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Emanzipation durch Kunst

In Istanbul gibt es ein neues Kunsthaus mit dem Namen Arter - das bedeutet auf Türkisch Arterie. Die neue Institution soll eine Pulsader für zeitgenössische Kunst in Istanbul werden. Auf drei Etagen werden 160 Arbeiten von Künstlern aus aller Welt gezeigt.

Von Sabine Küper-Büsch | 24.08.2010
    Als Bodenbelag wäre der Teppich eine Scheußlichkeit. Synthetikfasern in strahlend stechendem Acrylblau. Als gemäldegroßes Rechteck an der Wand erinnert er an das Meer. Minimalistische Zeichnungen über dem Rechteck ermuntern mit den Händen kreisförmig über das Teppichstück zu streichen. Strandszenenkomposition nennt der türkische Künstler Cevdet Erek diese Arbeit:

    "Die Komposition entstand zufällig. Ich massierte an einem Wintertag einem Freund den Rücken. Er hatte einen dicken Wollpullover an. Ich merkte, dass die Handbewegungen auf der Wolle einen an Meeresrauschen erinnernden Sound erzeugten. Dann habe ich das auf unterschiedlichen Materialien ausprobiert. Auf Tischen etwa. Auf einer Ausstellung gab es einen Teppichtisch, der als Bühnenteil benutzt wurde. Und ich merkte, das klingt am besten."

    Cevdet Erek ist mit 36 einer der jüngsten Künstler in der ersten Austellung des neuen Istanbuler Kunsthauses Arter. Auf drei Etagen werden 160 Arbeiten von Künstlern aus aller Welt gezeigt. Das entspricht dem Konzept türkische Kunst in einen internationalen Kontext zu stellen und selbstbewusst zu präsentieren. Cevdet Erek ist im Fluxus-Teil angesiedelt, auf einer Ebene mit Kunstikonen wie Nam June Paik, Joseph Beuys und Rebekka Horn:
    "Kunst wird immer wichtiger in der Türkei. Als ich Anfang der 90er auf der Kunstakademie Mimar Sinan studierte, begann die Istanbuler Kunst-Biennale spannend zu werden. Es kamen Besucher und Künstler aus dem Ausland. Das hat uns angeregt. Die Auswirkungen des Militärputsches von 1980 wurden schwächer, aber bis heute setzen wir uns noch damit auseinander, allerdings immer vielfältiger."

    Gast-Kurator Rene Block nennt die Ausstellung "Starter". Sein Konzept funktioniert. Der Besucher geht durch Stationen sowohl der zentralen internationalen als auch türkischen zeitgenössischen Kunst und begreift: ein gemeinsamer Kontext hat immer bestanden. Auch in den 70er-Jahren gab es in der Türkei bereits Künstler, die sich der angesagten sozialistisch realistisch anmutenden Malerei im Land verweigerten. Cengiz Çekil, Jahrgang 1945, gehört dazu. Er schuf eine Serie mit dem Titel Abdeckungen. Ausschnitte der damals zentralen Boulvardzeitung Günaydin wurden auf braunen Karton geklebt und die Textteile mit Karton abgedeckt. Nur die bunten, teilweise nachcolorierten Fotos formen ein neues Bild. Man sieht einen nachcolorierten türkischen Marinekommandant neben John Wayne und Grace Kelly, einen bettelarmen Straßenverkäufer neben Sternchen des türkischen Kinos. Eindrucksvoll und billig in der Produktion wie Cengiz Çekil unterstreicht:
    "Wenn man den Text der Zeitung abdeckt reißt man die Bilder aus dem von der Redaktion intendierten Zusammenhang. Es hieß damals, die Macht der Medien zu hinterfragen. Es herrschte Terror im Land und sie verherrlichten Militärmacht und billige Unterhaltung."

    Arter bedeutet auf Türkisch Arterie. Der neue Ort soll eine Pulsader für zeitgenössische Kunst in Istanbul werden. Er liegt auf dem zentralen Istanbul Boulvard, Zentrum für Kunst, Kommerz und Kneipenkultur im hippen Szeneviertel Beyoğlu. Braucht Istanbul ein solches Ventil noch? Es gibt ja bereits das Istanbul Modern, das Museum für zeitgenössische Kunst. Dort präsentiert der Konzern Eczacıbaşı seine Sammlung. Platform ist ein Kunstforum für zeitgenössiche Kunst der Garanti Bank. Arters Bestand ist aus der Sammlung des Industriekonnzerns Koç. Kunst für die Reichen? Keinesfalls findet Cengiz Çekil:

    "Wenn sie sich allein dieses Gebäude mitten auf dem Istıklal-Boulvard anschauen. Beste Lage. Und diese Leute stellen es der Kunstszene zur Verfügung. Das ist toll für uns. Und sehr wichtig. Neben der steigenden Wirtschaftskraft in der Türkei wächst ein Bewusstsein für Kunst als Ausdrucksmittel. Jeder Ort, und dieser ist wirklich gut gemacht, ist für uns eine wichtige Bereicherung."