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'Elektra' elektrisiert mit neuem Musik-Chef

Die "Elektra", eine der besten Arbeiten Hugo von Hofmannsthals, ist ein Stück vom großen Warten: Von Alleinsein, von der großen Trauer über den Verlust eines einmaligen Menschen und des in ihr eskalierenden Rachebedürfnisses. Ein Werk voll quälender Konfrontationen beschädigter Menschen und voll überspannter Erwartung. Wenn der lang Ersehnte, der tot gesagte Bruder Orest endlich eintritt, unerkannt zunächst im Hof des Palastes von Mykene oder Argos steht, dann spannt die Musik im Besonderen ihre psychischen Kräfte und kokettiert mit einer gewissen Affinität zu routinierter Beschallung des Stummfilms. Musik des Wartens, der Erwartung. Der 'glücklichen Hand'.

Ein Was in der Brüsseler Nationaloper unter der neuen Leitung von Kazushi Ono am Pult draus wurde, sagt Frieder Reininghaus. |
    Dem neuen Brüsseler Chefdririgenten Kazushi Ono gelingt, trotz gelegentlichen orchestralen Überdrucks, eine insgesamt gute Balance der überdrücklichen Musik von Richard Strauss, eine sorgfältig vorbereitete, sinnvoll dosierte Arbeit und mit ihr ein stürmisch gefeierter Einstand im großen Haus der Brüsseler Nationaloper: eine gute Wartung, feste Wartburg. Und dann die grandiose Erwärmung der Protagonistin aus Selbstzweifeln in Unterkühlung, Erstarrung in Gram bis zur Glut des Triumphtaumels, dem ihr Herz und Kreislauf nicht gewachsen scheinen.

    Vielleicht muss Oper, damit sie noch einmal so richtig 'schön' gerät, in mancher Hinsicht traditionell bleiben oder in gewisser Weise wieder konservativ werden. Der französische Regisseur Stéphane Braunschweig, der gelegentlich zwar auch zu Anleihen in der grellen neuen Medien-Welt greift, erscheint gleichwohl als solider Handwerker, der Sängern wie Schauspielern präzise Gesten (und nichts Unnötiges), genaue Blicke (und überhaupt Konzentration auf Wesentliches) abverlangt. Er ließ sich einen Stuhl und eine weiße Wanne auf die Bühne stellen - jenes Bad, in dem Elektras Vater Agamemnon verblutete, als er blutbefleckt und mit dem Betthaserl Kassandra aus dem Trojanischen Krieg zurückkehrte und von der Gattin Klytämnestra und deren Liebhaber Ägisth mit dem Hackebeil empfangen wurde. Elektra kann die Untaten ihrer von Alters her in dieser Hinsicht erprobten Familie so wenig vergessen und verdrängen wie Orest. Von daher die wahrhaft ungeheure Dynamik im abgründig bösen Dialog mit der Mutter oder im Wortwechsel mit deren neuem Lebensabschnittspartner. Es ist kein konkreter Ort, an dem die Frage von Machterhalt und Verstrickung, Schuld und Sühne mit Hofmannsthals Worten und der Strauss'schen Musik verhandelt und aufgeschäumt wird. Stéphane Braunschweigs Bühneninstallation mit ihren nach hinten sich verirrenden Räumen und den Treppenauf- oder Abgängen, die vor spiegelnden Glastüren oder einem Abgrund enden, erinnern an ferne Palastwelten, prähistorische Grabanlagen - und zugleich, vielleicht zufällig, an das Monument, das Dani Karavan in Port Bou für Walter Benjamin installierte. Ägisths Tod an der Panzerglastür, die nicht aufgehen will, ist ebenso ein großer Theatermoment wie das aus Überspanntheit sich in monomanen Willen kanalisierende Grübeln von Isolde Elchlepp, der Protagonistin.

    Wer eine in aller Gediegenheit innenspannungsreiche "Elektra" mit zwei Stunden hochkarätiger Musik erleben will, der sollte sich nun rasch um eine Karte im Théâtre Royal de la Monnaie kümmern.

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