstaat New Hampshire. Seine Erfindung klingt wie Zauberei - Eis, das auf Knopfdruck von der Windschutzscheibe rutscht. Doch dahinter steckt eine höchst trickreiche Anordnung. Petrenko:

    Wir beschichten die Windschutzscheibe mit einem sehr dünnen, durchsichtigen Material. Es ist im Prinzip das gleiche Material, das auch für LCD-Bildschirme von Laptops verwendet wird. Es sieht aus wie Glas, kann aber Strom leiten wie ein Metall. Es wird von der Autobatterie gespeist und elektronisch gesteuert.

    Das durchsichtige Material fungiert als Elektrode, an das sich eine hochfrequente Wechselspannung anlegen lässt. Der Clou: Bei den verwendeten Spannungen leitet das Eis den elektrisch Strom besonders gut. Gleichzeitig absorbiert es dabei einen Großteil der elektrischen Energie. Ein höchst effektiver Prozess, denn, so Petrenko:

    Legen wir eine schwache Wechselspannung an die Elektroden an, erklärt Petrenko, so fließt ein Strom durch das Eis und zersetzt es in seine Bestandteile. Es bilden sich kleine Bläschen aus Wasserstoff- und Sauerstoffgas. Diese Bläschen weichen die Grenzschicht zwischen Scheibe und Eis quasi auf. Und das reicht, um das ganze Eis loswerden.

    Ein Enteiser, der laut Petrenko deutlich schneller und Energie sparender arbeitet als heute die Heizdrähte in den Heckscheiben. Zurzeit verhandelt der Forscher mit der Industrie über die Kommerzialisierung seiner Technik. In einem Jahr, so hofft er, könnte die erste Turboscheibe auf dem Markt sein. Doch auch auf anderen Feldern soll Petrenkos elektronischer Enteiser Gutes tun - zum Beispiel auf Rollfeldern. In der Luftfahrt nämlich sorgen vereiste Tragflächen oder Landeklappen immer wieder für Verspätungen und im Extremfall sogar für folgenschwere Unfälle. Die heutige Enteisungstechnik ist teuer und langwierig: Spezialfahrzeuge rücken aufs Rollfeld aus und besprühen den Flieger mit einem heißen Gemisch aus Wasser und Frostschutzmittel. Petrenkos Team hat nun eine netzförmige Spezialelektrode entworfen. Sie ist eingewoben in Aluminiumoxid, das gängige Material für die oberste Schutzschicht von Aluminiumflügeln. Ähnlich wie bei der Windschutzscheibe bringt sie das Eis zum Schmelzen - und zwar äußerst effektiv, versichert Petrenko:

    Wir haben sehr gut funktionierende Prototypen von Enteisern gebaut, die wohl besten überhaupt. Doch in der Luftfahrt dauert es Jahre, bis man die nötigen Zertifikate von den Zulassungsbehörden erhält. Und in diesem Prozess befinden wir uns gerade.

    Ein anderes Problem: die Vereisung von Hochspannungsleitungen. Gerade bei Eisregen können die Leitungen so stark vereisen, dass die Strommasten unter dem Gewicht zusammenbrechen. Vor vier Jahren etwa verursachte ein Eissturm in den USA einen Schaden von rund fünf Milliarden Dollar. Einige Landstriche waren für Wochen ohne Strom. Petrenko aber weiß Rat:

    Für das Enteisen von Hochspannungsleitungen haben wir gleich zwei Methoden entwickelt, sagt der Physiker. Bei der ersten überlagern wir dem normalen 50 oder 60Hz-Spannung ein schwaches Hochfrequenzsignal. Dieses Signal schmilzt das Eis bzw. es verhindert, dass sich überhaupt Eis am Kabel niederschlägt. Beim zweiten Verfahren beschichten wir das Hochspannungskabel mit einem speziellen Kunststoff. Dieser Kunststoff wird durch die Netzspannung im Kabel erwärmt, und die ist ja immer da. Dadurch ist der Kunststoff stets über null Grad warm, sodass sich auf ihm kein Eis bilden kann.