Eltern unter Druck
Wie kommen Eltern aus der Stressfalle heraus?

Eltern und vor allem Alleinerziehende fühlen sich stark unter Druck. Darüber zu sprechen ist immer noch mit einem Tabu verbunden. Es gibt aber Möglichkeiten, sich selbst zu ermächtigen, Probleme zu erkennen und zu lösen. Wie geht das?

    Wütende Frau schreit Kinder an (Illustation)
    Gestresste Eltern schreien ihre Kinder auch mal an, sagt die Kinderärztin Karella Easwaran. Mit etwas Übung kann es gelingen, anders zu reagieren. (imago / Ikon Images / Gary Waters)
    Eltern sind mit hohen Erwartungen konfrontiert: Sie wollen ihre Kinder perfekt erziehen, Job und Familie unter einen Hut bringen und durch den Alltag in einer dauerbeschleunigten, digitalisierten Gesellschaft navigieren. Über zwei Drittel der Eltern geben in einer Forsa-Umfrage an, sich manchmal erschöpft oder ausgebrannt fühlen, deutlich mehr also noch vor vier Jahren, als es knapp über die Hälfte der Eltern waren.
    Im schlimmsten Fall komme es zum sogenannten Eltern-Burn-out, sagt Dr. Aileen Könitz, Expertin für psychiatrische Fragen bei der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), die die Studie in Auftrag gegeben hat. Betroffene Eltern befänden sich dann in einer Art Robotermodus, in dem sie zwar funktionierten, aber für die Kinder nicht mehr wirklich präsent seien. Mögliche Folgen: Vernachlässigung, schlimmstenfalls Gewalt.

    Inhaltsverzeichnis

    Warum sind viele Eltern gestresst oder überfordert?

    Es sind eine ganze Reihe von Stressfaktoren, die Eltern mit Kindern unter 18 Jahren belasten, das zeigt die Forsa-Umfrage: Etwas weniger als die Hälfte fühlt sich durch die Erziehung und Betreuung der Kinder, die Hausarbeit und die Sorge um die Zukunft des Nachwuchses unter Druck. Etwa ein Drittel der Eltern nennt Konflikte in der Familie als belastend.
    Und dazu kommen Sorgen, die auch Menschen ohne Kinder haben: Ein Drittel fühlt sich durch die eigene berufliche Entwicklung belastet, rund der Hälfte machen gesellschaftliche Themen wie die politische Lage, der Klimawandel und die Teuerung zu schaffen. Ein Fünftel fühlt sich durch Digitalisierung und die ständige Erreichbarkeit unter Druck.

    Mütter stärker belastet als Väter

    Mütter sind zudem stärker belastet als Väter, aber nicht, weil sie seelisch instabiler seien, erklärt die KKH-Expertin Könitz. Frauen leisten nicht nur 77 Minuten mehr unbezahlte Sorgearbeit pro Tag als Männer, sondern inzwischen sind auch knapp 70 Prozent der Mütter mit Kindern berufstätig, ein Anstieg um zehn Prozent seit 2008.
    Das birgt neues Konfliktpotential und zusätzlichen Stress für Familien, weil eine gezielte Organisation und genaue Absprachen nötig sind. 18 Prozent der acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern in Deutschland sind zudem alleinerziehend – in neun von zehn Fällen leben die Kinder bei der Mutter.
    Nicht zuletzt haben sich Erziehungsideale verändert – weg von einer autoritären hin zu einer kindzentrierten Erziehung. Sie fordert den Eltern Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse ihrer Kinder ab, und verlangt von ihnen dennoch, Grenzen zu ziehen. Das will eingeübt und gelernt sein. Eltern seien auf Orientierung und Unterstützung angewiesen, sagt die Kinderärztin Karella Easwaran.

    Sind auch die Kinder überfordert?

    Die körperlichen und seelischen Probleme deutscher Grundschüler haben deutlich zugenommen, zu dem Schluss kommt eine Umfrage der DAK unter 500 Lehrerinnen aus dem vergangenen Jahr. Neben motorischen Schwächen, Verzögerung der Sprachentwicklung und Übergewicht nannten die Lehrer Konzentrationsschwierigkeiten und sozial auffälliges Verhalten.
    Der langjährige Kinderärztepräsident Thomas Fischbach kritisierte im Januar 2024 den mangelnden Schutz von Kindern während der Corona-Pandemie, vor allem die wiederholten und langen Schließungen von Schulen und Kitas. Sozialverhaltensstörungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen, Adipositas und Bewegungsmangel sowie schulische Leistungsstörungen seien die Folgen.
    Die angerichteten Schäden könnten durch eher halbherzig finanzierte Korrekturmaßnahmen des Staates nicht behoben werden, sagte Fischbach. Deutschland nehme im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa den Niederlanden nur sehr wenig Geld in die Hand.
    Kinder einzusperren, sei das Schlimmste, was man ihnen antun könne, sagt die Kinderärztin Karella Easwaran. „Kinder brauchen Kinder, sie brauchen ihre eigene Welt, ihr eigenes Umfeld.“ Das sei ihnen während der Lockdowns über Monate und Jahre geraubt worden. Eltern seien nicht nur frustriert, sondern machtlos gewesen. Die psychischen Belastungen von Familien und Kindern hätten enorm zugenommen. Dennoch, betont die Kinderärztin: Es gebe Möglichkeiten, aus dem Stress herauszukommen.

    Welche Rolle spielt Social Media beim Elternstress?

    Soziale Medien erzeugten Druck bei Eltern, sagt die Kinderärztin Karella Easwara. Viele Eltern suchten Rat im Internet und in den sozialen Medien, vor allem, wenn die Kinder klein seien. Dabei verglichen sie sich mit anderen. Das sei belastend.
    Es gibt neben Mama-Blogs, in denen traditionelle Rollenbilder zelebriert werden und nebenbei noch Werbung für Baby-Produkte gemacht wird, auch kritische und feministische Stimmen, die sich differenziert mit Mutterschaft und Care-Arbeit auseinandersetzen. Die Online-Initiative Solomütter postet unter Solomütter auf Instagram. Dort postet auch die Autorin und Journalistin Teresa Bücker alias fraeulein_tessa. Die Initiative Equal Care bietet bietet online Mental Load Tests an.
    Eltern sind zudem natürlich nicht nur für das eigene Nutzungsverhalten verantwortlich, sondern müssen ihre Kinder auch im Umgang mit dem Smartphone, Computerspielen, Social Media und dem Internet begleiten.

    Wie können Eltern mehr Gelassenheit entwickeln?

    Wenn Eltern zu ihm kommen, empfiehlt der Familientherapeut Stephan Rudolph ihnen als erstes, innezuhalten. Wenn zum Elterprofil zähle, sechs Stunden täglich am Handy erreichbar zu sein und im Minutentakt Entscheidungen zu fällen, wie in der KKH-Studie beschrieben, dann sei die Frage: Müssen Eltern das mitmachen? Finden sie sich in dem Anforderungsprofil wieder? Das kurze Innehalten gebe die Chance zu hinterfragen: Möchte ich das wirklich?
    Die Kinderärztin Karella Easwaran hat auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse eine Methode entwickelt, mit der Eltern "Macht über ihren Stress gewinnen können", wie sie erläutert. SADH nennt sie das: Stopp! Atmen, Denken, Handeln.
    Das Stressempfinden und das Denken seien zwei verschiedene Vorgänge im Gehirn. Darum helfe es, bei Stress "Stopp" zu sagen, um aus der Stressfalle herauszukommen. Durch das Atmen werde automatisch die Stressausschüttung reduziert. Dann nachdenken: Was ist mein Problem? Wer kann mir helfen? Wie komme ich da raus? Und erst dann sollten Eltern aktiv werden und handeln.

    Was können Eltern sonst noch tun?

    Es braucht ein ganzes Dorf, ein Kind großzuziehen, ist eine oft bemühte Binsenweisheit. Doch sie stimmt, sagt die Kinderärztin Karella Easwaran. Unsere wichtigste Ressource seien andere Menschen, das zeigten auch Neurowissenschaft und Psychologie. Viele Eltern hätten keine Familie in der Nähe, auf deren Unterstützung sie bei der Kinderbetreuung bauen könnten. Auch wenn es schwerfalle, sei es wichtig, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und sich ein Netzwerk aus Freunden, anderen Familien und Nachbarn zu schaffen und sich „unser kleines Dörfchen“ zu bauen.

    tha