Montag, 20. Mai 2024


Elisabeth Selbert

Im Parlamentarischen Rat waren nur vier Frauen vertreten. Daß die anfänglichen Bedenken der Mehrheit der Verfassungsväter gegen die Verankerung des Gleichberechtigungsgebotes im Grundgesetz zerstreut wurden, war vor allem die Leistung der sozialdemokratischen Anwältin Elisabeth Selbert.

Von Gudula Geuther und Maximilian Steinbeis | 10.05.1999
    Elisabeth Selbert: "Ich bin Jurist und unpathetisch und ich bin Frau und Mutter und zu frauenrechtlerischen Dingen gar nicht geeignet. Ich spreche aus dem Empfinden einer Sozialistin heraus, die nach jahrzehntelangem Kampf um diese Gleichberechtigung nun das Ziel erreicht hat."

    Der Erfolg, den Elisabeth Selbert 1949 in einer Rundfunkansprache ihren Hörerinnen und Hörern verkündete, war die Aufnahme der uneingeschränkten Gleichberechtigung von Mann und Frau in das Grundgesetz. Darauf hatte sich am Vortrag der Hauptausschuß des parlamentarischen Rates geeinigt. Elisabeth Selbert war eine von vier weiblichen Abgeordneten dieses Gremiums, das in Bonn die neue Verfassung erarbeitete. Den Satz in Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" hatte sie quasi im Alleingang durchgesetzt.

    Elisabeth Selbert stammte aus einfachen Verhältnissen. Höhere Schulbildung blieb ihr, wie damals für Mädchen üblich, zunächst verwehrt. Erst ihr Mann Adam Selbert, ein glühender Sozialdemokrat, ermutigte sie, das Abitur nachzuholen und Rechtsanwältin zu werden. Er war es auch, der ihr politisches Engagement weckte. Ihre Ehe entsprach damit keineswegs dem Leitbild des aus dem 19.Jahrhundert stammenden Familienrechts. Die Frau war ihrem Ehemann rechtlich ausgeliefert. Er konnte über ihr Vermögen verfügen und ihre Stellung kündigen, wenn ihm die Berufstätigkeit seiner Frau nicht paßte. Die Weimarer Verfassung hatte sich noch darauf beschränkt, die Frau als Staatsbürgerin gleichzustellen, sprich: sie konnte wählen und gewählt werden. Damit wollte sich Selbert nicht zufrieden geben.

    Als 86jährige Frau erinnerte sie sich 1982:

    Elisabeth Selbert: "Allerdings wollte ich über die Fassung der Weimarer Verfassung hinausgehend, eine uneingeschränkte Gleichberechtigung von Mann und Frau, und habe dann den Vorschlag gemacht, die Fassung schlicht und einfach zu formulieren: Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

    Mit dieser Formulierung stieß sie im parlamentarischen Rat zunächst auf heftigen Widerstand. Selbst ihre weiblichen Kollegen fürchteten, daß damit dem gesamten Familienrecht der Boden entzogen würde und Rechts-Chaos die Folge wäre. Nachdem ihr Antrag mehrmals abgelehnt worden war, ging Elisabeth Selbert an die Öffentlichkeit. In einer groß angelegten Kampagne wurde den Politikern des parlamentarischen Rates klargemacht, daß sie im Begriff waren, es sich mit ihren künftigen Wählerinnen zu verscherzen.

    Elisabeth Selbert: "Damals kamen körbeweise Protestschreiben, etwa um die Weihnachtszeit 1948 im Rat an, darunter, ich glaube 60.000 Metallarbeiterinnen, die dann verlangten, daß meine Formulierung akzeptiert wurde. Das hat natürlich dann eingeschlagen wie ein revolutionärer Akt. Und damals habe ich die revolutionäre Haltung der Frauen noch einmal erlebt, wie etwa in der Weimarer Zeit."

    Die Frauen setzten sich durch. Zunächst nur in der Verfassung, denn das Parlament bekam vier Jahre Zeit, das Familienrecht mit der Gleichberechtigung in Einklang zu bringen.

    Elisabeth Selbert: "Mein Kampf im neuen staatlichen Leben, und ganz besonders bei der Schaffung dieser Verfassung, galt daher ganz bewußt der Reform des Familienrechtes, und diese haben wir durch die neue Verfassung nunmehr ausgelöst. Dem neuen kommenden Bundestag wird die Verpflichtung auferlegt, bis zum Jahre 1953 die Gleichstellung der Frau zu verwirklichen und alle entgegenstehenden Bestimmungen aufzuheben."

    Tatsächlich dauerte es bis 1957, bis sich der Gesetzgeber zu einer Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches durchringen konnte. Als Ehegattin war die Frau dem Mann damit gleichgestellt. Doch die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts vor allem im Berufsleben blieb auch weiterhin ein heikler Punkt. Elisabeth Selbert blieb bis zu ihrem Lebensende der Sache der Frauenemanzipation verbunden.

    In der Bundespolitik spielte sie zwar keine Rolle mehr, blieb jedoch landes- und kommunalpolitisch aktiv. Den Hauptteil ihrer Zeit widmete sie ihrer Rechtsanwaltskanzlei und ihrer Familie. Elisabeth Selbert starb 1986 in Kassel.