Donnerstag, 28. März 2024

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"Elektra" am Residenztheater
Familienhölle, tiefenpsychologisch

Mit seinem Menschen-Maschinen-Musiktheater hat Regisseur Ulrich Rasche eine ganz eigene Handschrift perfektioniert. Nun hat er sich am Münchner Residenztheater Hugo von Hofmannthals "Elektra" vorgenommen. Eine Familienhölle im Käfig - und ein großes Theaterereignis.

Von Sven Ricklefs | 16.02.2019
    Residenztheater München, "Elektra" von Hugo von Hofmannsthal, Premiere: 15.2.2019 Regie & Bühne: Ulrich Rasche
    In der "Elektra" von Ulrich Rasche am Münchner Residenztheater spielt sich die Familienhölle in einem Käfig ab (Thomas Aurin)
    "Warum liegt ihr so auf mir…." Ein Fall, wie gemacht für eine Familienaufstellung: Da hat der Vater ohne Not eine seiner Töchter geopfert, nur um mit besserem Wind in den Trojanischen Krieg zu gondeln. Da hat die Mutter mit ihrem neuen Geliebten den Kriegsheimkehrer und seine neue Geliebte mit dem Beil erschlagen. Und da wartet nun die Tochter Elektra seit langen Jahren auf den Bruder Orest, damit der Vater endlich gerächt und wiederum die Mutter ermordet wird. Da sage noch mal einer, die Familie sei nicht die Keimzelle allen Übels.
    Raus aus der Familienhölle
    "Warum verwüstet ihr mich so…" Da ist er also wieder, der Rasche-Chor, der seine Texte im Körpercluster ausschreitet, der sie im Gleichklang hervorschleudert, immer in Bewegung, immer im Takt. Im Takt der Musik und im Takt einer ganz eigenwilligen Sprachmelodie. Es ist vor allem die Sprache, mit der Ulrich Rasche seine total abstrakten Räume füllt, auch wenn sie durch ihre Monumentalität und Maschinenästhetik ebenfalls beeindrucken und die Fieberkurven der live eingespielten Musik von Monika Roscher ihr übriges tun. Als sein eigener Bühnenbildner hat er nun für diese Elektra ein riesiges zylindrisches Käfigkonstrukt entworfen, dessen Kappe sich lüften lässt und in dessen Mitte eine hydraulisch bewegbare Scheibe in Ewigkeit um sich selber rotiert. Und hier kreisen auch sie: Elektra, die Rachedürstende, Chrysothemis, ihre Schwester, die nichts so sehr herbeisehnt, wie diese Familienhölle endlich hinter sich zu lassen, und die Mutter, Klytämnestra, deren Schuldgewissen die eigene Tochter am brennen hält. Und hier kreist auch der Chor, wie alle an langen Seilen an das leere Zentrum gekettet, in dem im übertragenen Sinne der tote Vater Agamemnon seine unsichtbare und zweifelhafte Rolle spielt.
    Rache an der Mutter
    "Warum geschieht mir das ihr ewigen Götter…" Anders als in seinen Salzburger "Persern" oder seinen Münchner "Räubern", wo der Chor als Krieger oder Räuberbande eine eigene, klar definierte Rolle spielte, benutzt Ulrich Rasche diesen Chor nun, um jene Stimmen zu verstärken, die in manisch drängenden Loops durch das Hirn seiner Elektra kreisen. Und so ist auch der monumentale Käfig auf der Bühne zum einen das Atridenschloss und damit das Familiengefängnis dieses verfluchten Geschlechts, zum anderen aber auch der Kopf von Elektra, die seit dem brutalen Vatermord an nichts anderes mehr denken kann, als die eigene Mutter umzubringen.
    Ästhetische Wucht und inhaltliche Erbarmungslosigkeit
    "Wo bist Du, Vater? Hast Du nicht die Kraft dein Angesicht herab zu mir zu schleppen?" Es ist die Elektra der fulminanten Katja Bürkle, die eindeutig im Zentrum dieses Abends steht. Wie sie ihre Familie sprachlich mit glasklarer Härte durch ihr gemeinsames Schicksal peitscht und dabei zugleich nie die sensible Verzweiflung dahinter vergessen lässt. Und wie sie das auch körperlich erfahrbar macht, indem sie mit kerliger Konsequenz für die von ihr vertretenen Notwendigkeiten eintritt und doch am Ende, wenn es getan ist, fast nackt und unendlich zart, hilflos und allein im Zentrum ihres Käfigs steht: hilflos den hämmernden Beats und dem grellen Licht dieses erbarmungslosen Bühnenuniversums ausgeliefert. Mit dieser Elektra und einem hervorragenden Ensemble gelingt es Ulrich Rasche fulminant in die psychoanalytischen Tiefen von Hugo von Hofmannsthals Stück einzudringen, dorthin, wo es weh tut und wo die Frage nach bedingungsloser Konsequenz sich in all ihrer Härte zeigt. Und so ist diese Elektra in ihrer ästhetischen Wucht und ihrer inhaltlichen Erbarmungslosigkeit ein großes Ereignis.