Archiv


Eltern werden ist doch schwer

Medizin. - Als vor 26 Jahren das erste im Reagenzglas gezeugte Baby zur Welt kam, schossen die Mutmaßungen darüber ins Kraut, ob die Technik nicht Spätfolgen für die Kinder haben werde. Inzwischen gibt es viele hundert, unterschiedlich gut konzipierte Studien zu dieser Frage, die vor allem eins zeigen: Das wahre Risiko der In-Vitro-Fertilisation liegt bei den Mehrlingsschwangerschaften mit all ihren Konsequenzen. Unabhängig davon sind die Fortpflanzungsmediziner zuletzt aber von einigen Berichten aufgeschreckt worden, denen zufolge sich einige sehr seltene genetische Krankheiten bei In-Vitro-Babys häufen. Dafür machte man zunächst die Technik selbst verantwortlich. Nun sieht es aber so aus, als sei die verminderte Fruchtbarkeit der Eltern das Problem.

Von Grit Kienzlen |
    Die beiden Krankheiten, um die es hier geht, sind genauso selten wie unbekannt. Sie heißen Beckwith-Wiedemann Syndrom und Angelmann-Syndrom und sie haben nur zwei Dinge gemeinsam: Sie häufen sich bei Kindern, die im Reagenzglas gezeugt wurden, und sie können beide durch einen Imprinting-Fehler entstehen. Ein falsches Imprinting – zu deutsch Prägung, bedeutet, dass nicht das Erbgut an sich beschädigt ist, sondern dass einigen Genen sozusagen der Stempel fehlt, der sie als vom Vater oder von der Mutter stammend ausweist. Für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist diese Information aber wichtig. Beim Angelmann-Syndrom etwa bleiben die Kinder mental zurück. Dass die technisch unterstützte Zeugung an Imprinting-Fehlern im Erbgut Schuld ist, diese Aussage wollte bislang aber niemand treffen, weil es dafür zu wenig gesicherte Daten gab. Von einer sehr seltenen Krankheit sind selbst bei – sagen wir doppeltem Risiko – immer noch sehr wenige Kinder betroffen. So blieb es bei Fallstudien. Michael Ludwig vom Hamburger Endokrinologikum:

    Und deswegen haben wir zusammen mit der Universitätsklinik Essen und Herrn Professor Horsthemke aus der Humangenetik 270 Teilnehmer der Angelmann Selbsthilfegruppe in Deutschland angeschrieben und haben diese Teilnehmer aus dieser Gruppe gebeten, einen Fragebogen auszufüllen mit Angaben darüber, wie die Schwangerschaft entstanden ist, aus der dann das Kind mit dem Angelmann-Syndrom hervorgegangen ist, wie lange es gedauert hat, bis diese Schwangerschaft eingetreten ist, die Zeitdauer, unabhängig davon ob mit oder ohne eine Behandlung die Schwangerschaft zustande gekommen ist und ein paar Daten einfach zu der Krankenvorgeschichte der Eltern.

    Rund ein drittel der Angelmann-Eltern unterstützten die Arbeit von Michael Ludwig und Bernhard Horsthemke. Und bei deren Kindern ging das Angelmann-Syndrom nur in vier Fällen auf ein falsches Imprinting zurück. Dennoch reichten diese vier Fälle den Medizinern aus, um Rückschlüsse über die Ursachen zu ziehen. Die Eltern der vier Kinder hatten sich nämlich keineswegs alle einer In-Vitro-Behandlung unterzogen. Wohl aber hatten sie alle lange auf ihr Kind warten müssen, nämlich mehr als zwei Jahre. Ob sie es am Ende mit Hilfe einer Spermieninjektion in die Eizelle, also der ICSI-Technik bekamen, oder ob die Frau nur eine Hormonbehandlung erhalten hatte, oder ob sie nach langer Zeit doch ganz ohne Hilfsmittel schwanger wurde, das alles machte beim Angelmann-Risiko für das Kind keinen Unterschied. Es war gleichermaßen erhöht. Ludwig:

    So dass wir zu dieser Diskussion die Tatsache beitragen können, dass die ICSI-Technik selbst, das heißt die Mikroinjektion von einzelnen Spermien in die Eizelle, die man durchführt, wenn der männliche Samen nicht komplett zeugungsfähig ist, dass diese ICSI-Technik selbst nicht der Auslöser zu sein scheint, sondern dass es eher so ist, dass die Tatsache nicht schwanger werden zu können, eine bestimmte Veranlagung beinhaltet, ein Kind zu zeugen, was einen solchen Fehler in der genetischen Prägung hat.

    Dieser Befund kommt nicht ganz überraschend. Derzeit mehren sich Hinweise, dass Männer wie Frauen mit verminderter Fruchtbarkeit Spermien oder Eizellen bilden, in denen sich genetische Defekte oder eben Imprinting-Fehler häufen. Sollte sich dies durch weitere Forschungen bestätigen, dann wäre es nur logisch, dass diese Menschen, wenn sie schließlich doch nach langem Warten oder mit medizinischer Hilfe Kinder bekommen, öfter genetische Schäden bei ihren Kindern erleben. Die weitaus meisten Gendefekte sind allerdings so schwer, dass die Kinder damit gar nicht leben können, sondern bei einer Fehlgeburt sterben. Rahi Vicotry von der Wayne State University in Detroit hat die diesbezüglichen Daten der WHI-Studie ausgewertet. Für diese Studie der amerikanischen Frauen-Gesundheitsinitiative waren 160.000 Frauen befragt worden unter anderem eben auch danach, wie schnell und mit welchen Mitteln sie schwanger geworden waren und ob sie Fehlgeburten erlebt haben.

    Die Daten zu den Fehlgeburten sind interessant, weil sie klar zeigen: Wer sich in eine IVF Behandlung begibt, hat ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko. Was wir aber auch zeigen konnten, ist, dass das nicht nur bei Frauen in IVF-Behandlung so ist. Auch die Frauen, die mehr als ein Jahr auf eine Schwangerschaft gewartet haben, trugen ein um 50 Prozent erhöhtes Fehlgeburtsrisiko.

    Auch dies deutet darauf hin, dass verminderte Fruchtbarkeit in vielen Fällen schlicht eine Schwierigkeit ist, intakte Eizellen oder Spermien zu bilden. Wegen des Angelmann-Syndroms sollten sich Eltern die nach langer Zeit endlich in guter Hoffnung sind, dennoch keine Sorgen machen. Denn selbst wenn das Risiko dafür stark erhöht ist, liegt die Wahrscheinlichkeit für diese Störung trotzdem nur bei einem von 5000 bis 10.000 Neugeborenen.