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Embryonale Stammzellen ohne Embryonen

Biologie. - Embryonale Stammzellen gelten als äußerst anpassungsfähig, sind aber ethisch ebenso umstritten, weil zu ihrer Gewinnung die Embryonen zerstört werden. Jetzt könnten US-Forscher einen Ausweg gefunden haben, denn ihnen gelang die Stammzellgewinnung unter Schonung der Embryonen.

Uli Blumenthal im Gespräch mit Michael Lange |
    Die Welt der Stammzellen ist in zwei Gruppen eingeteilt. Erstere besteht aus den unter Forschern favorisierten so genannten embryonalen Stammzellen, die vermehrungsfähig und in jedes Körpergewebe wandelbar sind. Allerdings gehen bei ihrer Gewinnung die Embryonen selbst zugrunde, weshalb sie hierzulande verboten sind - sofern sie nach einem bestimmten Stichdatum erzeugt wurden. Ethisch weitaus weniger problematisch sind dagegen so genannte adulte Stammzellen, denn sie werden aus einem erwachsenen Körper gewonnen. Allerdings ist dieser Zelltypus weit weniger wandlungsfähig. Jetzt könnten US-Forscher jedoch einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden haben: Wie das Fachmagazin Nature-online berichtet, gelang den Experten jetzt die Gewinnung von embryonalen Stammzellen, ohne dabei die Embryonen selbst zu vernichten.

    Uli Blumenthal: Michael Lange, Sie haben sich mit den Veröffentlichungen befasst. Embryonale Stammzellen, ohne Embryonen zu töten, wie ist das möglich?

    Michael Lange: "Es sind in der Tat zwei ganz unterschiedliche Verfahren, mit denen die Wissenschaftler aus den USA das geschafft haben. Sie töten dabei keine Embryonen, aber dennoch brauchen sie Embryonen, um ihre Technik durchzuführen. Bei dem einen Verfahren ist das ganz offensichtlich. Die Arbeitsgruppe von Robert Lanza von der US-Firma Advanced Cell Technology stellt ganz normal Embryonen her durch künstliche Befruchtung, lässt sie heranwachsen, bis sie aus acht Zellen bestehen. Dann entnehmen sie eine dieser acht Zellen und gründen aus ihr neue Stammzellkulturen. Die Zelle teilt sich immer weiter, ganz einfach, indem sie sie mit anderen Stammzellen in Verbindung gebracht wird. Daraus entsteht eine neue Stammzellkultur, die immer weiter wächst. Aus den übrigen sieben Zellen kann sich dagegen ein ganz normaler Embryo entwickeln. Das kennt man bereits aus der Präimplantationsdiagnostik, da wird das in der Praxis häufig durchgeführt. Da ist es in der Tat so, dass diese sieben Zellen genauso zu einem gesunden Embryo heranwachsen können wie normalerweise acht Zellen. "

    Blumenthal: Also kann man diese entnommenen Stammzellen mit herkömmlich erzeugten Stammzellen vergleichen?

    Lange: "Bisher sieht es so aus, als ob die Qualität dieser Stammzellen tatsächlich identisch ist. Aber man muss ganz klar sagen, es ist so, dass es natürlich Stammzellen von neu hergestellten Embryonen sind - durch künstliche Befruchtung. Wenn man einen Patienten behandeln will, sind diese Stammzellen genetisch verschieden vom Patienten, das heißt, sie werden vom Immunsystem des Patienten abgestoßen."

    Blumenthal: Sind denn Entwicklungen in Sicht, die diese überaus problematische Hürde einmal überwinden könnten?

    Lange: "Eine Methode ist von koreanischen Forschern entwickelt worden: therapeutisches Klonen. Es überwindet im Grunde diese Hürde. Da entstehen Zellen, die nicht abgestoßen werden. Aber das Problem ist natürlich, eine ethisch korrekte Methode herzustellen. Da hat sich die Arbeitsgruppe von Rudolf Jänisch vom MIT in Boston im Grunde genommen auch an diesem therapeutischen Klonen orientiert. Sie haben sich dieses Verfahren genau angeschaut, haben ebenso eine Zelle aus der Haut entnommen, sie entkernt und den Kern in eine Eizelle verpflanzt. Daraus ist dann ein neuer Embryo herangewachsen. Das alles wäre ethisch aber hoch problematisch. Der Unterschied: Sie veränderten die Zelle gentechnisch, indem sie ein bestimmtes Gen ausschalteten - das so genannte CDX2-Gen. Derart manipulierte Zellen können sich aber nicht mehr zu einem richtigen Embryo entwickeln, denn der Kontakt zur Gebärmutter ist dabei gestört - es wächst kein richtiger Embryo heran. Auf diese Weise haben die Wissenschaftler dafür gesorgt, dass sie klonen können, ohne dass aus diesem Klon ein richtiger Mensch entstehen kann. Es entsteht dabei per definitionem kein echter Embryo, also kann auch kein Embryo getötet werden."

    Blumenthal: Ist das tatsächlich eine Alternative oder wird da nur durch sprachliche Formulierung eigentlich verdeckt, dass man tatsächlich einen Embryo benutzt, erzeugt hat - also dass man wirklich Leben geschaffen hat. Wie würden sie das einordnen?

    Lange: "Die meisten Definitionen von Embryo gehen tatsächlich davon aus, dass ein Embryo ein werdender Mensch ist. Das ist in diesem Fall tatsächlich unterbrochen. Die ersten Ethiker, die sich dazu geäußert haben in den USA, die sehen das Ganze sehr skeptisch und sagen: Hier wird ja die Embryonenentwicklung wirklich künstlich unterbrochen - ist das nichts anderes als wenn wir einen Embryo töten, wenn wir einen Embryo nicht zur Entwicklung kommen lassen. Andererseits ist der Embryo aus einer Hautzelle entstanden - und die ist normalerweise kein Embryo. Man sieht, die Diskussion ist gerade erst im Gange. Hier wird vielleicht eine Gesetzeslücke kurzfristig genutzt, aber die Diskussion ist nicht zu Ende. Und aus dem Stammzellendilemma ist man jedenfalls nicht heraus."