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Elfriede Jelinek
Zschäpe als Jungfrau und Mördermutter

Eine Mixtur aus Gerichtsverfahren und Theaterdichtung haben die Münchner Kammerspiele uraufgeführt: "Das schweigende Mädchen" von Elfriede Jelinek. Es geht um die im Münchener Mordprozess schweigende Beate Zschäpe. Damit hat Jelinek schon zum zweiten Mal die Verbrechen der Neonazi-Terrorgruppe NSU auf die Bühne gebracht.

Von Sven Ricklefs |
    Eigentlich wollen wir ja wissen, wie das möglich war, dass da Drei seelenruhig zwölf Jahre lang zehn Morde begehen konnten, vor unserer Nase und wir dachten nicht an sie. Eigentlich wollen wir das ja wissen und zugleich wollen wir das nicht. Wir wollen nicht wissen, wie das sein konnte, auf welchem Humus das wuchs, wer das unterstützte und was das mit uns zu tun hat. Es ist dieser Spagat, den Elfriede Jelinek als Ausgangspunkt benutzt, um sich mit der ganzen Kraft ihres assoziativen Sprachschwalls in die Geschichte des NSU-Trios und in die deutsche Seele zu bohren, denn der Fleck, der geht nie mehr raus.
    "Der Mann am Boden geht nicht mehr. Der geht nicht weg. Der Fleck geht weg, der wird entfernt werden können, der Mann auch, entfernt, aber der Fleck geht nie mehr raus. Der Mann geht raus, aber das Blut bleibt da, das geht nicht mehr zurück."
    Zwar hat Elfriede Jelinek Prozessprotokolle und Medienberichte des Münchner NSU-Prozesses für ihr neuestes Stück "Das schweigende Mädchen" benutzt, verortet ist es jedoch eher im Jüngsten Gericht, in dem es einen Richter gibt und Engel und Propheten, deren Sprechen um eben das Schweigen kreist, das die einzige Überlebende des mordenden Trios Beate Zschäpe auszeichnet, um dieses Schweigen und die Taten, die Opfer und die Täter, aber auch das Schweigen drumherum, das Wegschauen, das Ermöglichen. Dabei schlüpfen die Stimmen aus diesem Jelinekschen Fließtext in die verschiedensten Perspektiven, mal spricht das Entsetzen aus ihnen, mal spricht die sonst schweigsame Menge der Unterstützer, der Versteher, der im Grunde ganz ähnlich Denker. Und im biblischen Kontext bleibt sie auch, wenn bei ihr in der pervertierenden Verkehrung die beiden Mordenden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt etwa zu Erlösern werden und Beate Zschäpe zu einer Jungfrau, die sie geboren hat.
    "Die Jungfrau wird schwanger werden, sie wird geboren werden, kaum geboren schon kastriert. Weg mit den Eierstöcken, die Jungfrau, geboren aus der Jungfrau."
    Schon Beate Zschäpes Mutter wusste angeblich nichts von ihrer Schwangerschaft und wurde von der Geburt ihrer Tochter überrascht, und Beate Zschäpe selbst wurden früh die Eierstöcke entfernt, sie ist unfruchtbar, gebar aber gleichsam mythisch im Trio diese beiden mordenden Erlöser.
    Auf der Bühne der Münchner Kammerspiele in Johan Simons Uraufführungsinszenierung von Elfriede Jelineks "Das schweigende Mädchen" ist allerdings der leibhaftige Erlöser mit auf der Bühne, in Gestalt des ätherisch-zarten Schauspielers Risto Kübar. Kaum dass er einmal einen Halbsatz spricht, sitzt er da in seinem weißen Büßerhemd und wird erst am Schluss in einer Art Gebet seine eigene Überforderung formulieren im Angesicht des Grauens der Geschehnisse und des Versagens der Gesellschaft, eine Überforderung, die zugleich wohl auch die Überforderung der Autorin selbst ist.
    Davor hat Regisseur Johan Simons Jelineks Stück von sieben Schauspielern und drei Musikern in einer Art Textkonzert am vorderen Bühnenrand spielend lesen lassen und damit jegliche konkrete Identifikation elegant vermieden: Da sind die spießigen Propheten von Annette Paulmann und Hans Kremer, die im Partnerlook mit strenger Bluse und strengem blauen Rock immer wieder zu brav-gefährlichen Deutschen mutieren, oder Benny Claessens als schwarz verhüllter Engel, der seinen Text durch eine Geste oder nur durch seine Stimme virtuos travestieren kann. Das ist überhaupt die große Qualität dieses Textes und dieser Inszenierung, dass sie bei all ihrer erschreckenden Enthüllungskraft viel Humor und viel Ironie haben.
    "Sie müssen alles wegmachen. Schön schrubben. Dann kommt darunter wieder neuer junger Boden hervor. Etwas blutleer zwar, aber der trägt noch."
    Während andere Stücke über den NSU bisher die Gefahren von Betroffenheitskitsch oder Tarantino-Ästhetik nicht immer ganz vermeiden konnten, greift Elfriede Jelinek weit über die Roadmovie-Geschichte des mordenden Trios hinaus und ebenso weit in die deutsche Seele hinein. Johan Simons hat diesem Text nun mit dem ganzen Mut zu einer konzentrierten Schlichtheit kongenial auf die Bühne geholfen.