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Elektroden im Kopf

Neurologie. - Elektroden im Kopf – das kling nach Science Fiction, ist aber für etliche Parkinson-Patienten mittlerweile Alltag. Tief im Bewegungszentrum ihres Gehirns blockiert eine Elektrode das lästige Zittern und ermöglicht ihnen so wieder eine halbwegs natürliche Bewegungsfähigkeit. Die Experimente, die ein kanadischer Arzt heute in der Fachzeitschrift "Annals of Neurology" veröffentlicht hat, rufen bei Experten allerdings Entsetzen hervor, auch wenn sie zu wissenschaftlich höchst interessanten Ergebnissen geführt haben.

Von Kristin Raabe | 31.01.2008
    Der Patient war 50 Jahre alt und litt schon seit Jahrzehnten an extremer Fettleibigkeit. Es war abzusehen, dass ihn seine Esssucht irgendwann umbringen würde. In solchen Fällen verkleinern Mediziner manchmal den Magen in einer Operation, die den Betroffenen eine deutlich höhere Lebenserwartung einbringt. Der 50jährige Patient entschied sich allerdings für einen ganz anderen Eingriff: In Toronto ließ er sich eine Tiefenhirnelektrode in seinen Hypothalamus einsetzen. Diese Hirnstruktur steuert das Essverhalten. Lars Timmermann von der Universitätsklinik Köln erforscht die Wirkung von Tiefenhirnelektroden und weiß, was sie in diesem Hirngebiet auslösen können:

    "Wir wissen aus Tierexperimenten, dass wenn sie einem Hamster eine Elektrode in den Hypothalamus legen, dass er bei Stimulation an der richtigen Stelle so verändert werden kann, dass er sich zu Tode frisst. Sie können auf der anderen Seite ein Tier dazu bringen, wenn sie an einer anderen Stelle stimulieren, dass es so hungert, dass es verhungert. Es ist ein bisschen erschreckend, dass so etwas über eine Elektrode natürlich auch beim Menschen möglich ist."
    Das Experiment des Neurochirurgen Andres Lozano vom Toronto Western Hospital hätte in Deutschland sicherlich keine Ethik-Kommission genehmigt. Wie schwer die Wirkung der Elektroden speziell im Hypothalamus zu kontrollieren ist, zeigte sich schon kurz nach der Implantation. Der 50jährige Patient sah vor seinem inneren Auge plötzlich eine Art Erinnerungsfilm, von einem Parkbesuch mit Freunden der bereits 30 Jahre zurückliegt. Vermutlich lag das auch daran, dass die Stimulation nicht nur den Hypothalamus erreichte, sondern auch die oberhalb gelegene sogenannte Fornix. Diese Faserbahn ist Teil des limbischen Systems, das unter anderem für die Gefühlswahrnehmung verantwortlich ist. Timmermann:

    "Der Zusammenhang zwischen dem limbischen System an dieser Stelle und der Bildung von Gedächtnisinhalten ist allerdings etwas, was hochinteressant ist und in dieser Form beim Menschen so noch nicht gezeigt werden konnte."
    Als die kanadischen Ärzte weiter mit den Elektroden experimentierten, stellten sie fest, dass sie die Lernfähigkeit des fettleibigen Studienteilnehmers deutlich verbessern konnten, wenn sie mit ihren Elektroden den Hypothalamus in der Nähe der Fornix stimulierten. Ohne Stimulation erzielte der 50jährige durchschnittliche Ergebnisse in Lern- und Gedächtnistests. Wenn die Elektroden drei Wochen lange kurze Impulse sendeten, konnte er sich Bilder von Objekten deutlich besser merken. Lars Timmermann:
    "Wenn gezielt durch eine Modulation von Hirnfunktionen Erinnerung verändert oder gar verbessert wird, liegt es natürlich nahe, so etwas einzusetzen, um Menschen in bestimmten Hirnfunktionen auch zu verändern oder zu modulieren, und das führt dann zu etwas, wo das ärztliche Handeln nicht mehr ein ärztliches Handeln ist, sondern dann auch in Richtung Neuro-Enhancement geht und deswegen ist das etwas, was wir uns sehr sorgfältig angucken müssen, um dann auch abzuschätzen ob das richtig war oder der entscheidende Schritt zu weit war."
    Elektroden im Gehirn, die keine Krankheiten heilen, sondern einfach nur die natürliche Arbeitsweise des Gehirns verbessern - das erscheint erschreckend und verlockend zugleich. Es ist fraglich, ob sich das Experiment bei einem anderen Patienten wiederholen lässt, denn gerade im Hypothalamus lässt sich die Wirkung von Tiefenhirnelektroden nur schwer steuern. Dort liegen viele wichtige Funktionen räumlich eng beieinander. Der menschliche Schlafrhythmus wird hier genauso gesteuert wie das Sexualverhalten. Und die Tiefenhirnelektroden erlauben bislang noch keine genaue Steuerung der Stimulation. Welche Voltstärke wie viel des umliegenden Hirngewebes erregt, wissen die Experten schlichtweg noch nicht. Lars Timmermann hat dazu in Köln ein Forschungsprojekt.
    "Es gestaltet sich auch selbst mit guten physikalischen Modellen sehr schwierig abzuschätzen, welche Gewebe tatsächlich beeinflusst werden und erstaunlicherweise wissen wir letztendlich noch gar nicht mit welcher Frequenz wir blockieren und mit welcher Frequenz wir eher Hirngewebe erregen."
    Solange er nicht genau verstanden hat, wie die Tiefenhirnelektroden wirken, möchte Lars Timmermann diese Methode lediglich bei schweren Erkrankungen einsetzen. Und auch dann nur, wenn es keine andere Behandlungsmöglichkeit gibt.