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Elektronik am seidenen Faden

In der Festkörperphysik geht es meist um Kristallstrukturen aus Silizium und die Frage, wie man daraus noch schnellere Computerchips bauen könnte. Allerdings: Es gibt auch Forscher, die abseits der ausgetretenen Pfade an neuen Elektronikbauteilen tüfteln.

Von Ralf Krauter | 05.03.2012
    Für viele wäre es der Stoff für Albträume. Für Eden Steven ist es ein Werkstoff mit Zukunft. Bis zu zwei Meter Durchmesser haben die Spinnennetze, die der Forscher von der Florida State University in Tallahassee als Rohstoff für seine Experimente verwendet.

    "Die Spinnenseide sammele ich in der Umgebung. Dort leben goldene Seidenspinnen: Handtellergroße Tiere, die beeindruckende Netze bauen, um Insekten und kleine Vögel zu fangen. Den Rahmen dieser Netze wickele ich mit einem Stock auf. Er besteht aus einem haarfeinen Bündel sehr stabiler Seidenfäden, die nicht klebrig sind und mehrere Meter lang sein können."

    Unter dem Mikroskop trennt Eden Steven dann mit der Pinzette einzelne Fasern heraus. Ihr Durchmesser: Drei Mikrometer, also rund zehn mal dünner als ein menschliches Haar. Ein mögliches Einsatzgebiet der elastischen Fäden drängte sich dem Physikstudenten regelrecht auf. Er hatte genug von brüchigen Kabelverbindungen, die ihm zu schaffen machten, wenn er im Hochfeldmagnetlabor messen sollte, wie gut tiefgekühlte Materialproben Strom leiten.

    "Wenn wir Supraleiter charakterisieren, müssen wir oft an winzigen, kaum millimetergroßen Materialproben vier Drähte anbringen. Dazu braucht man dünne Drähte, die auch noch bei sehr tiefen Temperaturen stabil und elastisch sind. Da kam mir der Gedanke, die Spinnenseide mit Gold zu beschichten und zu versuchen, ob man die Proben damit kontaktieren könnte. Und es funktionierte perfekt."

    Normalerweise ist Spinnenseide ein Isolator. Mit Goldpartikeln beschichtet leiten die Proteinfäden Strom aber hervorragend und werden selbst vie Grad über dem absoluten Nullpunkt nicht spröde sondern bleiben dehnbar.

    "Das Ganze fühlt sich nicht wie ein Golddraht an, sondern wie Spinnenseide. Natürlich hat die Elastizität ihre Grenzen. Zieht man zu stark, reißt die metallische Beschichtung. Aber zum Verkabeln kleiner Proben sind die vergoldeten Fasern perfekt. Man muss sie nur leicht andrücken, um einen guten Kontakt herzustellen."

    Nach diesem Erfolg lag es nahe, weitere Beschichtungen zu testen. Als nächstes tunkte Eden Steven Spinnenseide deshalb in eine Lösung mit Kohlenstoffnanoröhrchen. Und siehe da: Die winzigen Makkaroni-Moleküle, die prima Strom leiten, haften ebenfalls bereitwillig auf den Proteinfäden. Das Ergebnis: Robuste leitfähige Fasern, die sich im Prinzip einmal zu Textilien verweben ließen. Zum Beispiel für Funktionsbekleidung mit integrierter Elektronik. Weil die elastischen Drähte ihren elektrischen Widerstand bei Druck und Dehnung ändern, ließen sich sogar Sensorfunktionen einbauen. Um das Potenzial zu demonstrieren, hat Eden Steven schon einen simplen Pulsmessfühler gebaut.

    "Bevor man Spinnenseide wirklich für Elektronikbauteile verwenden kann, muss man natürlich Wege finden, sie effizient herzustellen. Da Spinnen, die man eng zusammen pfercht, keine Netze bauen, sondern sich gegenseitig auffressen, sind Genforscher und Chemiker gefordert. Es gibt Versuche, Spinnenseide aus der Milch genetisch veränderter Ziegen zu gewinnen. Andere Forscher arbeiten daran, Spinnenseide von Bakterien produzieren zu lassen. Ein Durchbruch auf diesem Gebiet wäre wichtig."

    Noch hängt die Zukunft der Elektronik aus Spinnenseide also am seidenen Faden. Die Physiker aus Florida wollen trotzdem am Ball bleiben. Ihr nächstes Ziel: Komplett biokompatible Beschichtungen für die robusten Proteinfäden zu finden. Da Spinnenseide vom menschlichen Körper nicht abgestoßen wird, wären die resultierenden Hybridwerkstoffe interessante Materialien für medizinische Implantate.