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El Salvador
Wahlen im Zeichen der Gewaltkriminalität

Mehr als 20 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges prägt das Thema Gewalt noch immer das mittelamerikanische Land El Salvador. Auch die bevorstehenden Wahlen sind von der Angst vor den blutigen Verbrechen der Maras, der terrorisierenden Jugendbanden, gezeichnet.

Von Martin Polansky | 01.02.2014
    Das Kampagnenlied dröhnt aus den Lautsprecherwagen der FMLN, der Regierungspartei in El Salvador. "Vamos a continuar" – lasst uns weitermachen. Junge Anhänger schwenken dazu die roten Fahnen der Frente. Seit fünf Jahren regiert die Linke das ehemalige Bürgerkriegsland. Und Spitzenkandidat Salvador Sánchez Cerén wirbt für eine Fortsetzung:
    "Der Wandel schreitet voran, er bewegt das Land. Wir sind auf dem richtigen Weg. Vorwärts mit Freude und Hoffnung. Lasst uns siegen."
    Als die Frente vor fünf Jahren in El Salvador die Macht übernahm, war das ein historischer Wechsel. In dem von Gewalt geprägten kleinen Land stellte die frühere Guerillagruppe FMLN erstmals eine Reformregierung – mit dem moderaten Präsidenten Mauricio Funes an der Spitze. Der populäre Politiker darf lauf Verfassung nicht wieder antreten. Mit Salvador Sánchez Cerén würde nun ein ehemaliger Guerilla-Comandante ins Präsidentenamt wechseln. Der wirkt aber wenig marzialisch-radikal mit seinen grauen Haaren und dem großväterlichen Gesicht. Die Frente wirbt vor allem mit den von ihnen geschaffenen Sozialprogrammen. Die kommen bei vielen Salvadorianern gut an:
    "Es ist gute Politik. Die Regierung macht etwas für das Volk, für die Armen. Manchen geht es ja wirklich schlimm. Aber es hat sich etwas getan. Etwa mit der Grundpension für Senioren."
    Durchschnittlich acht Morde am Tag: Die alltägliche Gewalt in El Salvador
    "Für Schulkinder wird viel getan. Sie bezahlen jetzt die Schuluniform, Schreibmaterial, jeden Tag ein Glas Milch. Das hilft uns sehr. Aber leider gibt immer noch sehr viel Verbrechen. Wir hätten gerne mehr Sicherheit. Aber die fehlt."
    Genau diese Angst prägt den Wahlkampf und könnte der Frente den Sieg verhageln. El Salvador und die Gewalt. Es scheint fast wie eine Symbiose. Früher bekämpfen sich die Rechte und die Linke mit Waffen. 75.000 Tote zwischen 1980 und 1992. Jetzt ist es die alltägliche Gewalt, das rücksichtslose Verbrechen. Mit durchschnittlich acht Morden am Tag. Zynisch gerechnet etwa die halbe Todesrate wie zu Bürgerkriegszeiten.
    Und die wabernde Angst hat einen Namen: die Maras. Jugendgangs, die seit den neunziger Jahren vor allem die Armenviertel terrorisieren – Spezialität Schutzgelderpressung. Wer nicht zahlt, riskiert sein Leben. Zudem bekämpfen sich die Maras gegenseitig um die Vorherrschaft in den Vierteln. Die Zeitungen machen beinah täglich auf mit den Berichten über Morde oder Massakern an ganzen Familien – mit Grafiken über den Tathergang inklusive.
    Bemerkenswert ist allerdings: Die Mordzahlen haben sich in den letzten Jahren halbiert, dank eines 2012 ausgehandelten Waffenstillstands zwischen den Maras. Der kam nach monatelanger Vermittlung durch den Militärbischof von El Salvador und den ehemaligen Guerillacomandante Raul Mijango zustande. Die beiden Vermittler handelten dabei mit Billigung der Regierung. Mijango betont die bisherigen Erfolge des Waffenstillstands:
    "Das ist die effektivste Maßnahme, die wir bisher angewandt haben, um Verbrechen zu verhindern. Die Mordrate um die Hälfte zu reduzieren, muss man erst mal schaffen. Tausende von Menschenleben konnten so gerettet werden."
    Klar ist aber auch: Mit dem Waffenstillstand sind die Maras nicht verschwunden. Die Territorialkämpfe werden zwar nicht mehr so brachial ausgetragen, aber die Gangs erpressen weiter - kleine Ladenbesitzer, Bus- oder Taxifahrer. Und zuletzt sind die Mordzahlen auch wieder leicht angestiegen. Der Waffenstillstand war ein Anfang, jetzt bräuchte es eine langfristige Strategie, sagt der junge Politologe Carlos Monterozza:
    Salvadorianer erwarten konsequentes Vorgehen gegen Maras
    "Sollte die Regierung nicht zusätzliche Maßnahmen ergreifen, sitzen wir auf einer Zeitbombe. Dieser Waffenstillstand ist auf Sand gebaut. Wenn er zerbricht, was wird der Staat dann machen? Wird er die Integration suchen, Arbeitsplätze schaffen, bedürftige Familien finanziell unterstützen, damit ihre Kinder eine Ausbildung bekommen? Mit repressiven Maßnahmen hat man in der Vergangenheit jedenfalls nichts erreicht."
    Allerdings: Die linke Regierung sieht sich in einem Zwiespalt. Denn: Nach Umfragen setzt die Mehrheit der Salvadorianer nicht auf den Waffenstillstand. Statt dessen erwartet sie ein konsequentes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Maras. Schon jetzt sind deshalb Polizei und Militär auf den Straßen. Die Regierungsstrategie: eine Mischung aus Härte und vereinzelten Versuchen der Resozialisierung.
    Elba Carmen Mendoza ist 65. Voller Inbrunst singt die Frau das Schlachtlied der größten Oppositionspartei, der Arena. Es geht um Blut und Freiheit. Die Arena stand zu Bürgerkriegszeiten den rechten Militärmachthabern nahe. Elba weiß, wie das ist mit Blut und Kampf. Früher ging es gegen die Kommunisten sagt sie, heute gegen die Jugendgangs:
    "Die Unsicherheit ist schlimm. Wir hoffen auf Gott, dass die Autoritäten durchgreifen, dass die Polizei ihre Arbeit macht."
    Norman Quijano will für die Arena der neue Präsident El Salvadors werden. Der grau melierte Mann mit Schnurrbart war früher Bürgermeister der Hauptstadt, schwenkt gerne zwischen radikaler Rhetorik und eher pragmatischer Politik. Im Wahlkampf hat Quijano mit der Angst vor dem Verbrechen sein Thema gefunden. Er sieht das Land im Ausnahmezustand:
    "Lasst uns die nationale Sicherheit militarisieren, lasst uns einige Armeezentren in Haftanstalten verwandeln und Militärgerichte einsetzen. Im Ausnahmezustand erlaubt uns die Verfassung die Zwangsrekrutierung von 18 bis 30-Jährigen. Es gibt mehr als 100.000 Salvadorianer in diesem Alter, die weder studieren noch arbeiten. Sie sind deshalb eine leichte Beute für die Banden. Diese jungen Leute werden wir zwangsrekrutieren. Nicht für den Umgang mit Waffen, sondern damit sie lernen, sich die Zähne zu putzen, Sport zu treiben oder einen Beruf nachzugehen - als Elektriker, Mechaniker oder Schreiner."
    In den meisten Umfragen liegen Quijano und der Frente-Kandidat Sánchez Cerén dicht beieinander. Denkbar ist, dass keiner von beiden am Sonntag die absolute Mehrheit erreicht, dann wäre eine Stichwahl Anfang März notwendig.
    Die Wahlkampfmaschinen dröhnen. Immerhin die Kampagne selbst ist friedlich. Trotzdem: Mehr als 20 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges prägt das Thema Gewalt El Salvador. Und es könnte auch diese Wahlen entscheiden.