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Eltern betreiben illegale Schule in Sachsen

In Seifhennersdorf, direkt an der Grenze zu Tschechien, organisieren Eltern seit der Schließung ihrer Mittelschule vor einem Jahr illegalen Schulunterricht. Eltern, Aushilfen und pensionierte Lehrer sind im Einsatz. Der Fall beschäftigt mittlerweile auch das Bundesverfassungsgericht.

Von Nadine Lindner | 17.09.2013
    Die Glocke auf dem Dach der Schule schlägt und noch spielen eine Handvoll Kinder auf dem Pausenhof. Sie gehören zu der sechsten Klasse der Seifhennersdorfer Rebellenschule. Im zweiten Jahr werden Sie hier von pensionierten Lehrern und Eltern unterrichtet. Nach Ansicht des Kultusministeriums – illegal.

    Doch Andrea Urban kämpft für den Erhalt dieser Schule und den Kinderlärm:

    "Wir wollten einfach unser Recht haben. Und wir wollen es auch jetzt noch. Weil wir sehen, dass die Schule Zukunft ist."

    Die Kaffeemaschine steht im Regal, die Stundenpläne liegen auf dem Tisch. Es sieht eigentlich aus wie ein ganz normales Lehrerzimmer.

    Und auch die Kinder der Rebellenklasse verteidigen ihre Schule wie die elfjährige Linda:

    "Wir sind ganz normale Schüler, mit ganz normalen Lehrern und das ist ganz normaler Unterricht."

    Sie will in Seifhennersdorf bleiben, nicht mit dem Bus in die Schule im Nachbarort fahren müssen.

    Andrea Urbans Sohn geht auch in die Klasse, in der sie selbst unterrichtet. Obwohl sie keine pädagogische Ausbildung hat, lehrt sie als gelernte Gartenbauingenieurin Biologie. Die Lehrer der Rebellenklasse arbeiten ehrenamtlich; doch nicht alle haben eine pädagogische Ausbildung. Andrea Urban:

    "Wir richten uns nach dem Lehrplan, wir machen Stichproben mit den umliegenden Schulen, damit die Kinder auf dem gleichen Wissensstand sind. Und das funktioniert."

    Der Grundkonflikt schwelt seit Jahren:
    Die sächsische Staatsregierung will die Schule, an der Kinder den Haupt- und Realschulabschluss machen können, schließen, weil nicht mehr genügend Schüler da sind. Dies sei schon an vielen anderen Orten in Sachsen geschehen, erklärt der Sprecher des Kultusministeriums Dirk Reelfs:

    "Nur sehen es die Eltern aus verständlichen Gründen auch anders. Gleichwohl ist das Schulgesetz so, es gibt gewisse Mindestgrößen vor, Gerichtsurteile haben auch das immer wieder bestätigt. Und wir sehen uns an Recht und Gesetz und an den demokratisch gefassten Beschluss des Kreisparlaments gebunden."

    Das Gymnasium des Ortes bleibe erhalten, als Ausgleich, sagt Reelfs. Das ist zu wenig – finden die Seifhennersdorfer. Rund 4000 Einwohner gibt es heute hier, vor fünfzig Jahren waren es noch doppelt so viele. Von drei Seiten ist der Ort von der tschechischen Grenze umgeben. Die Abwanderung, die Arbeitslosigkeit, jetzt soll nicht auch noch diese Schule weg. Sie fürchten, dass Seifhennersdorf ausblutet.

    In der sechsten Klasse, die den illegalen Unterricht besucht, sind noch elf Kinder. Zu Beginn des letzten Jahres waren es noch 23. Gerade erst musste die Rebellen eine Niederlage einstecken, denn es wird keine fünfte Klasse bei ihnen geben.

    Das sächsische Kultusministerium will, dass die restlichen Schüler der Rebellenklasse so schnell wie möglich an eine reguläre Schule kommen, in den Nachbarorten Ebersbach, Neugersdorf und Großschönau.

    Dirk Reelfs:

    "Eltern hohe Verantwortung Schulpflicht. Ob sie dort Verantwortung nachkommen, wagt er zu bezweifeln."

    Der Ort Seifhennersdorf kämpft schon seit über zehn Jahren für diese Schule. Es ist ein komplizierter Kampf, der schon durch zahlreiche juristische Instanzen ging und im Rathaus fast 30 Aktenordner füllt. Je länger er dauert, desto verbissener wird er geführt.

    Das Kultusministerium pocht auf die Mindestschülerzahl des Schulnetzplanes, die Seifhennersdorfer Eltern fürchten, dass mit der Schule auch noch das letzte bisschen Zukunft stirbt.

    Was als kleiner Aufruhr in einem sächsischen Dorf begann, beschäftigt jetzt das Bundesverfassungsgericht. Seit März 2013 liegt dieser Streitfall in Karlsruhe. Der Gericht soll prüfen, ob Sachsens Schulgesetz mit der Verfassung vereinbar ist. Ob aus dem Urteil dann auch folgt, dass die Schule erhalten bleiben kann, ist fraglich. Und so sehen Andrea Urban und die Rebellenlehrer, Linda und ihre Mitschüler wieder einmal einer ungewissen Zukunft entgegen.