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Elend als Prozess

Franz Xaver Kroetz' Theaterstück "Negerin" basiert auf einem frühen, nie zur Aufführung gelangten Fragment, das Kroetz jetzt am Festival de Liège inszeniert hat. Das engagierte Opus ist beeinflusst von Bert Brecht, Harold Pinter und Dario Fo.

Von Ulrich Fischer |
    Die "Negerin" ist ein Stück über Verrohung. Frau Oppermann, um die vierzig, lebt in schlichtesten Verhältnissen. Sie hat sich vor einem Jahr von ihrem Mann getrennt; er habe seine Arbeit verloren, weil er trinkt, sagt sie. Die Handlung setzt ein, als sie Zach, einen jungen, kräftigen Mann, in ihre Wohnung mitgenommen hat. Sie haben miteinander geschlafen. Frau Oppermann lädt Zach ein zu bleiben, als es klingelt. Frau Oppermanns Mann fordert frische Wäsche - offenbar ein Vorwand. Er wirkt schon halb verwahrlost, weiß nicht, wohin. Aber er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das zuzugeben. Er ist der Mann, er muss die Oberhand behalten. Frau Oppermann weist ihn aus der Wohnung. Es gibt Streit, er eskaliert, bis die Frau sich wehrt: mit einem Küchenmesser. Das hilft, Oppermann verlässt blutend das Schlachtfeld.

    Doch er hat heimlich einen Schlüssel mitgenommen, kommt zurück und erwischt seine Frau mit dem jungen Mann in flagranti. Stärker als das Interesse Zachs, bei Frau Oppermann einzuziehen, erweist sich die Männersolidarität. Zach schaut ungerührt zu, wie Oppermann seine Frau bedrängt und schlägt sie am Ende nieder. Sie ist eine "Negerin". Der Begriff, den Kroetz als Titel nutzt, mit allen Attributen des Rassismus' und ungezügelten Männlichkeitswahns versehen, ist offenbar die Rache an einer Frau, die es wagt, besser als die Männer sein zu wollen: Ordnung zu bewahren und eine Wohnung zu unterhalten, wenn die Herren der Schöpfung damit überfordert sind.

    Der Dialog ist schlicht, restringierter Code - in der französischen Übersetzung schwingt Kroetz Kunstsprache mit, die sich am Dialekt orientiert.

    Anne Tismer spielt Frau Oppermann. Ihre Aggressionen, ihre Beleidigungen verletzen, und ihr Mann zahlt es ihr heim.

    Kroetz betont in seiner Uraufführung die soziale Begründung des Abstiegs. François Lefebvre hat auf die Simultanbühne neben einen veralteten Herd aus den fünfziger Jahren einen Sperrholzschrank aus unseren Tagen gestellt - äußerste Sparsamkeit ist allen Einrichtungsgegenständen, auch den Kostümen, abzulesen. Der Mangel ist der Grund für das mentale Elend, für die zunehmende Kälte. In einer Schlüsselszene fragt Oppermann seine Frau, ob sie bei ihm geblieben wäre, hätte er das Geld für eine schöne Wohnung und ein Auto gehabt - die Antwort wird nie ausgesprochen, aber das Ensemble macht klar: Als die Oppermanns die Hoffnung auf diesen bescheidenen Wohlstand aufgeben mussten, begann das Elend. Es ist kein Zustand, es ist ein Prozess.

    1968 hatte Franz Xaver Kroetz erstmals Material zum Stück gesammelt, 1997 den Text vollendet - das Stück wirkt auch heute aktuell, weil die Verhältnisse noch prekärer geworden sind: Da für Langzeitarbeitslose die Aussicht gering ist, dass je wieder ein Silberstreif ihren Horizont erhellt, beginnt eine Spirale, bei der das materielle Elend das mentale nach sich zieht. Armut ist kein großer Glanz von innen.

    Anne Tismer spielt die Hauptrolle. Die Aktrice zeigt, wie Frau Oppermann um den jungen Zach wirbt und im nächsten Moment zur Megäre wird, wenn sie ihren Mann abschrecken will. Anne Tismer hält oft Distanz zu ihrer Figur, entlehnt ihre darstellerischen Mittel überwiegend der epischen Spielweise - und kann so dem Text häufig komische Seiten abgewinnen. Bei Sexszenen, die bei dem Bemühen um Wahrscheinlichkeit problematisch werden könnten, übertriebt die Tismer - und schon lacht das Publikum in augenzwinkerndem Einverständnis. Jeder weiß, was gemeint ist, schauspielerisch ein Meisterinnenstück.

    Kroetz gelingt Dank des ausgezeichneten Ensembles eine starke Uraufführung. Als Regisseur präpariert er heraus, was er als Autor ins Zentrum rückte: Das Konzept von Fördern und Fordern geht an der Realität vorbei. Diese Menschen brauchen eine echte Chance, einfach soziale Gerechtigkeit.

    Der Gestus der Uraufführung ist dennoch nicht der der Anklage, sie analysiert eher. Das Festival de Liège will Fragen an die Gegenwart stellen - genau das tut Franz Xaver Kroetz, als Autor wie als Regisseur. Die "Negerin" gibt die Essenz seines gesellschaftskritischen Volkstheaters: realitätsgesättigt und heiter, gelassen, aber auch engagiert.