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Elektronen in der Kielwelle

Physik. - Teilchenbeschleuniger sind wichtige Werkzeuge in Forschung und Technik: Allerdings sind es gigantische Maschinen, die inzwischen Milliarden kosten. Für viele Krankenhäuser und Universitäten ist das viel zu groß und zu teuer. Deshalb arbeiten Forscher weltweit an Teilchenschleudern, die deutlich kompakter sind als die heutigen Anlagen. Im Fachmagazin "Nature" präsentieren französische Physiker nun einen wichtigen Zwischenschritt – und zwar eine neue Art von Laserbeschleuniger.

Von Frank Grotelüschen |
    "We would like to do a 100 meter long accelerator in one centimetre. That’s our goal.”"

    Jérôme Faure von der Ecole Polytechnique in Palaiseau bei Paris verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Er will einen 100 Meter langen Teilchenbeschleuniger schrumpfen – und zwar auf einen Zentimeter. Die heutigen Beschleuniger sind deshalb so groß, weil sie auf folgendem Prinzip basieren: Die Teilchen fliegen durch ein luftleeres Stahlrohr und werden dabei von Radiowellen in Schwung gebracht. Da sich die Stärke dieser Radiowellen natürlich nicht beliebig steigern lässt, ist die Energie, die man den Teilchen mit auf den Weg geben kann, begrenzt. Faure:

    "”Pro Meter schafft man höchstens eine Spannung von 100 Millionen Volt. Und das bedeutet: Will man Teilchen sehr stark beschleunigen, muss man sehr, sehr lange Anlagen bauen."

    Dieser Gigantomanie versuchen die Franzosen nun mit einer neuen Technologie zu begegnen: Sie bringen Elektronen nicht mit Radiowellen auf Trab, sondern mit einem starken Laser. Das Prinzip: Schießt man einen Laserblitz in eine Vakuumkammer, die mit ein wenig Gas gefüllt ist, wird das Gas durch den Blitz komplett ionisiert. Es entsteht ein Plasma – ein hochenergetisches, stark aufgeladenes Gewimmel aus Atomkernen und Elektronen. Faure:

    "”Ähnlich wie ein Motorboot auf einem See eine Kielwelle hinter sich herzieht, erzeugt auch unser Laserpuls im Plasma eine Kielwelle, eine elektrische Kielwelle. Sie reißt die Elektronen aus dem Plasma mit und beschleunigt sie. Und da das Plasma sehr stark aufgeladen ist, kann es sehr hohe elektrische Felder erzeugen. Sie sind bis zu 10.000 Mal stärker als bei einem gewöhnlichen Beschleuniger. Mit unserem Konzept kann man also Beschleuniger bauen, die um Größenordnungen kleiner sind als die derzeitigen Anlagen.""

    Noch aber sind diese Laserbeschleuniger schwer zu beherrschen, und ihr Output an Elektronen schwankt zu stark. Um diese Nachteile zu mildern, hat Jérôme Faure das Konzept verfeinert: Er lässt den eigentlichen Laserblitz mit einem zweiten, etwas schwächeren Lichtpuls kollidieren. Faure:

    "”Dieser zweite Laserblitz schubst die Elektronen in die Kielwelle des ersten Blitzes. Dadurch bekommen wir einen stabilen Elektronenstrahl und eine genaue Kontrolle über den Strahl.""

    Die eigentliche Beschleunigung findet auf einer Strecke von zwei Millimetern statt. Aber der Laser, der die extrem kurzen, dafür aber sehr starken Pulse ausspuckt, füllt einen Raum in Wohnzimmergröße. Und wozu könnte das Patent künftig nützlich sein? Nun, Jérôme Faure hofft, dass sein Laserbeschleuniger eines Tages helfen kann, Krebspatienten zu heilen:

    "”Mit diesen schnellen Elektronen ließen sich Tumoren behandeln, die relativ tief im Körper liegen. Eine zweite Anwendung betrifft die Materialforschung: Wollte man etwa ins Innere eines metallischen Werkstücks blicken, um Risse ausfindig zu machen, dann ließe sich mit unserem Beschleunigers ein sehr energiereicher Röntgenstrahl erzeugen, mit dem sich das Metall regelrecht durchleuchten ließe.""

    Doch der Laserbeschleuniger hat auch einen Nachteil: Pro Sekunde schafft er allenfalls zehn Schüsse – viel zu wenig für die Experimente der Teilchenphysik. Und das bedeutet: Auch künftig werden zumindest die Teilchenforscher immer neue Riesenbeschleuniger bauen wollen, um nach neuen, exotischen Elementarpartikeln Ausschau zu halten.