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Elektromobilität
"Totalblockade auf dem Markt"

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann appelliert an die Bundesregierung, in der Debatte über eine Förderung der Elektromobilität endlich eine Entscheidung zu treffen. Die jahrelangen Diskussionen hätten zu einer "Totalblockade auf dem Markt" geführt, sagte er im DLF. Eine Prämie für den Kauf von E-Autos hält er nicht für die beste Lösung.

Winfried Hermann im Gespräch mit Dirk Müller | 02.03.2016
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, sitzt während eines Interviews in seinem Büro im Ministerium.
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister (imago/Lichtgut)
    Kritik übte Hermann auch an der Industrie. Sie verlasse sich bei der Förderung der Elektromobilität zu sehr auf die öffentliche Hand. Die Autohersteller hätten jahrelang gut verdient und müssten jetzt selbst eine Kampage starten, um den Verkauf von E-Autos anzukurbeln. Schließlich handle es sich um einen Zukunftsmarkt, betonte der Grünen-Politiker. Kunden könnten zum Beispiel mit günstigen Leasingraten gelockt werden. Außerdem müsse die Autoindustrie sich an einem Ausbau der Lade-Infrastruktur in Deutschland beteiligen.
    "Kaufprämie ist ungerecht"
    Hermann äußerte sich skeptisch zu Überlegungen, den Kauf eines Elektroautos mit Hilfe einer staatlichen Prämie zu fördern. Im Ausland habe sie zwar etwas gebracht, er selbst halte sie aber für ungerecht. Denn davon könnten nur Autofahrer profitieren. Fußgänger, Radfahrer und Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs, die sich ebenfalls umweltfreundlich verhielten, würden benachteiligt.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: In diesem Monat noch soll vielleicht die Entscheidung fallen. Auch auf der Genfer Automesse wird in dieser Woche ganz heftig darüber diskutiert. Gerade die ausländischen Autobauer schauen mal wieder äußerst neidisch, aber auch äußerst skeptisch auf die deutschen Unternehmen, vielleicht aber noch mehr auch auf die Bundesregierung, denn die Große Koalition steht kurz davor, Milliarden an die deutschen Autobauer zu verteilen, als Motivationshilfe für mehr Elektroautos. Schließlich hatte die Kanzlerin das Ziel klar formuliert: Bis 2020 sollen eine Million E-Fahrzeuge auf den deutschen Straßen rollen. Die Konzerne jubeln schon. Einen Strich durch die Rechnung macht bislang noch Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister weigert sich ein bisschen, das Portemonnaie zu öffnen. Aber das ist in der Anfangsphase ja oft so. Wieder Milliarden-Subventionen für die Autoindustrie? Unser Thema jetzt mit dem Grünen-Politiker Winfried Hermann, Umwelt- und Verkehrsminister im Autoland Baden-Württemberg. Guten Morgen.
    Winfried Hermann: Guten Morgen!
    Müller: Herr Hermann, ist das alles wahr?
    Hermann: Wahr ist, dass wir jetzt seit mindestens zwei, drei Jahren diskutieren, dass wir was tun müssen, damit die Elektromobilität vorankommt. Und gerade die Automobilindustrie, die lange gezögert hat und dann endlich jetzt viele neue Produkte auf den Markt gebracht hat, sagt das auch immer wieder. Aber was ich vermisse, dass wirklich etwas geschieht. Diese Ankündigung einer Entscheidung, das fördert die Totalblockade auf dem Markt, weil alle warten, was denn endlich kommt. Deswegen fordere ich, dass die Entscheidung jetzt schnell fällt.
    Müller: Das heißt, die Autoindustrie muss sich jetzt nicht anstrengen, erst mal abwarten? Wenn es Geld gibt, dann funktioniert es irgendwie?
    "Die Industrie ist gefordert, mehr zu tun"
    Hermann: Nein. Ich will es ganz klar sagen: Ich halte das nicht für angemessen, dass die Automobilindustrie, die über viele Jahre gut verdient hat und auch gute Renditen gemacht hat mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren, dass die jetzt sagt, jetzt muss die öffentliche Hand aber die Neueinführung, die Transformation hin zu klimafreundlicher Elektromobilität fördern. Da ist sie selber gefragt, denn es ist ja auch ihr Produkt, ihr Zukunftsmarkt, und deswegen finde ich, auch die Industrie ist gefordert, mehr zu tun. Im Ausland geschieht zum Teil mehr, oder ausländische Unternehmen selber tun mehr. Wer zum Beispiel einen Tesla kauft, bekommt automatisch den Strom mitgeliefert, ein Benefit, den die deutschen Unternehmen zum Beispiel so nicht anbieten, jedenfalls die allermeisten nicht.
    Müller: Tesla ist der amerikanische Anbieter des Elektroautos?
    Hermann: Ja. Ich will damit nur sagen, dass alle sich anstrengen müssen. Die öffentliche Hand muss was tun, weil es in unserem Interesse ist, dass die Autos umwelt- und klimafreundlicher werden. Der Kunde und die Kundin sind gefragt, weil es auch ihre Welt ist und sie einen Beitrag zur Veränderung der Mobilität leisten müssen. Und die Wirtschaft sollte meines Erachtens auch günstige Leasing-Raten zum Beispiel anbieten. Wenn Sie versuchen, ein Elektroauto zu leasen, dann zahlen Sie, grob gesagt, das doppelte von dem, was Sie für ein Benzinauto zahlen. Da stimmt es auch nicht, wie man öffentlich kommuniziert und was man dann tatsächlich bereitstellt.
    Müller: Sie sagen, die öffentliche Hand, Herr Hermann, muss was tun. Ich habe Sie noch nicht ganz verstanden. Heißt das jetzt, der Staat soll unterstützen finanziell, jetzt Steuernachlässe oder Kaufprämien?
    Hermann: Die Länder haben ja schon vor vielen, vielen Monaten im Bundesrat einmütig einen Beschluss eingebracht und den Bund aufgefordert zu handeln, und ein wesentliches Element dieses Beschlusses ist, dass wir sagen, wir wollen, dass es eine steuerliche Vergünstigung gibt, eine Sonderabschreibung für gewerblich genutzte Fahrzeuge, die viel unterwegs sind, wo auch Elektromobilität Sinn macht, wo man auch Betriebskosten, weil elektrisch, einspart. Das wäre ein Kaufanreiz zum Beispiel für Taxiunternehmen oder für Unternehmen, die viele Autos unterwegs haben zum Laufen. Es gibt ja viele Dienstwagen. Das wäre ein Anreiz, den man gut brauchen kann, weil dann entsteht nach einem Jahr, weil schon die Hälfte abgeschrieben ist, ein Gebrauchtwagenmarkt, sodass es dann auch sich für Private rechnet oder zumindest nicht mehr so teuer ist.
    Müller: Dann würde der Steuerzahler die Ausgangsposition der Autokonzerne verbessern. Muss das sein?
    "Da muss eine Kampagne kommen"
    Hermann: Ja, das wäre ein Stück weit eine Förderung. Aber eine Sonderabschreibung ist ja nur eine vorgezogene Abschreibung und es kostet lange nicht so viel. Es kann unter Umständen sogar neutral sein.
    Müller: Aber Sie haben gesagt, die haben milliardenschwer verdient in den vergangenen Jahren. Warum können die das nicht aus eigener Kraft leisten? Ist doch Wettbewerb, ist doch Markt.
    Hermann: Ja, das sage ich auch. Sie müssen mehr tun. Ich erwarte auch, dass die Automobilbranche jetzt endlich mal eine Kampagne macht für klimafreundliche neue Mobilität, elektrische Mobilität, und da wirklich gemeinsam alle verschiedene Marken zeigen für diesen Umstieg auf Strom, auf regenerativ erzeugten Strom natürlich, also auf eine umweltfreundliche Antriebstechnologie. Da muss jetzt eine Kampagne kommen. Das wäre viel wichtiger als dieser ganze Hype um autonomes Fahren, denn das ist die eigentliche ökologische Herausforderung, dass wir endlich Autos brauchen, die nicht gleichzeitig das Klima ruinieren.
    Müller: Gehen wir das vielleicht noch einmal durch. Es sind ja zwei Varianten, die da diskutiert werden. Ich hatte das schon mal angesprochen. Kaufprämie von 5.000 Euro, das ist das, was die Industrie auch immer wieder ins Spiel bringt, was man vonseiten der Koalition in Berlin ja auch teilweise hört. 5.000 Euro quasi Reduzierung des Kaufpreises, wenn man sich für ein Elektroauto entscheidet. Das geht Ihnen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, zu weit?
    "Eine Förderung der Automobilität ist in gewisser Weise ungerecht"
    Hermann: Ja. In dem Länderantrag gibt es auch die Aufforderung an die Bundesregierung, diesen Vorschlag zu prüfen. An dem Wort Prüfen merken Sie, dass nicht alle Länder gleich begeistert waren. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Kaufprämie fragwürdig ist. Im Ausland hat sie was gebracht, das kann man gut feststellen. Dort wo es Kaufprämien gibt, werden tatsächlich mehr Autos gekauft. Warum bin ich skeptisch, weil ich meine, wenn jemand zu Fuß geht, mit dem Fahrrad fährt oder den öffentlichen Verkehr benutzt, dann ist er auch umweltfreundlich, und dem geben wir ja auch nicht eine Jahreskarte umsonst. Das ist in gewisser Weise ungerecht und eigentlich eine Förderung der Automobilität. Deswegen glaube ich, darüber sollte man skeptisch nachdenken. Jedenfalls ich bin da nicht sehr dafür.
    Müller: Aber das machen wir doch immer so. Die Autokonzerne sind privilegiert und Fahrradfahrer bekommen keine Privilegien.
    Hermann: Ja was heißt wir? Nicht alle. Sie hören ja, dass ich da eher skeptisch bin. Aber ich will Ihnen eines sagen: Was mir am allerwichtigsten ist, dass endlich mal die Entscheidung fällt und dass wir auch etwas tun. Nehmen wir noch einen anderen Bereich, wo was zu tun ist. Ich glaube, dass die öffentliche Hand bei der Abschreibung hilfreich sein soll. Das ist ein guter Beitrag. Dann brauchen wir endlich eine flächendeckende Lade-Infrastruktur, und zwar auch mit Schnell-Lade-Säulen. Das ist ja auch eine Hauptbarriere.
    Müller: Das macht auch der Bund, das macht die öffentliche Hand?
    "Das ist eine widersprüchliche Strategie"
    Hermann: Auch das könnte übrigens der Bund und die Länder machen und auch die Wirtschaft. In den USA beteiligen sich sogar deutsche Hersteller an Ladesäulen-Infrastruktur. In Deutschland ist das nur ein amerikanischer Hersteller. Ich würde auch erwarten, dass die Automobilunternehmen und die Energieunternehmen in diesen Bereich einsteigen. Das sind ja alles Zukunftsmärkte. Da muss man halt jetzt mal investieren, weil man später damit auch Geld verdienen will.
    Müller: So ein bisschen als Dank dafür, wenn ich das noch fragen darf, dass auch Sie bereit sind, die Autoindustrie in welcher Form dort auch immer zu unterstützen, auch bei der Herstellung der Infrastruktur, werden die Autokonzerne mit großer Wahrscheinlichkeit so viele SUV in diesem Jahr verkaufen, wie noch nie zuvor.
    Hermann: Daran können Sie sehen, dass es irgendwie schon eine gespaltene widersprüchliche Strategie ist. Auf der einen Seite sagt man, wir wollen umweltfreundliche Autos produzieren, aber die Kunden kaufen sie nicht. Auf der anderen Seite verkauft man Spritschlucker mit großen Renditen. Das ist natürlich auch die Konzernlogik in unserer Marktwirtschaft. Aber ich würde erwarten, dass Konzerne auch zukunftsorientiert handeln und auch Klimaverantwortung übernehmen und damit sagen, wir fördern auch durch unsere Werbeaktivitäten, durch die Öffentlichkeit, dass wir diese Autos besser in den Markt bekommen. Wissen Sie, wenn ein großer Konzern bekannt gibt, dass seine Manager jetzt auch elektrisch fahren, jetzt nach Jahren der Debatte, dann sehen Sie, wo manches Management heute steht und warum es auch nicht so richtig in der Industrie vorangeht.
    Müller: Winfried Hermann bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk, grüner Politiker, Umwelt- und Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
    Hermann: Herzlichen Dank Ihnen.
    Müller: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.