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"Eltern fordern immer wieder, jeden Tag Fleisch muss sein"

Dass in vielen Schulkantinen nicht ausreichend Obst und Gemüse serviert werde, habe auch mit einem falschen Verständnis der Eltern von guter Ernährung zu tun, sagt Elke Liesen von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Viele Eltern wollten zudem nicht viel Geld für Schulessen ausgeben.

Elke Liesen im Gespräch mit Sandra Pfister | 24.09.2013
    Sandra Pfister: An einer Grundschule in Prenzlauer Berg in Berlin hat es gestern und heute kein Schulessen gegeben. Die Kantine bleibt dicht, bis klar ist, warum am Freitag ganze 76 Schüler auf einmal an Brechdurchfall erkrankt sind. Vielleicht war die Kantine ja auch gar nicht schuld, aber ausgeschlossen ist das nicht, schließlich haben vor knapp einem Jahr infizierte Erdbeeren aus China in Berlin ebenfalls für Brechdurchfall in großem Stil gesorgt – die Erdbeeren waren mit dem Norovirus infiziert.

    Nun passiert so ein großer Skandal glücklicherweise nicht alle Tage, aber das tägliche Elend in vielen Schulkantinen, das ist ja schon schlimm genug. Zu wenig Obst und Gemüse, zu wenig Frisches, fahl gewordenes Essen, über Stunden warmgehalten, bis auch das letzte Vitamin sich verabschiedet hat! Wie lässt sich das ändern? Darum geht es gerade bei den bundesweiten Tagen der Schulverpflegung und das ist auch genau das Thema von Dr. Elke Liesen. Sie arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn. Frau Liesen, die DGE gibt ja eigentlich ganz klare Richtlinien vor: Fünf Mal am Tag Obst und Gemüse, viel Frisches, Fleisch und Süßes nur in Maßen. Warum ist es so schwer, das in Schulkantinen umzusetzen?

    Elke Liesen: Ja, ich denke, vieles ist einfach eine Erziehungsgeschichte. Also, das, was immer zurückkommt, ist einfach die Forderung der Eltern beziehungsweise auch der Schüler, die dann bemängeln, dass das kein vollwertiges Gericht zum Beispiel ohne Fleisch ist. Und gerade Eltern fordern immer wieder, jeden Tag Fleisch muss sein, sonst werden die Kinder nicht satt, und da stoßen wir an Grenzen, die einfach auch mit der Ernährungsbildung zu tun haben.

    Pfister: Nun könnte ja Schule gegensteuern mit einem ganz andern Angebot! Aber jetzt haben wir in der Vergangenheit zum Beispiel die Berliner Caterer gehört, die haben kürzlich gesagt, für diesen mickrigen Betrag, den wir pro Essen kriegen, da können wir kein gutes Essen kochen. Jetzt haben sie durchgesetzt, dass eine Mahlzeit 3,25 Euro pro Kind kosten soll. Geht es drunter nicht?

    Liesen: Ich denke mal, es ist schwierig. Wenn man Qualität einkaufen will – und jeder möchte eigentlich, dass auch in der Ware, die eingekauft wird, schon Qualität vorhanden ist, dann ist ein Ansatz von zwei Euro und der möglicherweise noch inklusive Ausgabepersonal, einfach nicht zu realisieren. Das haben wir in den neuen Bundesländern ganz verstärkt vertreten, gehen Sie mal in den Süden, nach Baden-Württemberg oder nach Bayern runter, da werden Preise von vier Euro, 4,50 Euro, fünf Euro überhaupt nicht diskutiert. Also, da haben wir auch ein Preisgefälle. Aber ganz klar, man sieht es, wenn man die Presse so ein bisschen verfolgt, die Preise steigen an, Lebensmittel sind teurer geworden und wir sind heute ganz klar dabei zu sagen, drei Euro, 3,50 Euro ist ein realistischer Preis für ein Essen.

    Pfister: Also, da müssten Eltern auch einfach mehr in die Hand nehmen. Oder muss es der Staat machen?

    Liesen: Da kann man sich splitten. Also, mit dem Staat ist es ein bisschen schwierig, weil Ernährung zur Schulbildung gehört, Schulbildung ist Ländersache, also haben wir den Föderalismus, der so ein bisschen querschlägt. Wir haben ja auch dieses B-und-T-Programm des Bundes, der uns tatsächlich schon Mittel zur Verfügung stellt für die sozial schwächer Gestellten, aber es ist immer wieder eine Diskussion, soll es kostenfrei sein, soll es nicht kostenfrei sein, wird es noch wertgeschätzt, wenn alles kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Also, da ist eine lebhafte Diskussion im Schulbereich unterwegs, wobei wir aber alle keine Patentlösung dafür haben.

    Pfister: Wir haben jetzt zwei Komplexe angesprochen, die Erwartungen der Eltern, die vielleicht sagen, ach, fünfmal Fleisch in der Woche muss unbedingt sein, der Preisdruck, der auf den Caterern lastet. Sind das die einzigen Probleme?

    Liesen: Ich denke mal, dass wir sehr vielschichtige Probleme haben in der Schulverpflegung zu bewältigen. Das eine ist natürlich die wachsende Anzahl der Ganztagsschulen, wir sind immer noch dabei, Ganztag auszubauen, das heißt, hier fehlen eigentlich auch die finanziellen Mittel, um eine ordentliche Mensa zu gestalten. Es gab mal Bundesfördermittel dafür, die sind auch nicht mehr vorhanden. Das heißt, jede Kommune muss inzwischen auch den Mensaausbau, den Küchenausbau in den Schulen bewältigen. Und was ich eigentlich als Krux sehe, ist einfach, Fachpersonal in die Schulküchen, in die Ausgabeküchen zu stellen, die dann entsprechend adäquat auch nach Tarif bezahlt werden. Also, auch da gibt es sicherlich noch vieles, was man besser machen könnte.

    Pfister: Dass man die sozial einfach besser stellt? Oder hätte das eine direkte Auswirkung auch auf die Qualität des Schulessens selbst?

    Liesen: Ich denke, es hat auch eine Auswirkung auf die Qualität, wenn Fachpersonal das organisieren kann, Fehler in Küchen vermieden werden, das Hygienekonzept in der Küche stimmt, das dann von Fachpersonal viel besser betreut werden kann als, sage ich mal, von angelernten Laien. Da wird sich qualitativ sicherlich auch was verbessern.

    Pfister: Sie sagten gerade Schulküchen. Die gibt es ja nun in vielen Schulen überhaupt nicht mehr, die wurden ja auch teilweise über Jahre hinweg gezielt zurückgebaut. Das wäre wahrscheinlich noch eine optimale Ausgangsvoraussetzung, dass man teilweise noch selbst kocht oder aufwärmt?

    Liesen: Dass jede Schule eine eigene Schulküche bekommt, ist, glaube ich, illusorisch. Aber hinzugehen und zu sagen, wir machen Teilkomponenten wie zum Beispiel Nudeln noch selbst, oder wir machen Rohkost noch selbst vor Ort, das wird in vielen Schulen noch gemacht. Und da braucht man natürlich auch Personal, das das entsprechend umsetzen kann und auch kreativ gestalten kann.

    Pfister: Das Personal spielt eine Rolle. Ich habe eingangs noch diesen Erdbeerskandal erwähnt, chinesische Billigerdbeeren waren das, die mit dem Norovirus infiziert waren. Kann so was eigentlich seither nicht mehr vorkommen, weil die Kontrollen strenger geworden sind?

    Liesen: Ich denke mal, es ist schwierig, so was auszuschließen. Wir haben den europäischen Handel, wir haben den weltweiten Handel, wo die Waren im Einzelnen her bezogen werden, das liegt nicht immer in unserer Hand. Selbst wenn der … Das war ja bei diesen Erdbeeren auch so, es war eigentlich ein Osthändler, der die Sachen verkauft hat, der aber wieder zugekauft hat, und von daher ist diese Kette, die nach hinten zu verfolgen, ist immer schwieriger. Ausschließen, glaube ich, kann es keiner. Hygienefehler passieren. Dass mal was passiert bei der Zahl an Schulessen, die wir täglich ausgeben, bleibt nicht aus.

    Pfister: Und bei Billigerdbeeren aus China sind wir dann doch wieder bei der Preisdiskussion, dass man auch nicht unbedingt Billigerdbeeren aus China einkaufen muss, sondern mehr Geld fürs Essen verlangt.

    Liesen: Das ist richtig. Also, das wäre schon schön, wenn man das auch ein bisschen mehr Toleranz auch gerade bei den Eltern finden würde. Ich sage mal, jeder, der in die Betriebskantine geht, der regt sich über 5,50 Euro für ein Essen nicht auf, aber bei den Kindern wird dann geknapst.

    Pfister: Darüber haben wir mit Elke Liesen gesprochen von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Sie ist nämlich auch Fachfrau dafür, wie das Essen in Schulen deutlich besser werden könnte. Danke, Frau Liesen!

    Liesen: Ja, danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.