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Embryonale Stammzellen als Versuchskaninchen

Medizin. - Embryonale Stammzellen gelten als Rohstoff für die Medizin von morgen. Sie können zu verschiedenen Körpergeweben heranreifen und kranke Zellen ersetzen. Aber bevor sie an Patienten ausprobiert werden können, sollen die Stammzellen nun selbst zu Versuchskaninchen werden. An kranken Stammzellen wollen Mediziner verschiedene Erkrankungen des Menschen erforschen. Für die Herstellung dieser Zellen soll auch die umstrittene Klontechnik zum Einsatz kommen. Über entsprechende Pläne diskutierten Wissenschaftler auf einer Stammzellen-Tagung in London.

Von Michael Lange |
    Mäuse, Ratten oder Taufliegen. Tiere unterscheiden sich erheblich vom Menschen - auch, was ihre Krankheiten angeht. Tiere als Modellsysteme für Krankheiten des Menschen, wie sie heute in vielen Labors verwendet werden, sind deshalb immer nur eine Notlösung. Krankheitsmechanismen oder neue Wirkstoffe direkt am Menschen zu erforschen, verbietet sich von selbst.

    Viele Forscher an Universitäten und in der Pharma-Industrie wünschen sich deshalb menschliche Zellkulturen als Versuchskaninchen, die im Labor Krankheiten nachspielen - zumindest die molekularen Vorgänge.

    Menschliche, embryonale Stammzellen gelten dafür als ideale Kandidaten. Sie vermehren sich im Labor immer weiter, und sie können mit etwas Nachhilfe verschiedene Körpergewebe des Menschen nachbilden.
    " Es geht um viele Krankheiten, wie die Nervenkrankheit ALS, Schizophrenie oder bestimmte Herzkrankheiten, bei denen nicht nur ein einziges Gen die Krankheit auslöst, oder bei denen die genetische Ursache unbekannt ist."

    Ian Wilmut von der Universität von Edinburgh. Bekannt geworden ist er durch das Klonschaf Dolly. Wie groß seine Rolle bei der Entwicklung der Klontechnik wirklich war, wird zur Zeit vor schottischen Gerichten untersucht.

    Dazu will sich Ian Wilmut nicht äußern. Wohl aber zu seinen aktuellen Forschungen. Seit drei Jahren versucht er Stammzellen von ALS Patienten herzustellen. ALS steht für Amyotrophe-Lateralsklerose, die Krankheit, unter der der bekannte Physiker Stephen Hawking leidet.

    " Das funktioniert so: Sie nehmen die Zellen einer an ALS erkrankten Person. Die Zellkerne verpflanzen Sie in Eizellen ohne eigenes Erbgut. Sie klonen also einen kranken Embryo und züchten daraus Stammzellen. Daraus wollen wir dann Nervenzellen züchten. Durch den Vergleich mit gesunden Nervenzellen, lässt sich ALS dann viel besser untersuchen als heute. Wie können so auf zellulärer und molekularer Ebene herausfinden, was diese Krankheit ausmacht."

    Um die Idee zu verwirklichen, muss Ian Wilmut Klontechnik und Stammzelltechnik zusammen bringen. Das ist bisher trotz vieler Versuche niemandem gelungen. Auch der Koreaner Hwang Woo-Suk, der zunächst Erfolge vermeldet hatte, ist daran gescheitert. Seine Ergebnisse waren gefälscht.

    Dennoch denkt niemand ans Aufgeben. Weltweit sind zur Zeit etwa sieben Forschergruppen dabei, erneut das Klonen menschlicher Zellen zu versuchen. Denn die Anwendungsmöglichkeiten geklonter Stammzellen sind vielfältig, auch wenn man nicht therapeutisch Klonen möchte, so Ian Wilmut.

    " Sie können kranke Stammzellen in Tiere verpflanzen. Die Frage lautet dann: Lösen ALS-Stammzellen in einer Maus ALS aus? Wie verhalten sie sich beim Kontakt mit gesunden Zellen? Außerdem können Sie im Labor Wirkstoffe an diesen Zellen erproben. Sie können hunderte Medikamente gleichzeitig testen, um herauszufinden, welches in der Lage ist, die ALS-Zellen in gesunde Zellen zu verwandeln."

    Es gibt bereits eine Patienten-Stammzellen-Kultur für Mukoviszidose. Sie wurde ohne Klonen hergestellt. Aus einem kranken Embryo, der bei der Präimplantations-Diagnostik aussortiert wurde. Möglich war das, weil es einen einfachen Gentest für Mukoviszidose gibt, anders als bei ALS.
    Londoner Wissenschaftler haben aus dem Mukoviszidose-Embryo schon vor zwei Jahren Stammzellen hergestellt. Inzwischen melden sich Interessenten aus der ganzen Welt, die mit diesen Zellen die Erbkrankheit Mukoviszidose erforschen wollen.