Dienstag, 07. Mai 2024

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Elena: "Shit vergangener Tage"
Ein wildes Mixtape einer gereiften Künstlerin

Das neue Album der Musikerin Elena ist ein wilder Mix aus ernsten, albernen und melancholischen Songs. Und weil sich die Wahlhamburgerin über die Dominanz von musikalischem Einheitsbrei ärgert, vermeidet sie es, auf trendige Hypes aufzuspringen. Auf den berühmten Bruder darf man sie inzwischen aber ansprechen.

Von Andreas Zimmer | 02.12.2017
    Die Musikerin Elena Bongartz.
    "Es ist eine Strafe, Ideen zu haben": Die Musikerin Elena Bongartz kritisiert die Fantasielosigkeit im Musikbusiness (Sebastian Baare)
    Erst im letzten Jahr hatte Elena nach langer Arbeit ihr Debütalbum auf den Markt gebracht, das durch Können und unglaublich vielseitigen Stilmix überzeugt. Das neue Album ging dann extrem schnell: von der ersten Idee bis zur letzten Aufnahme keine drei Monate. Für die 29-jährige Wahlhamburgerin keine Gegenreaktion auf die lange Produktionszeit zuvor.
    "Ich fand das auch toll nach einem Album, was im Grunde dreieinhalb Jahre gedauert hat, was wahnsinnig anstrengend war und mit sehr vielen sehr anstrengenden Diskussionen irgendwie verknüpft, mal was zu machen, was eben sehr spontan war, was innerhalb von wenigen Wochen entstanden ist und einfach mal State-of-Mind ist."
    "Es ist einfach wild"
    Auch wenn der Titel der neuen CD ein bisschen wie eine Art Abrechnung mit der Vergangenheit klingen mag: "Shit vergangener Tage" - für Elena steht etwas anderes im Vordergrund: Sie möchte sich an der Spannung reiben, die sich zwischen dem Straßenslangwort und der eher poetischen Wendung "vergangener Tage" ergibt. Um diese und andere Reibungen - aus der das Album einen Teil seiner Kraft bezieht - zu verdeutlichen gibt es sogar noch einen Untertitel: Mixtape.
    "Es geht mehr darum, dass auf dem Album einfach super viele unterschiedliche Stile drauf sind und auch textlich ein bisschen schizophrene Dinge. Also, es geht von unfassbar albern über zu sehr, sehr ernst - und Weltuntergangsmelancholie, und dann geht das durchaus auch mal rüber zu einem Liebesthema, was ich ein bisschen anders angeht. Es ist einfach wild. Deswegen fand ich 'Mixtape' einfach einen schönen Begriff, weil es einfach wild ist."
    Produzieren in Eigenregie
    Unzweifelhaft erkennbar ist im Albumtitel "Shit vergangener Tage" auch eine gewisse Wut, die sich im Laufe der Jahre bei Elena angestaut hat. Sie beobachtet die Musikszene sehr genau und stellt sich ganz bewusst gegen den schönen, aber dennoch langweiligen Musik-Einheitsbrei etlicher Kollegen. Wohl wissend, dass genau diese Eintönigkeit gerade sehr hitparadenkompatibel ist.
    "Was ich besonders schlimm fand, war: Immer, wenn ich versucht habe, Musik zu machen, die weit über die vier Akkorde hinausgeht und über die Lovesong-Botschaften, wenn man darüber hinausgehen will und sich Gedanken macht und ein interessantes künstlerisches Konzept auch mal vorlegt, dass man eigentlich immer zurückgewiesen wird. Und dass es eigentlich eine Strafe ist, Ideen zu haben und Visionen. Aber ich bin gegen Wände gelaufen."
    Wohl auch deshalb einer der Gründe, auf "Shit vergangener Tage" wirklich alle Fäden selbst in der Hand zu halten. Angefangen bei der technischen Umsetzung der Aufnahmen - in der heimischen Wohnung - über das Einspielen aller Instrumente - vor allem nachts - bis hin zum Beantragen der GEMA-Codes - das Mixtape ist durch und durch nichts als Elena. Roh. Ungefiltert. Unbändig. - Und gut.
    Verzicht auf große Aufmerksamkeit
    Elenas Reifungsprozess ist auf "Shit vergangener Tage" überall wahrnehmbar. Standen früher die musikalischen Brüche im Vordergrund, lebt die neue CD trotz ihrer Vielschichtigkeit von ihrer Stringenz. War die Musikerin früher auf der Suche nach sich selbst, zeigt sie sich hier ganz selbstbewusst als gestandene Persönlichkeit. Eins ist jedoch unverändert: die unglaubliche Musikalität der ehemaligen Jugend-musiziert Preisträgerin und "Jazz-Schul-absolventin". Heute sorgt diese allerdings eher für erfreuliche musikalische Leckerbissen im Hintergrund und dient nicht mehr nur dem Selbstzweck, der Aufmerksamkeit. Elena bleibt lieber grundehrlich und vermeidet auf trendige Hypes aufzuspringen.
    "#Metoo zum Beispiel finde ich zum Beispiel etwas schwierig mit 'Wut im Bauch' zusammenzubringen, weil ich einfach die Erfahrung nie hab machen müssen, wirklich sexuell belästigt zu werden. Aber was ich erfahren hab, ist wirklich auch krasser Sexismus."
    Und es gibt noch einen Anhaltspunkt für Elenas Weiterentwicklung: War beispielsweise das Thema "berühmter Bruder" letztes Jahr noch total unerwünscht, spricht sie mittlerweile sehr offen über David Garrett. Was der Stargeiger ihr im vergangenen Jahr in Kiel auf seiner Tour ermöglicht hat, klingt eher wie ein Märchen.
    "Er hat einfach gefragt, ob ich Lust hätte - weil es halt in der Nähe ist - Klavier zu spielen. Und was dann passiert ist, war, dass ich am Flügel ein, zwei meiner Songs gemasht hab. Und nach diesem Auftritt da kamen so viele Reaktionen, dass am nächsten Tag der Anruf kam, ob ich denn auf den restlichen sechs Konzerten auch noch mal diese zwei Songs spiele."