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Elternrat
Bildungsrepublik Deutschland bleibt Baustelle

Der Bundeselternrat sieht beim Thema "Bildungsrepublik Deutschland" mehr Baustellen als Erfolge. Besonders beim Übergang zwischen Schule und Ausbildung gebe es noch viel Handlungsbedarf, sagte der Sprecher des Bundeselternrats, Wolfgang Pabel, im Deutschlandfunk.

Wolfgang Pabel im Gespräch mit Michael Böddeker | 20.10.2015
    Unterricht an eine Schule in Berlin
    Der Bundeselternrat fordert mehr Mittel für die Schulsozialarbeit (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Michael Böddeker: Von der Bildungsrepublik Deutschland ist in diesen Tagen wieder öfter die Rede. Gestern wurde eine Studie darüber veröffentlicht, inwiefern die Ziele, die vor sieben Jahren für die Bildung festgelegt wurden, schon erreicht sind oder eben nicht. Die Bilanz des Bildungsforschers Klaus Klemm fiel gemischt aus.
    Heute wollen wir mal nachfragen, wie es aus Sicht der Eltern um die Bildungsrepublik steht. Wolfgang Pabel ist Pressesprecher des Bundeselternrats. Ihn habe ich nach einer Einschätzung gefragt: Sind wir denn inzwischen die Bildungsrepublik Deutschland?
    Wolfgang Pabel: Ich teile das Ergebnis der Studie von Professor Klemm: Wir sind auf dem Weg, aber wir sind noch nicht beim Ziel angelangt.
    Böddeker: Wo sind denn Ihrer Meinung nach noch die größten Baustellen? Was ist aus Sicht der Eltern besonders wichtig?
    Pabel: Wir haben uns dieses Jahr das Tagungsthema Bildungsrepublik Deutschland auf die Agenda gesetzt und haben einmal abgefragt, wie bei den wichtigen Baustellen, die wir Eltern sehen, wir vorangekommen sind. Das ist einmal gesunde Schule, das ist die Umsetzung der Inklusion, das ist der Übergang Schule/Beruf. Und wir sehen eigentlich in allen Bereichen noch großen Handlungsbedarf. Und der letzte, der wichtigste ist die Finanzierung des Bildungssystems.
    Böddeker: Haben Sie denn auch Ideen, wie man das Problem angehen kann? Zum Beispiel, Sie haben es angesprochen, den Übergang von der Schule zum Beruf oder in die weitere Ausbildung?
    Pabel: Unsere letzte Tagung hatte genau dies zum Thema. Es ging um Übergänge und nicht um Abschlüsse, sondern um Anschlüsse. Hier sehen wir noch größere Verbesserungsmöglichkeiten, gerade in der Zusammenarbeit von dem allgemeinbildenden und dem berufsbildenden Schulsystem, und dann den Übergang in den Beruf. Das sind oft Schnittstellen, die Brüche markieren in Lebensläufen von Kindern. Das finden wir nicht gut. Und darüber hinaus haben wir gerade im Übergang Schule/Beruf, bei der dualen Bildung und bei der universitären Ausbildung eine Abbruchquote von bis zu 30 Prozent. Ich denke, das zeigt den Handlungsbedarf.
    Böddeker: Da gibt es also eine hohe Abbruchquote. Es gibt zum anderen auch noch eine hohe Zahl von Schulabgängern, die nicht einmal den Hauptschulabschluss haben, das war ja auch ein Ziel damals beim Bildungsgipfel 2008, dass da die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss halbiert werden sollte. Die Zahl hat sich zwar etwas verringert, aber nicht so stark, wie man sich das damals gewünscht hat. Wie könnte man das vielleicht noch verbessern?
    Pabel: Auch das war eines der prägenden Themen unserer letzten Fachtagung. Wir hatten Herrn Seyfried aus Berlin, Schulpsychologe, und ich denke, das zeigt auch die mögliche Baustelle, wo man dran arbeiten kann. Wir haben sehr unterschiedliche Ergebnisse in den Bundesländern. Wir haben Bundesländer, die eine Schulabbruchquote von unter vier Prozent haben, wir haben aber auch Bundesländer, die an die zehn Prozent heranreichen. Das sind übrigens spannenderweise gerade die Bundesländer, die bei PISA besonders gut abschneiden. Also muss man sehen, haben wir hier auch ein strukturelles Problem. Der Übergang dieser Kinder in den Beruf, mit oder ohne Schulabschluss hängt von der Betreuung dieser Kinder ab, und da gibt es aus Sicht des Bundeselternrates die schulunterstützenden Systeme. Auch hier haben wir schon langjährige Forderungen, Bundesprogramm für Schulsozialarbeit, und, was eben auch dringend erforderlich ist, Ausbau der Schulpsychologie. Wir haben teilweise Bundesländer, wo auf 16.000 Schüler ein Schulpsychologe kommt.
    Böddeker: Gestern haben wir hier im Programm mit Matthias Anbuhl gesprochen vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Er hat angeregt, vielleicht doch eine Reformkommission Bildung zu gründen, in der dann Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten sollten. Können Sie sich mit so einer Idee anfreunden?
    Pabel: Mit so einer Idee kann ich mich sehr anfreunden. Wir sehen gerade im Bereich Bildung, wo die Dinge gut laufen. Das ist bei den verschiedenen Ebenen, also in der Zusammenarbeit der Ebene Kommune, Land und Bund. Schulsozialarbeit ist ein sehr gutes Thema. Wir haben es aber auch in anderen Bereichen wie Schulbegleitung, Schulpsychologie unter anderem auch. Da steht oft die Bundesgesetzgebung der Landesgesetzgebung im Wege, und letztendlich, wenn wir es runterbrechen auf die Kommunen, natürlich die Finanzversorgung der Kommunen. Wenn ich sehe, dass der Bund eine schwarze Null schreibt, ich dann aber gerade im kommunalen Bereich sehe, dass sehr viele Kommunen wirklich pleite sind, dann müssen wir uns fragen, ob das im Sinne von guter Bildung ist. Also, hier wird das Geld nicht wirklich gut verteilt.
    Böddeker: Zusammenfassend, was wären so Ihre größten Wünsche und Ihre Forderungen? Was würden Sie sich konkret wünschen, was sich tun soll, damit sich die Bildungsrepublik Deutschland vielleicht irgendwann einstellt?
    Pabel: Ich kann eine Entwicklung immer nur beschreiben, wenn ich eine gute Datenlage habe. Und ich möchte es einmal auf den Bereich Inklusion beziehen: Wir können nur Dinge wirklich verändern, wenn wir sehen, wo Baustellen sind. Das können wir nur, wenn wir übergeordnet gucken. Und ich denke, unser direkter Ansprechpartner des Bundeselternrates ist unter anderem ja auch die Kultusministerkonferenz. Ich denke auch hier, in die Tat zu gehen und zu sagen, wir schaffen Datenlagen, wo wir sehen können, wo sind wir in welchen Ländern und in welchen Regionen wie weit entwickelt, und das bitte auch nachhaltig, das heißt jedes Jahr, um Entwicklungen beschreiben zu können. Auf dieser Grundlage kann man, glaube ich, Maßnahmen ergreifen. Mein Gefühl ist oft, dass wir gerade im Bereich Bildung in einem sehr nebulösen Raum agieren, wo man eigentlich immer nicht wirklich weiß, worüber man redet, oder es vielleicht auch nicht wissen soll. Und gerade aus Elternsicht ist es wichtig, Grundlagen zu haben, wonach man beurteilen kann. Und ich glaube, da wäre die Politik und auch die Verwaltung nicht nur in der Pflicht. Sie würde sich auch einen Gefallen tun, da offen und transparent mit Daten umzugehen.
    Böddeker: Sagt Wolfgang Pabel vom Bundeselternrat. Es gebe noch viel Handlungsbedarf, zum Beispiel besonders beim Übergang zwischen Schule und Ausbildung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.