Elfie Siegl, RIAS-Korrespondentin in Moskau
Tschernobyl 1986 - wie das Radio damals berichtet hat

Als der Reaktor in Tschernobyl explodierte, war Elfie Siegl Radiokorrespondentin für RIAS Berlin in Moskau. Von dem Unglück erfuhr sie zuerst durch Anrufer aus Deutschland. Ihre damaligen Berichte über die Reaktorkatastrophe sind zugleich spannende Einblicke in das Leben in der Sowjetunion.

    RIAS-Reporterin Elfie Siegl 1988 in Moskau, UdSSR
    RIAS-Reporterin Elfie Siegl 1988 in Moskau, UdSSR (Foto: Wolfgang Eichwede)
    Zwischen 1986 und 1987 schildert Elfie Siegl in mehreren Gesprächen die Katastrophe in Tschernobyl aus Sicht einer ausländischen Korrespondentin. Sie zeigen, wie zögerlich die Verantwortlichen die Öffentlichkeit im In- und Ausland über die Entwicklung und die Ursachen des Unglücks unterrichtet haben.
    Auch die Arbeit einer westlichen Korrespondentin in der Sowjetunion spielt immer wieder eine Rolle. So berichtet Siegl, dass die Telefone der Korrespondenten abgehört werden. Für Sowjetbürger könne es in der angespannten Situation gefährlich sein, mit ausländischen Medien zu sprechen. Sie liefen Gefahr, verhaftet zu werden.
    Auch die Qualität der Telefonleitung - das Rauschen, Dröhnen, Rattern und Knacken - bietet eine kurze Zeitreise in die 80er.

    29. April 1986
    "Einige radioaktive Elemente sind außer Kontrolle geraten"
    Drei Tage nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 gibt die sowjetische Regierung nur wenige Einzelheiten über das Unglück bekannt. Über die Ursachen existieren zu diesem Zeitpunkt nur Vermutungen. RIAS-Korrespondentin Elfie Siegl berichtet.
    Luftaufnahme nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl vom 26. April 1986, eines der schlimmsten von Menschen verursachten Unglücke. Die Luftaufnahme zeigt den zerstörten 4. Reaktor vor dem Schornstein, dahinter liegt der 3. Reaktor.
    Luftaufnahme nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl vom 26. April 1986: Die Luftaufnahme zeigt den zerstörten 4. Reaktor vor dem Schornstein, dahinter liegt der 3. Reaktor. (AP)
    6. Mai 1986
    "Man habe die Lage unter Kontrolle, heißt es immer wieder"
    Der Unfall in Tschernobyl liegt zehn Tage zurück. Auf einer Pressekonferenz informiert die sowjetische Regierung über Einzelheiten zu dem Unglück. Korrespondentin Elfie Siegl berichtet im Anschluss im RIAS. Laut Regierungsaussagen sei die Gefährlichkeit des Brandes anfangs von den örtlichen Behörden falsch eingeschätzt worden, aber nun habe man die Lage unter Kontrolle.
    Bildnummer: 60098573 Datum: 28.08.1990 Dekontaminierungsarbeiten in der Zone um das Atomkraftwerk Tschernobyl (Foto von 1990).
Der bisher schlimmste Unfall in der zivilen Nutzung der Kernenergie vor 20 Jahren im ukrainischen Tschernobyl scheint für viele seinen Schrecken verloren zu haben. Ausgelöst wurde die Explosion von Block 4 des AKW am 26. April 1986 durch ein fehlgeschlagenes Experiment und gravierende Konstruktionsmängel des sowjetischen Reaktors vom Typ RBMK. Um 1.23 Uhr zerreißt eine mächtige Explosion den Block 4. Der glühende Graphit im Reaktorkern fängt sofort Feuer und die 250 Brennstäbe schmelzen. Dabei werden mehrere Tonnen radioaktives Material freigesetzt.
    Dekontaminierungsarbeiten in der Zone um das Atomkraftwerk Tschernobyl (Foto von 1990) (IMAGO / epd)
    12. Mai 1986
    "Eine kolossale Katastrophe drohe nicht"
    RIAS-Korrespondentin Elfie Siegl berichtet ca. drei Wochen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl aus Moskau: "Eine offizielle Erklärung der Sowjetunion räumt ein, dass bisher die Möglichkeit einer Katastrophe bestanden habe". Die Gefahr einer Verseuchung des Grundwassers durch Radioaktivität sei aber wohl gebannt.
    Reporterin Elfie Siegl beim Sender RIAS in Berlin 1981
    Reporterin Elfie Siegl beim Sender RIAS in Berlin 1981 (Foto: Dietger Schulze)
    26. Mai 1986
    "Es handelt sich um das größte Unglück in der Geschichte der Atomenergie"
    Die sowjetische Zeitung "Prawda" – das Organ der Kommunistischen Partei – spricht inzwischen vom größten Unglück in der gesamten Geschichte der Atomenergie. Das berichtet Korrespondentin Elfie Siegel im RIAS vier Wochen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl.
    Gedenkenktafel für verstorbene "Liquidatoren", AKW Tschernobyl
    Gedenkenktafel für verstorbene "Liquidatoren", AKW Tschernobyl (Elfie Siegl / Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)
    21. August 1986
    "31 Tote sind es bisher"
    Reporterin Elfie Siegl fasst im RIAS die Ergebnisse des offiziellen Abschlussberichts der Untersuchung des Reaktorunglücks in Tschernobyl zusammen. Ein misslungenes Experiment und verschiedene Fehleinschätzungen hätten zur Katastrophe geführt. Der Bericht spreche von 31 Toten. Zudem habe man 135.000 Menschen aus dem Unglücksgebiet evakuieren müssen.
    Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung der Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986.
    Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung der Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986. (picture alliance/ dpa/ Sputnik)
    9. Dezember 1986
    "Die Maschinen versagten in der Zone hoher Verstrahlung den Dienst"
    Hochradioaktiver Abfall müsse von Soldaten per Hubschraubereinsatz vom Reaktordach geräumt werden. Die Radioaktivität sei so groß gewesen, dass ferngesteuerte Geräte versagt hätten, berichtet RIAS-Korrespondentin Elfie Siegl Anfang Dezember 1986 von der Atommüllbeseitigung in Tschernobyl.
    Spezialeinheiten beim Messen Radioaktivität im Mai 1986. Nach der Zerstörung des Kernkraftwerks wurde die Gegend 30 km um Tschernobyl zur Sicherheitszone erklärt.
    Spezialeinheiten beim Messen Radioaktivität im Mai 1986. Nach der Zerstörung des Kernkraftwerks wurde die Gegend 30 km um Tschernobyl zur Sicherheitszone erklärt. (picture alliance/dpa/Sputnik/Code Novo)
    15. Dezember 1986
    "Die Leute haben Angst zurückzukehren"
    "Das bleibt sicherlich für längere Zeit ein Problem, wieder Leute zu finden, die bereit sind, in dieser Zone zu leben": Elfie Siegl berichtet Mitte Dezember 1986 im RIAS über die geplante Neubesiedlung der Gegend um das Atomkraftwerk. Mittlerweile sind zwei Reaktoren in Tschernobyl wieder in Betrieb. Über gesundheitliche Langzeitfolgen wird offiziell in der Sowjetunion nicht gesprochen.
    Ein sowjetischer Techniker untersucht ein Kind, das von einer Frau gehalten wird, mit einem Geigerzähler, den er über den Kopf des Kindes hält.
    Ein sowjetischer Techniker untersucht ein Kind im Dorf Kopylovo bei Kiew am 9. Mai 1986 (picture alliance / AP / Boris Yurchenko)
    22. April 1987
    "Genetische Defekte hat man bei Babys nicht registriert"
    Ein Jahr nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl wird die Lage in dem Atomkraftwerk und seiner Umgebung von der Regierung als völlig normal dargestellt. Korrespondentin Elfie Siegl berichtet im RIAS von der Pressekonferenz in Moskau zum Jahrestag des Reaktorunglücks.
    Das Atomkraftwerk Tschernobyl 1987
    Das Atomkraftwerk Tschernobyl 1987 (Elfie Siegl / Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)
    27. April 1987
    "Es gibt in Zukunft keine Alternative zur Kernenergie in der Sowjetunion"
    Elfie Siegl informiert im RIAS über die Berichterstattung zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe in den sowjetischen Medien. Die Sowjetunion setze weiter auf die Atomenergie. Kernkraftwerke sollen sicherer und Graphit-Reaktoren nicht mehr neu eingesetzt werden