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Eiswürfel mit Weitblick

Polarforschung. – Neutrinos sind kosmische Langstrecken-Läufer: Botschafter aus den Tiefen des Alls, von deren Analyse sich Physiker neue Erkenntnisse über Entstehung und Schicksal des Universums versprechen. Doch die mysteriösen Geisterteilchen sind schwer zu fassen. Das Projekt Icecube am Südpol setzt dabei völlig neue Maßstäbe.

Von Ralf Krauter | 02.03.2007
    Der US-Physiker Francis Halzen kam zum Südpol wie die Jungfrau zum Kind. Der Mann ist Theoretiker, Experimente waren eigentlich nie sein Ding. Kein Wunder also, dass er sich noch vor 15 Jahren nie hätte träumen lassen, einmal den Bau des größten Teilchendetektors aller Zeiten zu koordinieren. Und dann auch noch in so einer unwirtlichen Gegend wie der Antarktis. Doch die Argumente für die weiße Wüste waren zwingend.
    "If you want to build a billion ton detector, you simply have to find a place, where nature has already constructed it for you.”"

    Wenn man einen Megadetektor bauen will, der Milliarden Tonnen wiegt, sagt Francis Halzen, muss man dorthin gehen, wo die Natur bereits die Vorarbeiten geleistet hat.

    "”Um Neutrinos nachzuweisen, braucht man einen großen Block aus transparentem Material, in dem sich Licht unterirdisch über hunderte von Metern ausbreiten kann."

    Der kilometerdicke Eispanzer am Südpol ist ideal dafür. Wenn die flüchtigen Elementarteilchen aus dem All auf ein Eismolekül treffen, entstehen dabei nämlich manchmal andere Partikel, die sich durch ein charakteristisches blaues Leuchten im Eis verraten. Basketballförmige Lichtsensoren, die in regelmäßigen Abständen im Eis verteilt werden, registrieren dieses Leuchten und erlauben es, die Flugbahn der kosmischen Botschafter zu ermitteln. Das Detektionsprinzip an sich ist nicht neu, wohl aber die schiere Größe des Neutrino-Teleskops am Südpol. Einen Kilometer Kantenlänge soll der gigantische Eiswürfel haben, wenn er 2010 fertig ist: Ein Kubikkilometer Detektorvolumen, gespickt mit 4800 Sensoren. Halzen:

    "”Mittlerweile haben wir rund ein Viertel des Detektors aufgebaut. Da die Arbeiten extrem gut voran kamen, bin ich nun erstmals optimistisch, dass wir termingerecht fertig werden, ohne das Budget zu überziehen.""

    Danach sah es nicht immer aus. Allein schon das Ausbringen der Sensoren entpuppte sich als eine Wissenschaft für sich. Halzen:

    "”Um die lichtempfindlichen Sensoren gleichmäßig im Eis zu verteilen, müssen wir insgesamt 80 Löcher bohren, jedes zweieinhalb Kilometer tief. Da sie am Südpol nur während der zwei Sommermonate arbeiten können, würde das mit konventioneller Bohrtechnik viele Jahre dauern. Deshalb mussten wir ein Verfahren entwickeln, mit dem wir so ein Loch bei geringem Treibstoffverbrauch in deutlich weniger als zwei Tagen bohren können.""

    Ein Heißwasser-Bohrer mit fünf Megawatt Leistung war die Lösung. Das heiße Wasser schmilzt zweieinhalb Kilometer tiefe Löcher ins Eis. Weil Eis ein hervorragender Wärmeisolator ist, bleibt das geschmolzene Wasser in den vertikalen Kanälen lange genug flüssig, um die Trossen mit jeweils 60 der kugelförmigen Sensoren daran in die Tiefe abzulassen. Halzen:

    "Sobald die Sensoren im Eis stecken, schalten wir sie ein. Wir warten nicht, bis der Detektor komplett ist, sondern nehmen jetzt schon Daten."

    Innerhalb von ein paar Jahren, so hoffen die Forscher, dürften dem riesigen Eiswürfel am Südpol einige 100.000 Neutrinos ins Netz gehen. Das ist deutlich mehr als alle bisherigen Detektoren je registriert haben und erhöht die Chance dramatisch, die Botschaften der kosmischen Marathonläufer zu verstehen.

    "”It’s like taking a new picture of the sky. The southpole is a blessing.”"

    Die Arbeit am Südpol sei aber nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht ein Segen, betont Francis Halzen:

    "”Die Plätze in den Flugzeugen zur Südpolstation sind jedes Jahr heiß umkämpft. Die Antarktis übt eine ungeheure Faszination auf alle Mitglieder des Icecube-Teams aus. Diese Saison, die eben zu Ende ging, waren rund 50 davon dort. Als ich einen meiner Studenten nach seiner Rückkehr fragte, wie es denn gewesen sei, sagte er nur: Das war das beste Hotel, in dem ich je abgestiegen bin.""