Jessica Sturmberg: Eltern, die ihre Kinder in der Kita haben, müssen - je nachdem, in welcher Stadt ihre Kinder in die Kita gehen - ziemlich viel Geld für den jeweiligen Platz bezahlen oder manchmal auch gar nichts. Zum Beispiel in Düsseldorf, da erhebt die Stadt gar keine Gebühr, in Köln dagegen je nach Gehaltsklasse an die 400 Euro pro Monat - und dazu kommen noch die Zusatzbeiträge, die die Kitas außerdem noch verlangen, das können auch noch mal gut und gerne zwischen 50 und 250 Euro sein. Die Bertelsmann Stiftung hat heute eine Studie dazu veröffentlicht, Sie haben es bei uns im Programm auch schon hören können. Demnach werden einkommensarme Familien bei Kita-Beiträgen überproportional stark belastet, obwohl die Gebühren vielerorts nach Einkommen gestaffelt sind. Im Schnitt müssen Eltern in Schleswig-Holstein am meisten zahlen, fast neun Prozent ihres Nettoeinkommens. Darüber habe ich vor der Sendung mit Axel Briege gesprochen, er ist Landeselternvertreter in Schleswig-Holstein, von Beruf Bauingenieur, hat drei Kinder, zwei, vier und sechs Jahre alt. Und meine erste Frage an ihn, woran liegt es aus seiner Sicht, dass Schleswig-Holstein so besonders schlecht abschneidet?
Axel Briege: Grundsätzlich ist Schleswig-Holstein natürlich erst mal kein reiches Land. Das heißt, das Geld muss schon immer genau angesehen werden, bevor es ausgegeben wird. Das hat sich leicht relativiert in den letzten zwei Jahren, aber in den Gedanken der Menschen ist in Schleswig-Holstein die Kita im Moment immer noch eine kostenverursachende Veranstaltung, auch für Eltern, die mit dem Geländewagen ihre Kinder in den Kindergarten bringen und anschließend reiten gehen. Und da sagen die: Die Leute, die doppelt verdienen, die können auch gerne ihren Beitrag dazu beitragen. Die verlieren aus den Augen, dass dieses natürlich alle trifft, und die Reicheren weniger als die Armen.
"Viel, viel höherer Mehrwert für unsere Gesellschaft"
Sturmberg: Also Ihrer Ansicht nach ist das vor allem ein Problem der Wahrnehmung? Also dass Kita nicht so sehr als Bildungseinrichtung angesehen wird, sondern eher so als Betreuungseinrichtung für die Eltern, die dann die Zeit in irgendeiner Weise nutzen können, ob zur Arbeit oder eben anderweitig?
Briege: Ganz genau. Es ist in erster Linie ein Problem der Wahrnehmung und es ist ein Problem des gesellschaftlichen Denkens. Kita wird tatsächlich landesweit in erster Linie als Betreuung für die Kinder wahrgenommen. Die Eltern geben ihre Kinder dorthin, um sie betreuen zu lassen, damit sie unter Aufsicht sind, während sie arbeiten gehen. In Wahrheit bildet Kita und die Arbeit, die die Erzieherinnen und Erzieher oder die pädagogischen Fachkräfte dort leisten, natürlich viel, viel mehr ab. Und es ist auch ein viel, viel höherer Mehrwert für unsere Gesellschaft, der in dieser Kita stattfindet. Das wird aber bei den Leuten, die, ich sag mal, nicht an entscheidender Stelle sitzen, aber die eventuell schon in einem etwas gehobeneren Alter sind und ihre Kinder früher in einem anderen Kindergarten hatten, in einem anderen Konzept hatten, nicht wahrgenommen und nicht gesehen, jedenfalls nicht in dem Maße. Auf der normalen kommunalen Ebene ist Kita in erster Linie ein Kostenfaktor. Es gibt einige wenige Vorreiterkommunen, die progressiv vorangehen und wirklich qualitativ hochwertige Kitas bauen. Ich möchte aber noch mal korrigieren, es sind nicht einige wenige, es sind doch schon einige. Aber das muss sich noch weiter durchsetzen.
Bestmögliche Startchancen für die Zukunft
Sturmberg: Was bedeutet das denn eigentlich für Familien, also wenn wir noch mal auf die Einkommensunterschiede zu sprechen kommen. Sie sind ja wahrscheinlich bereit, durchaus so einen Beitrag zu leisten, auch so einen Kita-Beitrag zu leisten, wenn sie wissen, dass dabei am Ende etwas Gutes rauskommt. Und möglicherweise sind sie auch in der Lage, das zu finanzieren. Aber es gibt ja sicherlich auch Menschen, die gar nicht so richtig die Wahl haben.
Briege: Nein, es gibt Menschen, die haben nicht die Wahl. Die haben schlicht und ergreifend die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die können entweder den Kita-Beitrag bezahlen und arm bleiben oder sie können den Kita-Beitrag nicht bezahlen und noch ärmer bleiben, weil sie dann nicht arbeiten gehen können. Das ist so. Die Beantwortung ist eindeutig: Natürlich würden die Eltern das bezahlen, Eltern geben ihr letztes Hemd für ihre Kinder, das ist nun mal naturgemäß so in unseren Genen festgelegt. Und das ist auch unsere letztendliche Aufgabe; aber eben nicht nur als Eltern, sondern als Gesamtgesellschaft ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Zukunft, die Gesellschaft unserer Zukunft die bestmöglichen Startchancen hat. Und da erscheint es mir doch deutlich ungerecht, ausgerechnet den Eltern, die ohnehin schon pro Kind, das sagt man immer bummelig, ein Einfamilienhaus bezahlen dürfen, dann auch noch über die Kitagebühren eine Zusatzsteuer aufzuerlegen. Das ist im Vergleich zur Schule überhaupt nicht nachvollziehbar.
Gespräche mit systemrelevanten Partnern
Sturmberg: Was unternehmen Sie denn als Landeselternvertreter dagegen?
Briege: Was wir dagegen tun können, ist einfach erst mal das, was eigentlich immer schnell gerufen wird: Man fängt an zu protestieren, wenn wieder irgendwo eine Gebührenerhöhung stattfindet, man fängt an, sich zu beschweren, man geht dann auch mal in Gemeindevertretersitzungen. Das sind aber meistens immer nur Strohfeuer. Es funktioniert hier und da, mal ganz gut, mal weniger gut. In dem Moment, wo es weniger gut funktioniert, ist es ein riesiges Gewächshaus für Protestwähler, weil die Eltern aus den Gemeindevertretersitzungen rauskommen und sagen, die machen doch sowieso, was sie wollen, und extrem frustriert sind. Was wir als Landeselternvertretung jetzt im Moment gerade auf den Weg bringen, ist, denke ich, ein neuer Ansatz. Wir versuchen uns dauerhaft im Gespräch zu halten mit den sogenannten systemrelevanten Partnern, denn das sind sie, es sind die Partner der Eltern bei der Erziehung der Kinder.
DIW-Studie: "Renditen der Bildung"
Sturmberg: Das klingt sehr arbeitsintensiv, das ist ja nicht Ihr Hauptjob.
Briege: Das ist sehr arbeitsintensiv, ich tue das aber gerne. Meine Frau unterstützt das stark. Wir sind beide Vollzeit berufstätig. Es ist schon so, dass man manchmal die Abende damit verbringt oder die Nächte, E-Mails zu beantworten, Pressemitteilungen zu schreiben, oder auch jetzt in den Kitaverhandlungen die entsprechenden Papiere für die Gesetzgebungsverhandlungen zu lesen, vorzubereiten, zu durchdenken. Es gibt eine Studie - Renditen der Bildung - aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Die sprechen davon, dass jeder Euro, der in Kitas investiert, sich mit 13 Prozent verzinst, volkswirtschaftlich. Man kann wirklich nur sagen, wenn die Politik das nicht erkennt, dass diese 13 Prozent Verzinsung ein gut angelegtes Geld ist, und in diesem Bereich spart, dann ist das volkswirtschaftlich schädigend, so kann man das wunderbar formulieren.
Rechtzeitige und vernünftige Bedarfsplanung
Sturmberg: Wenn Sie jetzt konkret was bewegen könnten, was würden Sie ändern?
Briege: Dass sich sofort jemand um die Ausbildung und die Besserstellung der Fachkräfte kümmert. Dann würde ich ändern, dass es eine vernünftige Bedarfsplanung gibt, die auch hundertprozentig funktioniert, indem ich in den Kreißsälen quasi oder nach der Geburt direkt die Eltern frage, wo brauchen sie wann welchen Kitaplatz. Damit die Kommunen das planen können, damit endlich, endlich, endlich flächendeckend das Grundrecht auf einen Kitaplatz für alle Kinder gewährt wird. Oder nicht auf einen Kitaplatz, sondern auf eine frühkindliche Bildung, weil das ist in unserem Land, nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch bundesweit, immer noch das Problem. Es gibt nicht für alle etwas.
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