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Elfmeter-Krimi im Labor

Technik. – Die Europameisterschaft im Fußball steht vor der Tür. Grund genug, dass sich sogar Wissenschaftler der ETH Zürich mit diesem Thema befassen. Um künftigen Oliver Kahns das Training zu erleichtern, haben sie einen Simulator eigens für Torhüter entwickelt.

Von Sabine Goldhahn | 05.06.2008
    Im Sensory-Motor Systems Laboratory der ETH Zürich herrscht Stadionatmosphäre:

    "Also, was wir sehen, ist eben das Stadion, wir sind im Letzigrund, das wir virtuell nachgebaut haben, wir befinden uns im Tor, uns gegenüber befindet sich Herr Huggel, der jetzt den Elfmeter schiessen wird, er hat sich den Ball zurechtgelegt, ein reiner Elfmeter, wir selbst sind der Torwart und versuchen den Ball jetzt zu halten. Der Ball fliegt virtuell auf uns zu, in 3D-Form, wir tragen dafür noch eine Spezialbrille, um den Ball eben in 3D-Form auch zu sehen, jetzt ist es mir geglückt den Ball zu halten, wie man am Publikum hört, das Publikum steht also hinter mir, und wiederum ist es mir gelungen, den Ball zu halten, also die Fans jubeln, sie springen auf, wehende Fahnen, und grölen entsprechend."

    30.000 begeisterte Fans auf den Tribünen. Sechs Diaprojektoren erzeugen auf drei Leinwänden ein authentisches Stadionbild. Im Tor steht aber kein echter Torwart, sondern der Ingenieur Peter Wolf. Er und seine Kollegen wollen mit ihrer neuen Simulationsanlage untersuchen, was eigentlich genau bei einem Elfmeterschuss passiert. Wohin ein Torwart schaut, wie er sich bewegt, was ihn ablenkt. Ob er zu spät reagiert oder zu früh. Wolf:

    "Um Torhüter kümmert man sich eigentlich relativ wenig. Es gibt sehr viel zum taktischen Verhalten, zum konditionellen Verhalten, was den Spieler angeht, verschiedenste Spielanalysen, wenn dann die Spieler schon in ihren Schuhen Chips tragen, dass man genau weiss, wie die Laufwege waren von ihnen und wie sie sich verhalten haben zum Ball, für den Torhüter gibt es eigentlich wenig vergleichbares, wenn überhaupt."

    Um auch jede noch so kleine Bewegung des Torhüters zu erfassen, haben Wolf und seine Kollegen den Versuchsraum mit zehn Infrarotkameras bestückt. Auf der Baseball-Kappe des Torhüters kleben drei daumennagelgrosse Kugeln. Es sind die Sensoren, die Informationen über seine Stellung liefern. Wo sein Kopf ist, seine Schultern, seine Beine. An welcher Stelle im Tor er sich befindet. Auch auf seinen Handschuhen hat er kleine Sensoren. Die liefern Signale über die Position der Hände – wenn er nach dem virtuellen Ball greift, den er durch die Spezialbrille dreidimensional auf sich zufliegen sieht. Wolf:

    "Ich muss natürlich sofort auswerten, stimmt meine Handposition oder meine Kopf- oder Körperposition, oder meine linke oder rechte Hand jeweils mit der Position des Balles überein, wenn er die Balllinie übertritt oder nicht, habe ich ihn quasi gefangen oder nicht."

    Das wird alles simultan am Computer berechnet. Die mögliche Flugbahn des Fussballs ist aus zahlreichen Videoaufnahmen eines echten Elfmeterschützen bekannt. Da sich der Torhüter auf der Torlinie bewegt und die Infrarotkameras genau seine Position und die seiner Hände erfassen, weiss der Computer sofort, ob die Flugbahn des Balls die Hände getroffen hat. Je nachdem, müssen dann gleich Jubel oder Buhrufe aus den 112 Lautsprechern kommen. Und auf der Leinwand muss man die richtige Zuschauerreaktion sehen. – Hochkomplexe Vorgänge, die alle genau aufeinander abgestimmt sein müssen. Bis zum Pfiff und Ballgeräusch. Doch wozu der ganze Aufwand?

    "Was wir wissen, ist, dass man solche komplexen Vorgänge in einer komplexen Umgebung trainieren muss. Was können wir jetzt: Wir können in Echtzeit eben sofort signalisieren, oh du hast den Ball gehalten oder dich zu früh bewegst, eben mit einer Alarmglocke oder ähnliches. Dadurch wird die Person schon besser lernen, sich eben nicht zu früh zu bewegen und besser lernen zu antizipieren oder gucken, worauf ich achten muss."

    Bisher gibt es das System nur als Prototyp. Aber schon demnächst wollen die Zürcher Forscher mit Vereinen und Profis in Kontakt treten. Derweil arbeiten sie schon daran, dass der Torhüter den virtuellen Ball auch spüren kann – über Seile, die an seinen Händen ziehen, wenn er den Ball gefangen hat.