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"El Pais" wankt

Angesichts der tiefen Wirtschaftskrise hat die Konzernleitung von Spaniens größter Tageszeitung nun die Notbremse gezogen. Ein Drittel der Redakteure sollen die Zeitung verlassen. Diese fordern im Gegenzug den Rücktritt der Konzernleitung und der Chefredaktion.

Von Hans-Günter Kellner | 13.10.2012
    149 Beschäftigte sollen das Flaggschiff der spanischen Presselandschaft verlassen, der Rest soll auf 15 Prozent seines Gehalts verzichten. Dabei hatte sich die Belegschaft erst vor neun Monaten mit einem neuen Tarifabschluss auf einen Gehaltsverzicht geeinigt, schon damals wurden 60 Stellen gestrichen. Manuel González ist Redakteur von El País und Betriebsratssprecher:

    "Die Geschäftsleitung sagt, dass in den letzten drei Quartalen der Umsatz zurückgegangen ist. Natürlich stimmt das, keinem Unternehmen in Spanien geht es besser. Aber die Zeitung wirft immer noch einen Gewinn ab. Das unterscheidet uns von allen anderen spanischen Tageszeitungen. Alle machen seit Jahren schon Millionenverluste, El Mundo, ABC und Razón. Die einzige Zeitung ohne Verluste ist El País."

    Im vergangenen Jahr hatte die Zeitung trotz des widrigen Konjunkturklimas in Spanien noch einen Gewinn von acht Millionen Euro erwirtschaftet. Für dieses und nächstes Jahr rechnet die Geschäftsleitung jedoch mit Verlusten. Die Beschäftigten haben darum angeboten, über Lösungen zur Kostenreduzierung zu verhandeln. Doch die Geschäftsleitung lehnt Verhandlungen ab. Mit den in diesem Jahr in Kraft getretenen Lockerungen bei Kündigungsschutz ist sie in einer starken Position. Nicht nur deshalb ist das Tuch zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der Mediengruppe Prisa, Juan Luis Cebrián, und der Redaktion von El País zerschnitten.

    "Herr Cebrián hat sich ein Millionengehalt zugesichert. Den bei der Börsenaufsicht hinterlegten Dokumenten zufolge sind es mindestens 8,2 Millionen Euro. Damit ist der gesamte Gewinn des Jahres 2011 für das Gehalt von Herrn Cebrián draufgegangen. Es ist einfach unmoralisch, bei einem solchen Gehalt zu sagen, dass für jeden Dritten bei uns kein Platz mehr ist. Für Leute, die in den letzten zehn Jahren einen Gewinn von mehr als 500 Millionen Euro erarbeitet haben. Geld, das Cebrián schlecht investiert oder eben in die eigene Tasche gewirtschaftet hat."

    Zumal Cebrián den Stellenabbau nicht nur mit der Gehalts- sondern auch der Altersstruktur der Redaktion begründet. Der 68-Jährige habe ihnen erklärt, Journalisten hätte mit 50 Jahren nicht mehr die Fähigkeiten, die in der digitalen Medienwelt gebraucht würden, berichten Redakteure. Manuel González ist 52 Jahre alt:

    "Solche Dinge sagt er schon seit 20 Jahren. Er hat einfach zu spät mitbekommen, um was es bei Internet geht. Jetzt gibt er anderen die Schuld für seine Versäumnisse. Wir stellen hier täglich unter Beweis, dass er unrecht hat. Wir sind Spaniens erstes Kommunikationsmedium im Netz, wie kann er da behaupten, dass unser Verfallsdatum überschritten ist? Das passt nicht zusammen."

    Die Entwicklung hat sich abgezeichnet. Für den enormen Schuldenberg von fast dreieinhalb Milliarden Euro beim Mutterkonzern sind zwar vor allem die teuren Fernsehprojekte verantwortlich. Doch nun bedroht die finanzielle Schieflage auch El País.

    Die Redaktion verlangt darum den Rücktritt von Cebrián, aber auch den von Chefredakteur Javier Moreno. Redakteure hatten angekündigt, aus Protest gegen die Pläne ihre Artikel nicht mehr namentlich zeichnen zu wollen. Daraufhin habe der Chefredakteur mit Entlassungen oder Korrespondenten mit ihrem Abzug gedroht, so der Betriebsrat. Moreno hat aber auch zugegeben, dass mit einem Drittel weniger Beschäftigten nicht mehr die gleiche Zeitung zu machen ist. Kommunikationswissenschaftler Armando Recio von der Complutense-Universität in Madrid beobachtet die Entwicklung der Qualitätsmedien nicht nur in Spanien schon lange mit Sorge. Schon vor der Zuspitzung der Krise bei El País sagte er:

    "Ihre Funktion der vierten Macht im Staat, die Kontrollfunktion, erfüllen die Medien schon lange nicht mehr. Information kostet Zeit und Geld - für den, der sie anbietet und für den, der sie empfängt. Doch heutzutage haben die Menschen weder Zeit noch Geld, die Qualität der Information der privaten Medien sinkt. Die Folge ist eine zunehmend oberflächliche Gesellschaft. Dagegen müssen wir in den Universitäten und auch in den öffentlichen Medien angehen."