In Nord- und Südamerika ist die Diskussion um das Verhältnis der unterschiedlichen Ethnien in eine neue Runde gegangen. Vergessen ist das Ideal des "Melting Pot", in dem die verschiedenen Bevölkerungsgruppen miteinander verschmelzen sollten. Es wurde abgelöst durch die Besinnung auf die jeweils eigene - also schwarze, weiße oder indianische - Identität.
Ein Zufall ist das nicht. Identität, so Olaf Kaltmeier, einer der Leiter der Bielefelder Forschungsgruppe, ist auch ein politisches Instrument. Er und seine Kollegen untersuchen einen Identitätsbegriff, ...
" ... der davon ausgeht, [dass] Identität gerade strategisch eingesetzt werden kann als Kapital, als identitätspolitisches Kapital, um letztendlich ökonomische, politische oder auch in anderen gesellschaftlichen Feldern Zwecke zu erzielen. Wobei wir jetzt entgegen einer reinen zweckrationalen Ausrichtung durchaus davon ausgehen, dass Identität natürlich etwas mit Verkörperung zu tun hat. Gerade in Amerika ist die Frage der postkolonialen Vergangenheit nach der Conquista zentral, sodass man sicherlich nicht Identität auch von Körperlichkeit trennen kann."
Körperlichkeit heißt zuallererst: Hautfarbe. Das zeigt sich etwa in dem größten lateinamerikanischen Land, in Brasilien. Dort, so der derzeit in Washington lehrende Philosoph Amós Nascimento, haben sich die Nachkommen der aus einst Afrika importierten Sklaven erst vor Kurzem dazu entschlossen, sich zu ihrer Herkunft zu bekennen. Das fiel ihnen lange Zeit aus guten Gründen schwer.
"Die afrikanische Abstammung ist sozial konstruiert. Die Bürger können selbst entscheiden, inwieweit sie sie für sich beanspruchen. Wenn jemand von sich behauptet, er sei schwarz, wird das akzeptiert. Untersuchungen haben aber Folgendes ergeben: Wenn man jemanden, dessen Hautfarbe und Gesichtszüge auf eine afrikanische Herkunft schließen lassen, fragt, als was er sich fühlt, lautet die Antwort oft: als Weißer. Das hat mit der in Brasilien geläufigen Tendenz zu tun, der zufolge diejenigen, die eine hellere Hautfarbe haben als andere, auch ein höheres Ansehen haben. Dabei gibt es sehr viele Nuancierungen und Abstufungen. Seitdem es aber eine Politik der Wertschätzung der Schwarzen gibt, bekennen sich immer mehr Menschen zu ihrer afrikanischen Herkunft."
Beispiele wie dieses zeigen, wie tief die Wunden der Kolonialzeit immer noch sind, wie sehr die Schwarzen selbst das angebliche Ideal der weißen Hautfarbe verinnerlicht haben. Genau dieses Phänomen greifen die sogenannten postkolonialistischen Bewegungen auf, deren Arbeit vor allem auf eines gerichtet ist: die immer noch vorherrschenden Ideale aus der Zeit der weißen Vorherrschaft zu hinterfragen - und nicht nur zu hinterfragen, sondern umzudeuten und zu brechen. Wie schwierig das in den Vereinigten Staaten immer noch ist, erläutert die Politologin Sharrow Pinder.
"Die alten Strukturen sind weiter in Kraft, und auch ein schwarzer Präsident überwindet den Rassismus und die strukturellen Ungleichheiten nicht. Man kann nicht sagen, dass die Frage der Rasse in den Vereinigten Staaten keine Rolle spielen würde, dass wir in dieser Hinsicht alle farbenblind wären. Wir müssen über rassistisch begründete Ungleichheit sprechen, denn wenn wir das nicht tun, setzt sich die Ungleichheit nicht nur fort, sondern es erscheint auch ganz natürlich, dass sie entlang ethnischer Grenzen verläuft. Und das hieße dann, man könnte an ihr nichts ändern, so als wäre sie selbstverständlich gegeben und darum unveränderlich."
Aus dieser Perspektive gilt also: Man muss sich kenntlich machen, Zeichen setzen - und zwar solche Zeichen, die zu den bisherigen auf deutliche Distanz gehen. Denn Zeichen stehen für eine soziale Ordnung. Und wer diese ändern will, muss neue Symbole finden, hinter denen sich all jene versammeln, die für eine neue Ordnung eintreten wollen.
Im 20. Jahrhundert verliefen diese Symbole entlang der Linie Rechts-Links, Kapitalismus-Kommunismus: hier der zum Millionär aufgestiegene Tellerwäscher, dort der seine Faust reckende Arbeiter. Heute, erläutert die in Sant Luiz lehrende Kulturwissenschaftlerin Mabel Moraña, haben sich diese Symbole geändert; statt politischer markieren sie ethnische Zugehörigkeit. Auf ihrer Grundlage lassen sich dann auch politische Ansprüche artikulieren.
"Das sind visuelle Symbole, in denen sich ein bestimmter Sinn, ein bestimmtes Anliegen konzentriert, in denen sich viele Menschen wiedererkennen. So ist zum Beispiel das Koka-Blatt ein Symbol, das in der Andenregion sehr viele Bürger kennen, und zwar ganz unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen. Dasselbe gilt in Brasilien etwa für gewisse afrikanischstämmige Tänze. Diese Symbole drücken das Identitätsgefühl breiter Bevölkerungsschichten aus. Sie dienen dazu, Brücken zu schlagen. Sie verweisen auf die populären Mythen, die sich auf ihrer Grundlage artikulieren."
Eine verstärkte Besinnung auf ethnische Symbole kann man immer als ein Hinweis auf ungelöste Konflikte oder unbewältigte Herausforderungen sehen. Ihr Gebrauch erfolgt selten spontan. Ebenso wenig ist es Ausdruck uralter, ungebrochener Traditionen. Im Gegenteil: Ethnische Identitätspolitik, erläutert Olaf Kaltmeier, entsteht in Krisenzeiten. In Bolivien hat ausgerechnet die Weltbank einen neuen Schub der Ethnisierung angestoßen. Der verselbstständigte sich dann und nahm eine ganz andere Richtung, als von den Finanztechnikern erwartet.
"Also wir haben in Bolivien im Moment einen Prozess, wo es eine starke internationale Politik gab über die Weltbank, die versucht hat, bestimmte ethnische Gruppen zu definieren, und letztendlich Multikulturalismus im Rahmen der Dezentralisierung des Staates so eingesetzt hat, dass es darum ging, dass ethnische Gruppen, ein bestimmtes ethnisches Volk, eine Dorfgemeinschaft sich im Prinzip selber regiert, selber Entwicklungsprogramme verwaltet und quasi sich selbst regiert. Insofern hat es hier eine Veränderung im Mutikulturalismus in Bolivien gegeben, als es darauf eine starke Reaktion gab, starke Protestbewegungen, die letztendlich sich aus dieser Ethnisierung, die über die Programme betrieben wurden, noch mal selber die Ethnisierung aufgenommen haben, eigene Bewegungen gegründet haben - bis hin zu politischen Parteien, die sehr stark aber auf diesen ethnischen Diskurs gesetzt haben."
Was man für den politischen Islam beobachten kann, gilt unter anderen Vorzeichen auch für die neuen ethnischen Bewegungen in Nord- und Südamerika: Sie sind alles andere als traditionelle Bewegungen. Vielmehr sollen die alten Symbole eine neue Schlagkraft entfalten, die dabei hilft, politische Ziele zu verwirklichen. Gut möglich, dass es darüber auch zu einem umgekehrten Rassismus kommt, der Abgrenzung der Farbigen gegen die Weißen. Solche neuen Formen der Apartheid werden wohl so lange bestehen, wie das republikanische Ideal, die Integration aller Bürger, noch nicht Wirklichkeit geworden ist.
Ein Zufall ist das nicht. Identität, so Olaf Kaltmeier, einer der Leiter der Bielefelder Forschungsgruppe, ist auch ein politisches Instrument. Er und seine Kollegen untersuchen einen Identitätsbegriff, ...
" ... der davon ausgeht, [dass] Identität gerade strategisch eingesetzt werden kann als Kapital, als identitätspolitisches Kapital, um letztendlich ökonomische, politische oder auch in anderen gesellschaftlichen Feldern Zwecke zu erzielen. Wobei wir jetzt entgegen einer reinen zweckrationalen Ausrichtung durchaus davon ausgehen, dass Identität natürlich etwas mit Verkörperung zu tun hat. Gerade in Amerika ist die Frage der postkolonialen Vergangenheit nach der Conquista zentral, sodass man sicherlich nicht Identität auch von Körperlichkeit trennen kann."
Körperlichkeit heißt zuallererst: Hautfarbe. Das zeigt sich etwa in dem größten lateinamerikanischen Land, in Brasilien. Dort, so der derzeit in Washington lehrende Philosoph Amós Nascimento, haben sich die Nachkommen der aus einst Afrika importierten Sklaven erst vor Kurzem dazu entschlossen, sich zu ihrer Herkunft zu bekennen. Das fiel ihnen lange Zeit aus guten Gründen schwer.
"Die afrikanische Abstammung ist sozial konstruiert. Die Bürger können selbst entscheiden, inwieweit sie sie für sich beanspruchen. Wenn jemand von sich behauptet, er sei schwarz, wird das akzeptiert. Untersuchungen haben aber Folgendes ergeben: Wenn man jemanden, dessen Hautfarbe und Gesichtszüge auf eine afrikanische Herkunft schließen lassen, fragt, als was er sich fühlt, lautet die Antwort oft: als Weißer. Das hat mit der in Brasilien geläufigen Tendenz zu tun, der zufolge diejenigen, die eine hellere Hautfarbe haben als andere, auch ein höheres Ansehen haben. Dabei gibt es sehr viele Nuancierungen und Abstufungen. Seitdem es aber eine Politik der Wertschätzung der Schwarzen gibt, bekennen sich immer mehr Menschen zu ihrer afrikanischen Herkunft."
Beispiele wie dieses zeigen, wie tief die Wunden der Kolonialzeit immer noch sind, wie sehr die Schwarzen selbst das angebliche Ideal der weißen Hautfarbe verinnerlicht haben. Genau dieses Phänomen greifen die sogenannten postkolonialistischen Bewegungen auf, deren Arbeit vor allem auf eines gerichtet ist: die immer noch vorherrschenden Ideale aus der Zeit der weißen Vorherrschaft zu hinterfragen - und nicht nur zu hinterfragen, sondern umzudeuten und zu brechen. Wie schwierig das in den Vereinigten Staaten immer noch ist, erläutert die Politologin Sharrow Pinder.
"Die alten Strukturen sind weiter in Kraft, und auch ein schwarzer Präsident überwindet den Rassismus und die strukturellen Ungleichheiten nicht. Man kann nicht sagen, dass die Frage der Rasse in den Vereinigten Staaten keine Rolle spielen würde, dass wir in dieser Hinsicht alle farbenblind wären. Wir müssen über rassistisch begründete Ungleichheit sprechen, denn wenn wir das nicht tun, setzt sich die Ungleichheit nicht nur fort, sondern es erscheint auch ganz natürlich, dass sie entlang ethnischer Grenzen verläuft. Und das hieße dann, man könnte an ihr nichts ändern, so als wäre sie selbstverständlich gegeben und darum unveränderlich."
Aus dieser Perspektive gilt also: Man muss sich kenntlich machen, Zeichen setzen - und zwar solche Zeichen, die zu den bisherigen auf deutliche Distanz gehen. Denn Zeichen stehen für eine soziale Ordnung. Und wer diese ändern will, muss neue Symbole finden, hinter denen sich all jene versammeln, die für eine neue Ordnung eintreten wollen.
Im 20. Jahrhundert verliefen diese Symbole entlang der Linie Rechts-Links, Kapitalismus-Kommunismus: hier der zum Millionär aufgestiegene Tellerwäscher, dort der seine Faust reckende Arbeiter. Heute, erläutert die in Sant Luiz lehrende Kulturwissenschaftlerin Mabel Moraña, haben sich diese Symbole geändert; statt politischer markieren sie ethnische Zugehörigkeit. Auf ihrer Grundlage lassen sich dann auch politische Ansprüche artikulieren.
"Das sind visuelle Symbole, in denen sich ein bestimmter Sinn, ein bestimmtes Anliegen konzentriert, in denen sich viele Menschen wiedererkennen. So ist zum Beispiel das Koka-Blatt ein Symbol, das in der Andenregion sehr viele Bürger kennen, und zwar ganz unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen. Dasselbe gilt in Brasilien etwa für gewisse afrikanischstämmige Tänze. Diese Symbole drücken das Identitätsgefühl breiter Bevölkerungsschichten aus. Sie dienen dazu, Brücken zu schlagen. Sie verweisen auf die populären Mythen, die sich auf ihrer Grundlage artikulieren."
Eine verstärkte Besinnung auf ethnische Symbole kann man immer als ein Hinweis auf ungelöste Konflikte oder unbewältigte Herausforderungen sehen. Ihr Gebrauch erfolgt selten spontan. Ebenso wenig ist es Ausdruck uralter, ungebrochener Traditionen. Im Gegenteil: Ethnische Identitätspolitik, erläutert Olaf Kaltmeier, entsteht in Krisenzeiten. In Bolivien hat ausgerechnet die Weltbank einen neuen Schub der Ethnisierung angestoßen. Der verselbstständigte sich dann und nahm eine ganz andere Richtung, als von den Finanztechnikern erwartet.
"Also wir haben in Bolivien im Moment einen Prozess, wo es eine starke internationale Politik gab über die Weltbank, die versucht hat, bestimmte ethnische Gruppen zu definieren, und letztendlich Multikulturalismus im Rahmen der Dezentralisierung des Staates so eingesetzt hat, dass es darum ging, dass ethnische Gruppen, ein bestimmtes ethnisches Volk, eine Dorfgemeinschaft sich im Prinzip selber regiert, selber Entwicklungsprogramme verwaltet und quasi sich selbst regiert. Insofern hat es hier eine Veränderung im Mutikulturalismus in Bolivien gegeben, als es darauf eine starke Reaktion gab, starke Protestbewegungen, die letztendlich sich aus dieser Ethnisierung, die über die Programme betrieben wurden, noch mal selber die Ethnisierung aufgenommen haben, eigene Bewegungen gegründet haben - bis hin zu politischen Parteien, die sehr stark aber auf diesen ethnischen Diskurs gesetzt haben."
Was man für den politischen Islam beobachten kann, gilt unter anderen Vorzeichen auch für die neuen ethnischen Bewegungen in Nord- und Südamerika: Sie sind alles andere als traditionelle Bewegungen. Vielmehr sollen die alten Symbole eine neue Schlagkraft entfalten, die dabei hilft, politische Ziele zu verwirklichen. Gut möglich, dass es darüber auch zu einem umgekehrten Rassismus kommt, der Abgrenzung der Farbigen gegen die Weißen. Solche neuen Formen der Apartheid werden wohl so lange bestehen, wie das republikanische Ideal, die Integration aller Bürger, noch nicht Wirklichkeit geworden ist.