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Elektro und Pop auf der Waldlichtung

Zum 13. Mal fand bei Diepholz das Appletree Garden Festival statt. Um den Eintrittspreis niedrig zu halten, wird es ehrenamtlich organisiert. Namhafte internationale Pop- und Elektro-Bands kommen jedes Jahr in die Provinz. Dabei fing alles klein an - in einem Apfelgarten.

Von Sebastian Witte | 29.07.2013
    Es ist Mittwochabend. Die Luft ist schwül und voller Mücken. Die Stromgeneratoren rattern und überall riecht es nach Farbe und Waldboden. Im Scheinwerferlicht hinter der Bühne steht David und beantwortet Fragen zu Fluchtwegen, Dixieklos und Bühnenstrom. Er ist der Veranstalter des Appletree Garden Festivals.

    "Ist das mit den Rauchmeldern fertig?" - "Ja!" - "Ok. Klasse!"

    "Ich hab mir das von der Pieke auf selbst beibringen müssen. Was Brandschutz und so weiter angeht. 13 Jahre Festivalerfahrung lehren einen das. Es sind immer so Kleinigkeiten, die man über das Jahr plant und in der Umsetzung stellt man dann die Fehler fest."

    Noch wirkt alles entspannt. Das Team baut seit Tagen Zäune auf, verlegt Kabel und schmückt das Gelände. Alle arbeiten gleichberechtigt an ihrem gemeinsamen Festival. Manche der Helfer nehmen sich extra eine Woche Urlaub, um hier zu ackern.

    "Ärzte nehmen hier einen Schraubenschlüssel in die Hand und Lehrer wühlen hier im Dreck."
    Davids Walkie Talkie springt an und er muss los.

    "David! Wenn du Zeit hast, komm mal ins Büro!" - "Ok, bin auf den Weg!"

    Im kleinen Büro sitzt Agnes. Sie koordiniert die 200 Helfer. Manche Altbekannte sind seit Tagen hier. Andere neue Helfer kommen grade an und verdienen sich ihr Ticket durch Thekenschichten oder Müllsammeln.

    "Wir sind heute 45. Die Leute, die jetzt da sind, sind die die eigentlich schon die ganze Woche die ganz harte Arbeit machen. Vom Bauzaun schleppen bis später die Toiletten putzen!"

    Einer von ihnen ist Elektriker Sören aus Diepholz. Es ist sein erstes Appletree Garden.

    "Ich bin seit Montag hier. Hab meinen Sommerurlaub dafür genommen. Nette Leute hier. Bin sehr familiär aufgenommen worden. Jetzt grade sind wir an der Verkabelung. Die Atmosphäre ist der Hammer, da macht man das gern umsonst!"

    Bis ein Uhr nachts arbeitet das Team noch unterm Vollmond.

    Das Festival wurde bei Davids Mutter im Apfelgarten geboren. Das war 2001. Der Freundeskreis gründete einen Kulturverein und das Festival gleich mit, um Musik in die ländliche Region zu bringen. Zum ersten Open Air kamen 80 Besucher und drei lokale Bands. Mit der Zeit ist das Festival gewachsen und auf die heutige Waldlichtung umgezogen. Gewinn macht die Veranstaltung nie. Alles ist eng kalkuliert, um den Eintrittspreis bei etwa 50 Euro zu halten. Die Kosten für das Festival sind, laut David, deutlich fünfstellig. Mittlerweile spielen an den drei Tagen knapp 30 Bands. Davon international erfolgreiche und teure Künstler wie Metronomy, Friska Viljor oder der Berliner Olli Schulz. Vor dem hatte das Team im Jahr 2008 etwas Angst, meint Agnes.

    "Der galt als Diva. Der kam dann hier an und hat den Bauernhof nebenan gesehen und gesehen, dass da ein Trecker steht und dann haben wir den gar nicht mehr wieder gesehen. Der ist den halben Tag Trecker gefahren. Der hat uns den Müll aufs Gelände gefahren. Der hat sich pudelwohl hier gefühlt!"

    Der Donnerstag beginnt mit der täglichen Teambesprechung und der Abnahme der Ämter. David ist zufrieden.

    "Bislang hatten wir nur kleine Pannen. Wenn’s so weiter geht, wär’s perfekt! Wir stoßen jetzt an und dann geht das Programm auf dem Campingplatz los!"

    Am Abend spielen auf der kleinen Zeltplatz-Bühne die ersten Bands im Sonnenuntergang. Etwa 3000 Besucher sind schon angereist. Sie zelten, hören Musik und feiern.

    Der Freitag wird für das Team eine harte Probe. Am Mittag soll das Gelände mit den beiden großen Bühnen geöffnet werden. Viele Scheinwerfer und Imbissbuden haben aber noch keinen Strom. Sören tüftelt so lange an den Kabeln herum, bis alle Buden und Lichter versorgt sind.

    ""Wir müssen jetzt gucken, dass das Wetter hält. Das Problem ist jetzt erst mal gelöst."

    Dann öffnen sich die Türen zum Gelände und Hunderte Zuschauer strömen hinein. Das gute Wetter hält nicht lang. Während die erste Band spielt, beginnt es massiv zu regnen. Veranstalter David bleibt ruhig.

    "Wir haben jetzt grade krassen Regen. Da sind ein paar Stromleitungen rausgeflogen. Jetzt sind wir dabei, den Strom wieder zum Laufen zu bringen. Haben aber angefangen mit der Livemusik. Wir harren jetzt der Dinge, die da kommen!"

    Minuten später hat die Bühne wieder Strom und die Lage beruhigt sich. Die Bands spielen ihre Sets und das Publikum feiert. Am nächsten Tag - das nächste Unwetter. Dieses Mal ist es allerdings schlimmer.

    - "Wir fordern jetzt die Leute auf, das Gelände zu verlassen und sich in ihre Autos zu setzen."

    - "Strom runter fahren?"

    - "Nein, nein! Wir besprechen das jetzt mit den Bühnenleuten und dann machen wir eine Durchsage."

    In Sekunden verwandelt sich das Konzertgelände in Matsch. Besucher laufen vom Gelände und suchen ihre Autos. Die Feuerwehr rückt an. In wenigen Minuten bringt das Festival-Team Tausende Besucher vom Zeltplatz in Häuser im Umkreis. Für das Team ein großer Kraftakt. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und die Sonne scheint, als wäre nichts passiert. Agnes sitzt klatschnass im Büro und atmet erst einmal tief durch.


    "Es ist tatsächlich nichts passiert. Es wurde niemand verletzt. Jetzt heißt es: The show must go on!"

    Gegen Abend kommen die Besucher zurück auf das Gelände. Die Leute waten durch den aufgeweichten Boden und die Musiker machen ihre Soundchecks. Songwriter Honig und seine Band freuen sich auf ihren Auftritt.

    "Es ist toll! Ist jetzt alles total entspannt. Wir können hier in Ruhe aufbauen und dann müssen nur noch alle zurückkommen. So! Alles klar, wir fangen jetzt auch an. Viel Spaß! Auf Wiedersehen!"

    Auch Veranstalter David kann sich jetzt kurz entspannen und auf drei Tage Appletree Garden zurückblicken.

    "Es ist schon viel passiert dieses Wochenende! Wir hatten unsere erste Evakuierung. Aber ist ja alles gut gegangen und wir bringen das Festival jetzt sicher und trocken nach Hause!"
    Vor der Bühne im Matsch stehen, gehört bei Festivals oft dazu
    Vor der Bühne im Matsch stehen, gehört bei Festivals oft dazu (Sebastian Witte)