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Elektrische Kakerlake

Robotik.- An der Herausforderung, laufende Maschinen zu konstruieren, die auch in unwegsamem Terrain selbstständig ihren Weg finden, beißen sich Forscher seit vielen Jahren die Zähne aus. Doch nun sind Göttinger Wissenschaftler dabei einen Schritt weiter gekommen.

Von Ralf Krauter | 18.01.2010
    Die Videos auf der Internetseite des Fachmagazins "Nature" zeigen ein sechsbeiniges Maschinenwesen, das rund 40 Zentimeter lang ist und gemächlich vorwärts krabbelt. Man erkennt Kabel, Servomotoren, eine eingebaute Kamera und einen auf dem Rücken des Gefährts montierten Taschencomputer. In dem steckt das Gehirn der Maschine, erklärt der thailändische Forscher Dr. Poramate Manoonpong per Telefon aus Kyoto.

    "Das Vorbild für diesen Roboter war eine Kakerlake. Er hat sechs Beine, jedes davon verfügt über drei Gelenke, die von Servomotoren verstellt werden. Außerdem hat der Roboter ein Rückengelenk, damit er über Hindernisse klettern kann. Insgesamt haben wir 18 Motoren und rund 18 Sensoren: Kameras, Beschleunigungsfühler, Neigungsmesser und so weiter. Die Informationen dieser Sensoren beeinflussen das Verhalten des Roboters."

    Der Neuroinformatiker Poramate Manoonpong hat bis vor ein paar Wochen am Göttinger Bernstein Center for Computational Neuroscience geforscht. In einem gemeinsam mit deutschen Kollegen durchgeführten Experiment hat er den sechsbeinigen Roboter völlig autonom einen speziellen Parcours durchlaufen lassen. Einen Parcours in dem Überraschungen warteten, von denen die Maschine keine Ahnung hatte - Steigungen, Abhänge und Löcher zum Beispiel. Die spannende Frage war: Würde der Roboter sein Verhalten automatisch so anpassen, dass er trotzdem ans Ziel gelangt?

    Um ihm eine reelle Chance zu geben, haben die Göttinger Forscher eine lernfähige Steuerungssoftware programmiert. Ein neuronales Netzwerk, dessen Befehle die Motoren in den Beinen des Krabblers aktivieren, und zwar anders, je nachdem was die Sensoren gerade melden.

    "Die Maschine bewegt sich völlig autonom. Wenn sie ein Hindernis entdeckt, geht sie ihm aus dem Weg. Ansonsten läuft sie einfach vorwärts. Wenn es plötzlich bergauf geht, wechselt sie zu einer langsameren Gangart. Andernfalls behält ihren Schritt bei."

    Solch adaptives Verhalten ist an sich nichts Neues. Das Bemerkenswerte an den aktuellen Versuchen: Obwohl der sechsbeinige Krabbler mit seinen 18 Motoren eine sehr komplexe Maschine ist, besteht die Schaltzentrale seines elektronischen Gehirns nur aus zwei simulierten Neuronen, ist also extrem simpel. Trotzdem lernt der Roboter beim Hochklettern einer Steigung innerhalb von Sekunden, welche Gangart ihn am energiesparendsten nach oben bringt, er drosselt das Tempo sobald es bergab geht und krabbelt zielgenau auf eine Lichtquelle zu.

    Und selbst wenn sich eins seiner Beine in einem Loch verfängt, weiß sich der Roboter zu helfen. Dank eines eingebauten Chaos-Generators befreit er sich von selbst aus der Klemme. Ein pfiffiges Novum, erklärt Poramate Manoonpong.

    "Drucksensoren an seinen Füßen verraten dem Roboter, ob ein bestimmter Fuß auf dem Boden steht oder nicht. Sobald einer der Füße keinen Halt findet, löst diese Sensorinformation ein chaotisches Verhalten aus. Der Roboter beginnt all seine Beine zufällig zu bewegen, um einen Ausweg zu finden. Und zwar solange, bis er den gefangenen Fuß irgendwie aus dem Loch befreit hat."

    Bei den Versuchen dauerte das chaotische Beingezappel kaum 20 Sekunden. Dann war der verhakte Fuß wieder frei - und die Erkundungstour ging weiter.

    "Natürlich könnte man solch einen Roboter für Rettungszwecke einsetzen, weil er auch in unwegsamem Gelände zurecht kommt. Aber was uns eigentlich interessiert, ist die Frage: Kann man mit einem ganz simplen neuronalen Netzwerk solch einer Maschine adaptives Verhalten beibringen? Dass das offenbar möglich ist, könnte für Biologen ein Hinweis sein, dass bei Tieren wie Kakerlaken vielleicht ganz ähnlich simple Schaltkreise deren komplexes Verhalten steuern."