Archiv


Emails für die Ewigkeit

George Bush, Tony Blair, Jacques Chirac oder Gerhard Schröder - sie alle haben eine Emailadresse. Ob sie allerdings selbst an der grauen Kiste sitzen und die elektronische Post bearbeiten - nun das ist nicht von allen Staatsleuten überliefert. Doch immer mehr wichtige Dokumente werden in den Regierungen und auf dem diplomatischen Parkett per Mail ausgetauscht. Deshalb beginnt die britische Staatsbibliothek mit dem Sammeln der Computerbotschaften.

Von Tobias Armbrüster |
    Ein klimatisierter Seitentrakt in der British Library. Nur wenige Angestellte haben hier Zutritt. Es ist der Arbeitsplatz von Doktor Jeremy John, dem vermutlich ersten Digital-Archivar der Welt. Jeremy John hält einen Lockartenstreifen aus den 60er Jahren in der Hand, darauf ist ein altes Computerprogramm gespeichert. In der British Library hat man ein Archiv für solche so genannten Digitalen Manuskripte für längst überfällig gehalten. Die Bibliothek, eine der größten der Welt, lagert seit 200 Jahren Briefe und Manuskripte von Leuten wie Leonardo Da Vinci, Charles Darwin und Goethe.

    Wir sammeln Emails und andere Computer-Dokumente aus dem gleichen Grund, aus dem wir auch alte Briefe und Manuskripte auf Papier sammeln. Wir wollen einfach festhalten, wie Leute arbeiten und wie sie bestimmte Ideen entwickeln – von den ersten Notizen bis zur Endfassung. Solche Manuskripte werden heute immer seltener auf Papier geschrieben oder gedruckt, sie bleiben oft auf der Festplatte des Computers und sie werden von dort hin- und hergeschickt. Selbst wenn sie ein fertiges Buch-Manuskript zu Ihrem Verleger schicken, machen sie das heute als Email-Anhang.

    Jeremy John ist Biologe und schon seit mehreren Jahren zuständig für alte Papyrus-Rollen und Jahrhunderte alte Bücher. Er will in dem neuen Archiv vor allem Emails und Computer-Notizen von berühmten Autoren, Politikern und Wissenschaftlern sammeln. Namen nennt er nicht, denn wer die Korrespondenz anderer Leute erwerben will, der müsse darüber schweigen, sagt er. Aber in britischen Zeitungen heißt es, die British Library habe vor allem Leute wie die Harry-Potter-Autorin JK Rowling oder den Physiker Stephen Hawking im Blick. Die sollen dazu bewegt werden, ihre Digital-Korrespondenz nach ihrem Tod dem Archiv zu vermachen. Gerade Emails, sagt Jeremy John, seien interessant.

    Emails sind faszinierend, weil sie eine Mischung darstellen aus Brief und Telefon-Gespräch. Aber Emails enthalten außerdem ganz neue Formen der Informationen, Reise-Videos zum Beispiel oder Ton-Aufnahmen. Für kommende Generationen können diese Informationen sehr interessant sein. So wie wir heute Jahrhunderte alte Briefe auswerten, um darin Informationen über Erdbeben oder Kometen zu finden, so können auch unsere Emails später aufschlussreicher sein, als wir heute ahnen.

    Allerdings bringt das Archivieren von Emails und auf Festplatten gespeicherten Manuskripten einige Probleme mit sich. Denn Emails werden nur selten gespeichert, vor allem wenn es um persönliche Informationen geht, werden sie meist innerhalb weniger Monate gelöscht, auch um Platz auf dem Computer zu schaffen.

    Es ist natürlich nur schwer abzuschätzen, aber da hatten wir sicher in den ersten Jahren des Internets schon einen schweren Verlust an Informationen. Andererseits ist dieser Verlust natürlich nichts Neues, die Leute haben schon immer Notizen und Liebesbriefe in den Papierkorb geworfen. Mir wäre es natürlich lieb, wenn die Leute weniger wegwerfen würden. Leute, die für unser Archiv interessant sind, können sicher sein, dass wir persönliche Informationen unter Verschluss halten. Wir wollen lediglich Geschichte festhalten, und darin haben wir eine lange Tradition.

    Ein weiteres Problem für das Digital-Archiv ist die Vergänglichkeit der Hardware, denn Computer altern schnell. Unter den ersten Nachlässen, die Jeremy John erworben hat, sind beispielsweise Magnetkarten aus den 60er Jahren, für die es heute kaum noch Lesegeräte gibt. Jeremy John speichert deshalb in seinem Archiv sämtliche Emails und andere Digital-Manuskripte auf einer zeitgemäßen Festplatte ab, außerdem zur Sicherheit auf einem Magnetband. Und um die kommenden Generationen von Archivaren nicht vor ähnliche technische Probleme zu stellen, soll das Abspeichern spätestens alle fünf Jahre wiederholt werden.