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Elektronische Zwangsneurose

Materialforschung. - Spintronik verspricht superschnelle Transistoren und Computerchips, die sich im Gegensatz zu heute kaum noch aufheizen. Der Trick dahinter: Man nutzt nicht allein die elektrische Ladung der Elektronen, sondern auch ihren Spin, also ihren Eigendrall. Neuen Schwung in die Forschung soll nun eine noch junge Stoffklasse bringen – die sogenannten topologischen Isolatoren. Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft wurden sie erörtert.

Von Frank Grotelüschen |
    Das Jahr 2005. Theoretische Physiker brüten über einem speziellen Problem: Wie im Detail fließt elektrischer Strom in einer extrem flachen, praktisch zweidimensionalen Schicht? Fast zufällig stoßen die Fachleute dabei auf ein neues Konzept, eine neue Materialklasse.

    "Ein topologischer Isolator ist was ähnliches wie ein Isolator in seinem Volumen. Aber wenn die Welt endet an der Oberfläche, verhält es sich wie ein ganz normales Metall. Es ist innen so etwas wie ein Isolator und außen so etwas wie ein Metall","

    sagt Björn Trauzettel, Professor für Theoretische Festkörperphysik an der Uni Würzburg. In einem Kupferdraht fließen die Elektronen durch den gesamten Querschnitt des Kabels. Bei einem topologischen Isolator dagegen fließen sie nur in einer hauchdünnen Schicht an der Oberfläche. Das klingt zunächst wie ein Nachteil. Doch die Elektronen fließen auf ganz besondere Weise, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen machen ihnen Störstellen – also kleine Makel im Kristall – viel weniger aus als in einem Stromleiter wie Kupfer. Dadurch kann der Strom relativ verlustfrei fließen. Zum anderen zeigen die Spins der Elektronen ein ungewöhnliches Verhalten. Der Spin ist gleichsam der Eigendrall des Elektrons. Dieser Spin hat nur zwei Möglichkeiten: Er kann entweder nach oben zeigen, englisch "up". Oder aber nach unten, also "down". Das Besondere an einem topologischen Isolator: In ihm hängt der Spin davon ab, in welche Richtung das Elektron fließt – ob zum Beispiel nach links oder nach rechts. Trauzettel:

    ""Ein Rechtsläufer hat dann immer einen Spin-up. Und ein Linksläufer hat immer einen Spin-down. Wenn ich ankomme mit einem Teilchen, das hat den Spin-up, dann muss das auf jeden Fall nach rechts laufen. Und wenn das einen Spin-down hat, dann muss das auf jeden Fall nach links laufen."

    Das wäre in etwa so, als wenn alle Passanten, die auf einer Straße von links nach rechts laufen, gezwungen wären, ihren Regenschirm aufzuspannen, wogegen die, die von rechts nach links marschieren, den Schirm um jeden Preis geschlossen halten müssten. Eine Art elektronische Zwangsneurose also. Und Björn Trauzettel und seine Forscherkollegen würden sie liebend gerne ausnutzen.

    "Da kann man sich schöne Sachen vorstellen. Das ist insbesondere sehr interessant für die sogenannte Spintronik, wo man elektronische Bauelemente durch Spin-Bauelemente ersetzen möchte."

    Die herkömmliche Elektronik entspricht in etwa einem Volkslauf, bei dem sich ungezählte Elektronen abhetzen müssen, wenn sie durch einen Computerchip fließen. Bei der Spintronik hingegen blieben die Läufer stehen und würden ein Staffelholz von Nachbar zu Nachbar weiterreichen, was im Prinzip schneller geht als selber zu laufen. Damit könnte man eines Tages – so die Hoffnung – schnellere Computerchips bauen. Die topologischen Isolatoren nun scheinen für die Spintronik ein neue, vielversprechende Materialklasse abzugeben. Mittlerweile jedenfalls hat das Konzept die Studierstuben verlassen und die Labors erobert. Denn heute sind Experimentalphysiker in der Lage, topologische Isolatoren herzustellen – oder zu wachsen, die der Experte sagt. Trauzettel:

    "Die Hauptmaterialien sind Quecksilber-Tellurid und Cadmium-Tellurid. Man wächst das in Schichten. Diese Schichten zeigen diese besonderen Eigenschaften des topologischen Isolators. Das Schwierige ist, dass nur ganz wenige Leute in der Welt das Know-how haben, diese Materialien zu wachsen und experimentell zu untersuchen."

    Was bedeutet, dass noch jede Menge Grundlagenarbeit anliegt, bevor man sagen kann, ob die neue Materialklasse tatsächlich als Basis taugt für die Elektronik der Zukunft.