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Electronic Vibration

"Ohne das Becken funktioniert es nicht". Bereits 1969 brachte Don van Vliet alias Captain Beefheart das Zusammenspiel von Körper und Popmusik auf diesen einfachen Nenner, und an der Aussage verwundert nur, daß sie von einem Musiker stammt, dessen als immer noch bahnbrechend bewertetes Rockschaffen selbst in einer durch Drogen beflügelten Ekstase sich als untanzbar erwies.

Stefan Osterhaus |
    Gabriele Klein greift das Zitat von Captain Beefheart nicht auf, und dennoch ist es der Ausgangspunkt für ihr Sachbuch über Techno und Tanz. In "Electronic Vibration" argumentiert die Autorin auf 350 Seiten für die fortwährende Gültigkeit dieser Aussage. Irritierend wirkt dabei lediglich, daß Gabriele Klein die Rolle des frühen Rock'n'Roll für die Entwicklung der Körperlichkeit innerhalb der Popkultur unterschätzt. Denn mit dem Hüftschwung von Elvis Presley feierte man im Pop die Entdeckung des Körpers.

    Diese Fehlbewertung mag daher kommen, daß die Soziologin sich in früheren Publikationen nicht der Popmusik, sondern dem Gesellschaftstanz gewidmet hat. Ihr Augenmerk rückt deshalb stark von der Musik ab. Daß die Signifikanz des Körpers innerhalb des Techno-Diskurses bisher jedoch unterschätzt wurde, hatte wiederum die Autorin irritiert: "Der Diskurs um die Popkultur hat eine große Leerstelle, das ist der Tanz. Wenn man von Tanz spricht, spricht man auch immer vom Körper und Körperbewegung oder einer ästhetischen Form von Körperbewegung. Das hat man beim Diskurs um die Popkultur bisher nicht beachtet."

    Abhilfe im bibliophilen Brachland also: Gabriele Klein nennt dies ein "stark marginalisiertes Feld wissenschaftlicher Untersuchungen". Dabei ist es augenscheinlich, daß sich eine Annäherung und Erschließung an Techno allenfalls durch den Körper vollziehen kann. Stilrichtungen wie Rock, Punk, oder auch Rap waren neben der körperlichen Komponente auch über den Text zugänglich; selbst eine literarische Erschließung war möglich. Im Techno dagegen herrscht Irritation, wenn ein DJ mit Wörtern arbeitet. Versuche, sich der Szene literarisch zu nähern, kann man bestenfalls als gutgemeint bezeichnen. Für die Tanzexpertin Klein ist diese einfach zu vollziehende Annäherung, die es dem kopflastigen Intellektuellen aber gleichzeitig schwermacht, ein entscheidender Punkt: "Wenn man über Stilbildung redet, wenn man über Mode redet - das macht man ja gerne im Zusammenhang mit Jugendkultur -, dann muß man auch immer über den Körper reden. Stilbildung, Lifestyle und all diese modernen Begriffe wie Eventkultur findet am und mit dem Körper statt. Von daher ist der Körper ein sehr zentrales Merkmal oder eine sehr zentrale Kategorie dieser Untersuchung. Das fand, meiner Meinung nach, bislang nicht statt."

    "Electronic Vibration" vermag diese Kulturgeschichte des Körpers im Pop plastisch zu beschreiben. Techno begreift Gabriele Klein als das vorläufig letzte Kapitel dieser Entwicklung: Die Artikulationsmöglichkeiten des Körpers seien ausgereizt. Als Weichenstellung kennzeichnet die Autorin die Disco-Ära der späten siebziger Jahre, der in den achtziger Jahren ein Körperkult folgte. Eine deutliche Differenz zwischen Disco und Techno sei jedoch, daß tanzen auf Raves als ein kollektives Ereignis begriffen wird: "Die Tanzkultur des Techno ist eine ganz andere. Es geht nicht darum, daß das einzelne Individuum vor sich hintanzt wie beim Tanz in den achtziger Jahren, selbstvergessenes Dahintanzen. Es geht auch nicht darum, wie in den siebziger Jahren - wo man gerne den letzten lndividualisierungsschub festmachen möchte- , daß man tanzt, um gesehen zu werden und um sich zu inszenieren, um so ein Tony Manero zu sein, der nichts anderes kennt als die Samstag Nacht, wo er der Held sein kann. Meine These ist, daß es in der Hochzeit der Technoszene ein gemeinschaftliches Tanzen gab. Es gibt natürlich auch das 'Sich-zeigen-wollen' im Tanz. Wir sind sehr individualisierte Menschen, deshalb geht das ‘Sich-inszenieren-wollen’ nicht verloren. Aber es geht auch darum, Kontakt zu knüpfen auf der Tanzfläche, nicht nur um jemanden abzuschleppen, sondern um zusammen zu tanzen."

    Diese unverbindliche Form der Kontaktaufnahme sei ein wesentlicher Teil des Wirklichkeitsmodells der Techno-Generationen. Ein Wirklichkeitsmodell kann mit Lebensentwurf übersetzt werden. Dieser Lebensentwurf manifestiere sich klar über den Körper und ergebe so ein neues Körpermodell. Jede Generation hätte andere Körpermodelle etablieren können, schreibt Gabriele Klein und verdeutlicht es anhand der 68er-Generation. Deren Wirklichkeitsmodell, oftmals geheftet an die Thesen des Soziologen und Philosophen Theodor W. Adorno, ist ein grundsätzlich anderes gewesen als das der 89er Technogeneration. Die gegenwärtige Besetzung des öffentlichen Raumes - wie bei der Berliner "Love Parade" - erfolgt durch Musik und Tanz und somit über ein ästhetisches Element. Gabriele Klein wertet dies als politischen Akt. Eine durchaus diskussionswürdige These: "Dadurch erschließt sich überhaupt kein kulturpessimistisches Bild", so Klein. "Das ist erst mal der Abschied von einem bildungsbürgerlichen Kulturpessimismus, und den sollte man auch verabschieden. Wir müssen unterscheiden, ob wir von Horkheimer und Adorno und ihren Kulturindustriethesen reden, oder von anderen Autoren, die man gerne zur kritischen Theorie zählt wie Leo Löwenthal oder Marcuse. Die Rezeption der 68er hat diese Kulturindustriethesen sehr offen und sehr undifferenziert aufgenommen. Kulturindustrie war in der politischen Programmatik ja fast alles."

    Alles ist durch alles ersetzbar, schrieb Adorno in einem Aufsatz über Jazz, der seinerzeit noch der Populärmusik zugerechnet wurde. Damit hielt er einen grundsätzlichen Wesenszug der Popkultur fest: Die Notwendigkeit von austauschbaren musikalischen Elementen, die Pop für den Konsumenten erst transparent und ohne Wissen leicht verständlich macht. Das Gleiche galt, in abgemilderter Form, selbst für musikalische Grenzgänger wie Captain Beefheart, und besondere Gültigkeit hat es heute für den DJ am Plattenspieler: Denn fügt der Sample-Spezialist seine beliebigen Musikfetzen nicht versiert genug zusammen, werden die Körper der Tänzer nur wenig Vibrationen verspüren wollen.